Historische Fake-News im ZDF
Flaches Gewässer: Mit der Ausstrahlung der Serie "Das Boot" betreibt ausgerechnet der öffentlich-rechtliche Sender aus Mainz Geschichtsrevisionismus und Faktenklitterung
Bestimmte Dinge nicht sagen (andeuten, zeigen) - auch das kann heißen: lügen. Insofern ist dies ein verlogener Film. Was wäre denn, zum Beispiel, wenn Menschen aus dem christlichen, kommunistischen, pazifistischen Widerstand in genau jenen Fabriken Sabotage geübt hätten, in denen diese 'tollen Pötte' und ihre Torpedos gebaut wurden? Auf wessen Seite wäre da unsere Sympathie, unser Mitleid?"
Fritz J. Raddatz, 1985
Deutsche sterben am schönsten
Der Anfang: Ein Lächeln liegt auf dem Gesicht des deutschen Kapitäns. Dann zeigt die Kamera den Grund: Mehrere Delfine peitschen durch die Atlantikwellen; ein herrliches Bild - und ein Augenblick von Glück und Frieden inmitten des Kriegs.
Dann ändert sich schlagartig alles: Plötzlich tauchen Flieger am Himmel auf, der Kapitän brüllt Alarm und befiehlt schnelles Tauchen, doch schon hat ihn selbst eine Geschoss-Salve aus der Luft ins Meer gerissen. Und schnell braust auch ein feindlicher Zerstörer über dem gerade abgetauchten U-Boot. Dann ist alles totenstill, hört man das gleichmäßige Piepen des Echolot, das bereits aus Wolfgang Petersens preisgekröntem Welterfolg "Das Boot" (1981) vertraut ist...
Es ist nur ein Ruhemoment vor dem nächsten Sturm: "Wasserbombe!!!", brüllt einer, und das Schiff wird schwer erschüttert, bevor es weitersinkt. Dann nochmal: "Wasserbomben!!! Viele!!!" Und bald begreift man, zusammen mit den Männern an Bord, dass das Boot nicht etwa vor dem Feind abtaucht, sondern hilflos fällt in die Tiefen des Atlantik, und dass all die Männer, die man gerade über fünf Minuten ein bisschen kennengelernt hat, nicht etwa die Helden dieser Serie im ersten Einsatz sind, sondern Todgeweihte, die man noch schneller vergessen hat, als sie im Film sterben.
Ein bisschen obszön ist das, denn keiner hat es je gesehen, dieses Sterben in einem sinkenden U-Boot. Aber auch eine gute Idee, ein filmischer Kniff, der gleich klarmacht, was Sache ist. Erstens: Es geht im Krieg ums Sterben und Töten, und Überleben ist alles. Und zweitens: Diese Serie hat nichts zu tun mit Lothar Günther Buchheims autobiographischem Roman "Das Boot" und dessen berühmter Verfilmung.
Sie ist kein "Remake", wie auch den allermeisten Beobachtern sofort aufgefallen ist. Die Serie behauptet das nicht einmal selbst, sie will vielmehr einfach von Lothar-Günter Buchheims Romanen "inspiriert" sein. Sie klaut sich nur deren Titel - übrigens sehr zum Ärger der Macher der Buchheim-Verfilmung (s.u.) -, und nimmt sich die drei ersten Takte von Klaus Doldingers unvergesslicher Musik - und labelt sich damit den Bezug zu einem der größten Exporterfolge des deutschen Nachkriegsfilms an.
"Das Boot" ist eine gerade international wirkungsvolle und verkaufsträchtige Marke - nur darum geht es. Figuren und Handlung aber sind komplett verschieden, in der Ausrichtung und der Haltung beider Werke oft genug konträr. Gemeinsam ist beiden nur, dass ein deutsches U-Boot vorkommt und die westfranzösische Hafenstadt La Rochelle, im Zweiten Weltkrieg ein wichtiger U-Boot-Hafen der deutschen Kriegsmarine.
"...so ziemlich das Dümmste, was im fiktionalen Zeitgeschichtsfernsehen ausgestrahlt wurde"
Der Rest ist mehr Dichtung als Wahrheit, jedenfalls keine Neuverfilmung und überdies hochumstritten nach massiven Vorwürfen, die gegen die Serie und das ausstrahlende ZDF erhoben werden: "Geschichtsklitterung" betreibe die Serie, sagte der Historiker und leitende "Welt"-Redakteur Sven Felix Kellerhoff im Deutschlandfunk.
Besonders stößt sich Kellerhoff an jenem Erzählstrang über die Finanzierung der deutschen Aufrüstung und des Angriffskriegs der Wehrmacht durch amerikanische Wall-Street-Börsenhaie: "Hanebüchen", so Kellerhoff, "Das ist so ziemlich das Dümmste, was im fiktionalen Zeitgeschichtsfernsehen in den letzten Jahren ausgestrahlt wurde." Ansatzweise sehe er darin eine Relativierung der deutschen Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg.
Tatsächlich verkündet im Film ein Amerikaner in raunendem Verschwörerton dem deutschen Kapitän: "Sie kennen nur einen kleinen Teil der Geschichte." Wall-Street-Investoren hätten die deutsche Aufrüstung durch den Kauf von Staatsanleihen bezahlt: "Nicht die Alliierten, nicht die Achsenmächte werden den Krieg gewinnen. Sondern er. Leute wie er ... fürs Nichtstun."
Ausländische nicht-deutsche Hochfinanz erscheint hier also als eigentlicher Antreiber des Weltkriegs. Krieg sei halt ein Geschäft, "und ihr, meine Freunde, seid die Opfer", sagt der Amerikaner den Deutschen - so etwa stand es seinerzeit auch im "Völkischen Beobachter" über "angloamerikanische Finanzjuden".
Der historische Haken: Solche "Reichsanleihen" an der Börse gab es gar nicht. Und auch grundsätzlich ist die Behauptung der Finanzierung deutscher Aufrüstung durch die US-Börse Humbug.
Derartige im Film implizit erhobene, zum Teil auch explizit formulierte Behauptungen, nach denen Hitlers Aufrüstung und der Angriffskrieg der Deutschen von ausländischen Kapitalgebern ("Wall Street") auch nur unwesentlich mitfinanziert wurden, werden durch keinen einzigen seriösen Historiker gestützt - im Gegenteil sind diese Behauptungen historisch längst widerlegt. Sie kursieren heute unter Verschwörungstheoretikern und in Publikationen aus dem Querfront-Umfeld.
Geschichtsrevisionismus: Böse Resistance, ehrbare Deutsche
Ein zusätzliches Geschmäckle bekommt das Ganze, weil Kritik an Wall-Street und Finanzhaien ja nicht nur eine Kritik an Amerika ist, sondern bis heute gern auch unter deutschen Linken als verkappte antisemitische Kritik an Juden geübt wird. Gerade im Europa der Gegenwart, wo der Antisemitismus wächst, ist das der vollkommen falsche Ton. Rassenantisemitismus und die Vernichtungsideologie der Nazis kommen hingegen in der Serie gar nicht erst vor.
Dafür französische Täter. Die Resistance war nämlich, so konstruiert der Film, gar nicht so gut, die waren rücksichtslos, folterten und töteten wie die SS und müssen sich im Film von dem von ihnen entführten Marineoffizier Gluck Moral erklären lassen wie einst die RAF vom Ex-SS-Offizier Schleyer vor dessen Hinrichtung. Als habe der Deutsche nicht Zivilisten erschießen lassen.
Es geht ja hier nicht nur um Kriegsschuld wie im Fall der Finanzierungsfrage. Es ist letztlich unbestritten, wer den Zweiten Weltkrieg begonnen hat - dass es die deutsche Diktatur war. Wichtig ist aber auch, wie der Krieg geführt wird und wozu.
Wenn es um die Einschätzung der Resistance geht, sollte man sich klar machen: Frankreich war ein von Nazis besetztes Land. Die Resistance hat vor diesem Hintergrund auf eigenem Territorium für die Freiheit gekämpft, für die nationale Selbstachtung und für die Menschenrechte. Die Engländer und die Amerikaner, auch die Rote Armee haben Europa vom Faschismus befreit.
Man kann hier nicht so tun, als hätten zwei gleichberechtigte, gleichwertige Seiten gegeneinander gekämpft, und die eine hat halt Pech gehabt. Nein: Der Zweite Weltkrieg war ein Krieg zwischen Gut und Böse.
Stattdessen zeigt das ZDF aber nur ehrliche deutschen Soldaten, die heldenhaft ihr Leben riskieren, als Opfer schmieriger Börsenprofiteure, und eine französische Resistance, die der SS moralisch angeblich nicht überlegen ist - auch "Die Zeit" spricht bei diesem Szenario von "Geschichtsrevisionismus..., der die deutsche Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und seine Verbrechen relativiert".
Unter falscher Flagge
Auch sonst ist das Gesamtbild der von Regisseur Andreas Prohaska inszenierten Serie politisch wie ästhetisch deprimierend: "Nach Motiven" gleich zweier Bücher Buchheims haben die Autoren um den verantwortlichen Johannes Betz ("Die weiße Massai", "Hindenburg") sich eine kolportagehafte, mit oberflächlicher Action und Spannungsmache vollgestopfte Handlung ausgedacht, die schon fast unter falscher Flagge schippert, weil sie mit Buchheim/Petersen außer dem Titel kaum etwas gemein hat.
Schlimmer noch: Sie verrät alles Wesentliche des Stoffes. Denn was Petersens Film gerade so toll und so einmalig gemacht hat, war, dass man regelrecht spürt, wie es ist, in einem U-Boot zu stecken, der Kunst des Kapitäns und der Gunst des Krieges hilflos ausgesetzt zu sein. Man erlebt, das U-Boot als Druckkammer, fährt als Zuschauer selber in diesem U-Boot quasi mit.
Von alldem bleibt in der achtteiligen Serie - weiterhin abrufbar in der ZDF-Mediathek (die zweite Staffel ist für dieses Jahr noch angekündigt) - nichts übrig. Auf die U-Boot-Situation kann man sich gar nicht richtig einlassen, kaum ist man Boot, geht es schon wieder raus; alle zwei, drei Minuten springt die Handlung hin und her. Und meistens spielt sie überhaupt nicht im U-Boot, wie der Titel suggeriert, sondern an Luft und Land: Französische Widerständler kämpfen gegen Nazis und Kollaborateure.
"Ich freue mich, dass unser so erfolgreiches Projekt jetzt für eine neue Generation aufgegriffen wird. Aber Regisseur Wolfgang Petersen und ich finden: Man hätte das nicht 'Das Boot' nennen dürfen. Unser Film war das Original nach dem Roman von Lothar-Günther Buchheim. Ein kleiner Namenszusatz hätte es von unserem Werk abheben müssen."
Das sagt der 90-jährige Filmproduzent Günter Rohrbach zur Serie "Das Boot".
Zumindest beim Namen Johannes Betz konnten Kenner schon hellhörig werden. Denn Betz ist unter anderem auch Drehbuchautor des Films "Nichts als die Wahrheit" von 1999 - auch nach über 20 Jahren einer der Tiefpunkte unter den Geschichtsfilmen in Deutschland.
Auch hier das Gegenteil aller Wahrheit, dafür eine geschmacklose, absurde Geschichtsfiction, in der Götz George den KZ-Arzt Josef Mengele spielt, der bis in die 1990er Jahre überlebt hat und die Legitimität seiner Handlungen im KZ Auschwitz nachweisen will.
Trauriger Tiefpunkt: Ein seichter Film ohne Tiefgang
Was zeigt die Serie "Das Boot" sonst noch?
Die Hauptfiguren sind erst mal alles Bubis, keine Männer. Ihre Gesichter haben keine Konturen, denn sie haben nichts erlebt, außer Drehs und Casting. Die Helden sind Antifaschisten wie fast alle Deutschen damals ... Aber aus Liebe, nicht aus Überzeugung.
Durchzogen ist jeder Augenblick von so einem schrägen Pathos, nur Bedeutung, nie Bedeutungslosigkeit, nie Alltag. Sex im Soldatenbordell ist laut und vulgär. Und so ätzend fernseh-deutsch, also spießig, gehemmt, auf Nummer sicher, ohne die Frivolität, die amerikanische Serien so spannend macht.
Es fehlt auch das Interesse für die Figuren. Dafür Handlung, Handlung, immer schneller, immer oberflächlicher. Eine Eskalationsspirale, die es zugleich jedem recht machen will: Auf dem Boot selbst haben alle konstant schlechte Laune, gehorchen den Befehlen nicht, der "Kaleu" benimmt sich dafür wie Käpt'n Bligh auf der "Bounty", denn die Autoren brauchen Drama und Konflikt, um das dröge Serien-Gefährt in See stechen zu lassen.
Manche Zeitungen faseln aber schon von "Kultserie" - ein völlig übertriebenes Geschwätz, so kritiklos wie die Kriegsführung im III. Reich. Dabei bekommt die Serie auf imdb.com nur "7,4". Gar nicht so ein toller Wert. Zur "Kultserie" wird man sowieso erst nach 20 Jahren. In 20 Jahren wird diese Serie komplett vergessen sein. Wie kommt man zu so einem Urteil? Ehrfurcht vor Sky (wo die Serie zuerst ausgestrahlt wurde)?
Es heißt auch, das sei ein "feministischer" Film, würde "eine weibliche Perspektive" mit einbeziehen, "eine (starke) weibliche Sicht". Papperlapapp - meine Güte, da kommen ein paar Frauen vor, weil man für den amerikanischen Markt angeblich unbedingt "Diversity" braucht, sich aber nicht traut, im U-Boot mal schwulen Sex zu zeigen, und dann hat es gleich "eine weibliche Perspektive". Und alle plappern es nach.
Frauen hatte es bei Petersen so wenig gegeben wie Land, ganz einfach, weil fast alles auf dem Boot spielte, weil es eben um das Miteinander der Männer ging. Ohne Draußen. Diesmal: Mindestens ein nackter Busen pro Folge, lesbische Liebe - weibliche Perspektiven eben. Auch sonst: Schauwerte, Effekte, mehr nicht - "Das Boot" ist ein recht seichter Film, der die Tiefe von Lothar Günter Buchheims Buch nie erreicht.
Als Aushängeschild des ZDF-Fernsehens ist diese Serie aber viel mehr als eine Dummheit. Denn in Zeiten von Fake News muss ein öffentlich-rechtlicher Sender ganz besonders darauf achten, was er moralisch und politisch erzählt. In "Das Boot" verbreitet das ZDF nun in mehrfacher Hinsicht historische Fake-News - ein trauriger Tiefpunkt für einen Sender, der leider schon vor langer Zeit die letzten festen dokumentarischen Sendeplätze aus seinem Programm gestrichen hat.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.