Historisches SETI-Signal ohne Kosmogramm

Bild: ESO

Heute vor 40 Jahren traf das mysteriöse "Wow!-Signal", das manche für den Fetzen einer intelligenten Funknachricht aus dem All halten, auf eine der Antennen des "Großen Ohrs" in Ohio

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Das Signal kam völlig überraschend und überlagerte mit unerwarteter Dynamik das natürliche kosmische und stellare Hintergrundrauschen. Am 15. August 1977 registrierte das 'Big Ear'-Radioteleskop der Ohio State University in Columbus (US-Bundesstaat Ohio) um 23.16 Uhr Lokal- und Sommerzeit in der Nähe der berühmten 21-Zentimeter-Wasserstofflinie eine ungewöhnlich starke Radioemission.

Als diese sich zu erkennen gab, war kein Astronom im Kontrollraum zugegen, kein Zeitzeuge wohnte dem legendären Ereignis unmittelbar bei. Nur ein IBM-Computer mit einem Arbeitsspeicher von 64 Kilobyte, sekundiert von einem speziellen Computerprogramm namens N50CH, sammelte die eingehenden Daten, die das "Große Ohr" aufgefangen hatte und der institutseigene Drucker auf Papier verewigen sollte.

Eine kleine Geschichte des "Großen Ohrs"

Dass die Projektwissenschaftler an diesem historischen Tag mit Abwesenheit glänzten, war eigentlich nichts Ungewöhnliches. Denn bei den seit 1973 kontinuierlich durchgeführten SETI-Observationen mit den 'Big Ear'-Antennen war es gang und gäbe, die Instrumente nur jeden dritten Tag vor Ort zu überprüfen, die Hard- und Softwaresysteme zu kontrollieren und bei Bedarf zu justieren und zu kalibrieren. Für dieses scheinbar geringe Engagement gab es einen triftigen Grund. Denn Ehman und seine Kollegen arbeiteten rein ehrenamtlich für das Projekt. Sie opferten ihre Freizeit als Überzeugungstäter in der Hoffnung, eine endgültige Antwort auf eine der spannendsten Fragen der Philosophie zu erhalten, die gerade nach dem Ende des Apollo-Programms der NASA bei so vielen Naturwissenschaftlern aufkeimte: Wie viele andere intelligente Lebensformen existieren neben dem Homo sapiens im All?

Um dieser Frage professionell nachzugehen, schien das 'Big Ear'-Teleskop aufgrund seiner Historie als Arbeitsinstrument geradezu prädestiniert. Konzipiert und errichtet von dem damaligen Direktor des Radioobservatoriums der Ohio State University, John Kraus, ging die 110 Meter lange und 24 Meter breite Anlage 1963 erstmals in Betrieb. An beiden Enden des von einer Aluminiumschicht überspannten Feldes, das einem Fußballplatz ähnelte, ragten jeweils zwei gigantische Reflektoren empor: der eine flach mit einer kippbaren 30 Meter großen Sammelfläche, der andere 21 Meter hoch und parabolisch geformt. Im Verbund tasteten beide denselben Himmelsabschnitt nacheinander ab und erreichten gemeinsam die Empfindlichkeit einer 60-Meter-Schüssel.

Der installierte sensible 21-Zentimeter-Empfänger deckte dabei einen Frequenzbereich von 250 Megahertz ab. Die eingehenden Radiopulse, die das erste Strahlenbündel einfing, registrierte im Normalfall kurze Zeit später der zweite Reflektor. Durch einen Vergleich der Daten konnten die Radioastronomen irdische Störfeuer schnell aussieben. Auf diese Weise detektierten und katalogisierten John Kraus und der junge Elektroingenieur Robert S. Dixon binnen neun Jahre sage und schreibe rund 20.000 neue Radioquellen.

Das 'Big Ear'-Teleskop konnte jeden Punkt am Firmament infolge der Erdrotation jeweils nur 72 Sekunden lang im Fokus halten. Danach verschwand jedwedes Signal. 1997 wurde das Grundstück der Anlage verkauft und in einen Golfplatz umgewandelt. Bild: Coseti

Doch 1972 beendete die National Science Fundation (NSF) die finanzielle Unterstützung für das ambitionierte Kartierungsprojekt. Für Robert Dixon Anlass genug, seinen damaligen Chef davon zu überzeugen, die brachliegende Anlage für die Suche nach extraterrestrischer Intelligenz zu nutzen. "Bob musste sich nicht wirklich anstrengen, um mich zu überreden, mit dieser Idee konform zu gehen", erinnert sich Kraus an den geschichtsträchtigen Moment.

Dank Dixons Vorschlag begann eine neue Ära in der noch vergleichsweise jungen SETI-Forschung: Zum ersten Mal starteten Wissenschaftler einen Vollzeitversuch und horchten den ganzen Nordhimmel auf der 21-Zentimeter-Zauberlinie ab - 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche. "Damit war die Ohio-State-Einrichtung die erste, deren Teleskop ausschließlich für die Suche nach außerirdischer Intelligenz zur Verfügung gestellt wurde", verdeutlicht der Pionier und weise Nestor der SETI-Unternehmungen, Frank Drake. Ohio-SETI avancierte mit einer Observationsdauer von insgesamt 22 Jahren sogar zum zeitlich längsten Suchprogramm in der SETI-Geschichte, ein Rekord, der auch im aktuellen Guinness-Buch-der-Rekorde Würdigung erfährt.

Da im Jahr 1972 jedoch jegliche Bezuschussung wegfiel, war das Projekt auf die Mitarbeit von Freiwilligen angewiesen, von denen Jerry R. Ehman und Richard Arnold nicht nur fachlich herausragten. Mit Ehmans Hilfe, einem Professor für Radioastronomie der Franklin University in Columbus und der Unterstützung von Dr. Arnold, der als Elektrotechniker für die Bell Telephone Laboratories ebenfalls in Columbus arbeitete, konstruierten Kraus und Dixon einen neuen leistungsfähigen 50-Kanal-Empfänger, der für die Analyse des Wasserlochs angedacht war.

Zauberlinie 21,106 Zentimeter und Wasserloch: 1,420405751786 GHz - das entspricht einer Wellenlänge von 21,106 Zentimeter. Auf dieser Frequenz strahlt das neutrale Wasserstoffatom, das häufigste Atom im Universum. Die 21-Zentimeter-Strahlung gilt als magisch, weil ihr Wert universell ist. Kommunikationswillige Aliens würden den Wert dieses Wertes erkennen und die magische Frequenz im Mikrowellenbereich frequentieren. Abseits des langwelligen Bereichs der Wasserstofflinie (H) existiert eine andere interessante Frequenz: die Linie des Hydroxyl-Radikals, ein Sauerstoff-Wasserstoff-Molekül (OH). Diese liegt bei 1,662 GHz und bietet sich aufgrund der Bedeutung des Sauerstoffs für die Entstehung biologischen Lebens als Alternativfrequenz zur 21-Zentimeter-Linie an. Da H plus OH die chemische Formel für das Lebenselixier Wasser (H2O) ergeben, ist der Gedanke naheliegend, den Frequenzbereich zwischen 1420 bis 1660 MHz, das "Wasserloch", näher ins Visier zu nehmen.

Wir waren alle erstaunt!

Für die erste Sichtung des Datenmaterials war Jerry Ehman verantwortlich, der die Ausdrucke der aufgezeichneten Signaleingänge stets zu Hause analysierte. Auch in der dritten Augustwoche des Jahres 1977 arbeitete er daheim in seiner Küche, um den Datenberg abzutragen, der sich in den letzten drei Tagen angehäuft hatte. Reine Routinearbeit, die er zuvor schon tausende Male erledigt hatte. Das von Robert Dixon ausgearbeitete Format, das Ehman auf dem Computerpapier sah, diente der Übersichtlichkeit. Es bestand aus fünfzig Spalten, von denen jede einen der insgesamt 50 Kanäle repräsentierte. Bei einer Spalte hielt der engagierte Astronom jedoch plötzlich inne:

Bild: Jerry Ehman / BigEar.org

"Als ich mir den Computerausdruck vom 15. August 1977 anschaute, sah ich in den Daten das stärkste Schmalband-Signal, das ich jemals gesehen hatte. (…) Ich war so erstaunt über das starke Signal, dass ich auf dem Computerpapier mit roter Tinte die Bemerkung 'Wow!' notierte", so Jerry Ehman über das denkwürdige Ereignis.

Nachdem er die restlichen Bits und Bytes studiert hatte, traf er am nächsten Tag mit John Kraus, Robert Dixon und Richard Arnold am Campus zusammen. Gemeinsam überprüften sie das Buchstaben- und Zahlenwirrwarr auf dem Papier, woraufhin eine heftige Diskussion über die potentielle Herkunft des starken Pulses entfachte. "Wir waren alle erstaunt", so Ehman. Die Aufregung war damals sehr groß. Denn vier Jahre lang schwieg der Computer und Datenschreiber des Ohio-SETI-Programms beharrlich. Doch mit einem Male drängte sich ein Signal auf, das die Hintergrundstrahlung mit hoher Energie überstrahlte.

Um auszuschließen, dass die detektierte starke Quelle natürlichen Ursprungs war, studierten Ehman und seine Kollegen die Fachliteratur. Sie reflektierten die neuesten Ergebnisse und richteten ihr Augenmerk auf alle bekannten katalogisierten starken kosmischen Radioquellen. Im Rahmen von 50 weiteren Suchläufen versuchten sie das Signal erneut einzufangen - jedoch ohne Erfolg. "Nach Wochen geduldigen Observierens verlagerten wir dann unsere Untersuchung auf andere Ausschnitte des Sternhimmels", erinnert sich John Kraus.

Nur über die Koordinaten der Signalquelle herrschte Klarheit. Diesen zufolge musste diese im Sternbild Schütze (Sagitarrius) lokalisiert sein. Vermutlich kam das suspekte Signal aus einem Bereich der Galaxis mit sehr hoher Sternendichte und war in einer Region nahe dem Milchstraßenzentrum beheimatet.

Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße. Aus einer benachbarten, wenn auch entfernten Region könnte das Signal eingetroffen sein. Die exakten Koordinaten des Signals waren: Deklination: -27 Grad, 3 Minuten, 20 Sekunden / Rekaszension: 19 Stunden, 22 Minuten, 25 Sekunden. Bild: NASA

Sehr schmalbandig und stark

Mysteriös war das Schmalbandsignal aufgrund seiner Charakteristika allemal. Schließlich offenbarte es sich in einem Frequenzbereich, der geringer als 10.000 Hertz war. Und es stimmte seine kurze Sinfonie nur auf einem der 50 observierten Kanäle an, so als wollte es nicht im Rauschkonzert des Äthers untergehen. Solcherlei Signale sind bei SETI-Forschern sehr beliebt, erhöhen sie doch die Wahrscheinlichkeit grundlegend, künstlichen Ursprungs zu sein. Spannend an dem Störfeuer war auch die Tatsache, dass es sich über eine Zeitspanne von 72 Sekunden erstreckte, also genau das Zeitfenster ausfüllte, in dem sich das "Große Ohr" mit der Erdumdrehung durch den Empfangsbereich des Signals bewegte.

Während dieses Zeitraums blieb die durchschnittliche Signalstärke bei jedem Intervall konstant. Auffallende Modulationen im Signalmuster konnten die Forscher nicht feststellen. Beeindruckend war jedoch, dass es im Gegensatz zum Strahlungshintergrund des Wasserstoffs 30 Mal stärker emittierte. Fernerhin pulsierte es auf einer Frequenz von 1420,456 Megahertz, also just in dem Radiofensterbereich, in dem irdische Satelliten und andere künstliche Quellen aus Rücksicht auf radioastronomische Forschungen nicht senden sollten, weil dort der neutrale Wasserstoff strahlt, das häufigste Element im Universum, dessen Bedeutung hochtechnisierte außerirdische Kulturen kennen sollten.

"Die Art und Weise, wie es durch den Teleskopstrahl kam, zeigte, dass es sich mit den Sternen bewegte und daher tatsächlich außerirdischer Natur sein musste, nicht so wie ein eindringendes Flugzeug oder eine Raumsonde. Das ultimative Intelligenzmerkmal aber war die Art, wie sich das Signal selbst an- oder ausschaltete, während es sich im Teleskopstrahl befand", konstatiert Frank Drake, der sich eingehend mit dem 'Wow'-Signal beschäftigt hat.

6EQUJ5 - ein kryptischer Zahlencode

Da sich das kosmische Funkfeuer auf dem Computer-Ausdruck nur in Gestalt eines Zeichencodes manifestierte, mussten die Forscher die vom IBM-Rechner produzierten Signalkurven übersetzen und richtig deuten. Schließlich beinhaltete die Zahlen- und Buchstabenfolge 6EQUJ5 wertvolle Informationen. Sie besagten, dass ein ungewöhnlich starkes Schmalbandsignal für einen kurzen Zeitraum Einzug gehalten hatte.

Dass bei den Forschern angesichts der Kombination von Buchstaben und Zahlen, die sie auf dem Ausdruck sahen, schnell die Alarmglocken schrillten, lag auf der Hand. Denn in dem Code-System, das Ehman und seine Kollegen damals verwendeten, repräsentierte jede Zahl und jeder Buchstabe eine bestimmte Signalstärke. Alle zwölf Sekunden wurden vom Rechner Zahlen oder Buchstaben kreiert und gedruckt.

Bild: Maxrossomachin / CC-BY-SA-3.0

So repräsentierten die Ziffern 1 bis 9 die jeweilige Signalstärke über dem Hintergrundrauschen. Während die Ziffer 1 für ein schwaches Signal stand, indizierte eine 9 dagegen einen stärkeren Energiepuls. Ab der Signalstärke 10 übernahmen Buchstaben die Regie. Ein "A" etwa zeigte an, dass die Signalstärke innerhalb der 21-Zentimeter-Wasserstofflinie um den Faktor zehn über dem Strahlungshintergrund lag. Im Klartext hieß dies, dass "A" den Wert von 10 Sigma, der nächste Buchstabe "B" im Alphabet den Wert von Sigma 11 hatte usw. Gemäß ihrer Folge im Alphabet steigerte sich die Signalintensität, die logischerweise mit dem Buchstaben "Z" bei 35 Sigma endete.

Während eine Leerstelle symbolisierte, dass das Signal auf den Wert Null gesunken und somit verschwunden war, besagte das "U" im Zeichencode des 'Wow!'-Signals hingegen, dass die Ohio-Astronomen einen Energiepuls registriert hatten, der über dem 30-fachen des Hintergrundrauschens lag.

Ohio-Signal und Schwächen

Als problematisch erachteten die Forscher bereits 1977 den absolut singulären Charakter des Radiosignals. Denn das Phänomen wiederholte sich nicht. Es tauchte plötzlich auf, um sodann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Vor allem pulsierte es nicht durchgehend über einen längeren Zeitraum. Fatalerweise zeichnete nur eine Antenne der Anlage die Radioemission auf, wobei bis heute nicht geklärt ist, welche davon seinerzeit den Treffer für sich verbuchte und welche leer ausging. Da der zweite Reflektor nichts registrierte, fehlten Ehman und seinen Kollegen wichtige Vergleichsdaten, um jedwede von irdischen Quellen generierte Störsignale zu beschreiben.

Bei alledem erfasste keine andere Schüssel außerhalb der 'Big Ear'-Sternwarte den Puls, was in SETI-Kreisen als wichtigste Hauptbedingung für die Verifizierung eines fremden intelligenten Kosmogramms gilt. Auch der drei Minuten später automatisch initiierte erneute Suchlauf der Anlage bestätigte kein wie auch immer geartetes außerirdisches intelligentes Funkfeuer. Zu guter Letzt beinhaltete der Zeichencode weder ein erkennbares systematisches Informationsmuster noch eine tiefergehende dechiffrierbare Botschaft. Die Sigma-Werte 6, 14, 26, 30, 19 und 5 des Ohio-Signals indizierten nur seine Intensität, gaben aber keine weiteren Geheimnisse preis.

Andere unabhängige Teams konnten das 'Wow!'-Signal nicht bestätigen. So auch ein Forscherteam um Robert Gray nicht, der 1995 der mit dem weitaus empfindlicheren Interferometer-Radioteleskop Very Large Array (VLA) in New Mexico das Signal auf derselben Position und Frequenz vergeblich suchte. Bild: NRAO/AUI/NSF

Vor allem aber kam das Radiosignal für eine außerirdische Flaschenpost schlichtweg zu kurz daher. Angesichts seiner knappen Sendedauer fragten sich schon die ersten Skeptiker, ob eine kontaktfreudige intelligente ferne Kultur wirklich dermaßen sparsam und naiv sein würde, Funkbotschaften über Tausende von Lichtjahren ins All zu senden, die sich gleichwohl nur wenige Sekunden lang im Äther bemerkbar machen.

Tatsächlich führten alle Erklärungsversuche der Ohio-Forscher, das Signal mit einem natürlichen oder künstlichen Ursprung direkt in Verbindung zu bringen, zu keinem konkreten Resultat. Mal wurden lokale Quellen und irdische Radiosender als Urheber ausgeschlossen, weil die Wasserstofffrequenz zu jenem geschützten Bereich des Spektrums zählt, in dem keine kommerziellen oder militärischen Radiosender arbeiten dürfen. Mal hatten die Forscher Militärsatelliten auf der Rechnung, die eigentlich seit 1959 nicht mehr in diesem Frequenzbereich operieren durften. Wenigstens konnten sie nach einer eingehenden Überprüfung aller Flugbahnen die bekannten Satelliten als Ausgangsquelle ausschließen. Zu guter Letzt fielen ebenfalls alle künstlichen orbitalen Objekte aus dem Raster, weil diese sich viel zu schnell bewegten. Auch TV-Signale, die in der Regel deutlich breitbandiger daherkommen, fielen aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen heraus.

Einige SETI-Forscher gingen sogar so weit, das Ereignis auf Gravitationslinseneffekte oder interstellare Oszillation (ein Effekt ähnlich dem atmosphärischen Funkeln der Sterne) zurückzuführen. Andere fabulierten über Planeten oder bekannte Asteroiden. Aber nichts dergleichen hatte zum fraglichen Zeitraum den Empfangsbereich des 'Big Ear' passiert. Die Berechnungen ergaben, dass alle bekannten künstlichen Objekte zum Zeitpunkt des Kontakts die Bahn des Signals nicht kreuzten.

Neue Kometenthese

Mit einem völlig anderen Ansatz warteten Anfang 2016 die amerikanischen Physiker Antonio Paris vom St. Petersburg College in Florida und Evan Davis vom Explorers Club auf. Wie diese im "Journal of the Washington Academy of Sciences" spekulierten, war der Urheber der Quelle des 'Wow!'-Signals aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eine kommunikationsfreudige außerirdische Kultur. Vielmehr stamme dieses aus unserem Sonnensystem, hervorgerufen von zwei vorbeiziehenden Kometen, die das Kürzel "266P/Christensen" und "P/2008 Y2 (Gibbs)" tragen.

Die beiden Kometen "266P/Christensen" und "P/2008 Y2 (Gibbs)" wurden erst im vergangenen Jahrzehnt entdeckt, konnten zuvor daher nicht als Erklärungsmodell für das 'Wow!-Signal heran gezogen werden. Auf diesem Bild ist der Komet ISON zu sehen. Bild: NASA

In ihrem Fachaufsatz erklären beide Forscher, dass der Grund für das damals aufkommende ungewöhnlich starke Funkfeuer mit den großen Wasserstoffmengen zusammenhängen könnte, die Kometen während ihrer Passage an der Sonne abgeben. Trifft das ultraviolette Sonnenlicht auf das Wassereis eines Kometen, bricht dieses auf. Als Folge dieses Prozesses legt sich eine Wolke aus Wasserstoffgas um den Kometen, die sich Millionen von Kilometern um den Schweifstern selbst ausbreiten kann. Würde ein Komet in relativer Erdnähe driften, könnte das Wasserstoffgas just ein Signal in der Intensität und auf der gleichen Frequenz wie jenes vom August 1977 erzeugen. "Sollten die Kometen im Jahr 1977 tatsächlich vor dem 'Big Ear'-Teleskop vorbeigezogen sein, könnten sie ein kurzzeitiges Signal ausgelöst haben, welches das Teleskop auffing und das daher bei den folgenden Observationen an gleicher Stelle nicht mehr auffindbar gewesen war", vermuten die Physiker.

Um Nägel mit Köpfen zu machen, nahmen Paris und sein Team von Ende November 2016 bis Ende Februar 2017 den Kometen 266P/Christensen näher unter die Lupe. Im Rahmen von 200 Suchläufen analysierten sie das Radiospektrum des Schweifsterns mit einer 10-Meter-Schüssel, an der ein Spektrometer und ein Horn angeschlossen waren. Als der kalte Gesteinsbrocken ins Blickfeld kam und die ersten Radiosignale eintrafen, drehte das Team das Teleskop um ein Grad zur Seite.

"Während dieses Experiments verschwand das auf 1420,25 Megahertz emittierende Signal. Als wir das Radioteleskope wieder in seine ursprüngliche Position in Richtung des Kometen 266/P Christensen brachten, erschien das Signal wieder bei 1420,25 Megahertz", schreibt Paris in seinem jüngsten Paper. "Aus dieser Untersuchung lässt sich daher folgern, dass ein Kometenspektrum bei 1420 Megahertz observierbar ist, und dass die Quelle des 'Wow!'-Signals von 1977 ein natürliches Phänomen war, verursacht von einem Himmelskörper im Sonnensystem."

Abgesang als verfrühtes Geburtstagsgeschenk

Vielleicht war Paris selbst darüber erstaunt, wie groß das Interesse der internationalen Presse an seinem Fund war und wie emotional die Kommentare zu seinem Fazit ausfielen. Dass die sich anschließenden Diskussionen um seine Entdeckung auch in akademischen Kreisen Züge eines Hypes annahmen, dürfte ihn dabei am meisten überrascht haben. Könnte das Ergebnis dieser Studie wirklich das Aus für das über die Jahre so glorifizierte und verklärte 'Wow!'-Signal bedeuten?

Dank des Booms der Exoplanetenforschung lebt auch die SETI-Idee verstärkt auf. Inzwischen ist es längst Usus unter den SETI-Forschern, vielversprechende Sternsysteme zu observieren, in denen extrasolare Planeten nachgewiesen wurden. Zurzeit sind 3643 ferne Welten (Stand: 9. August 2017) bestätigt und katalogisiert. Auf welchen der noch unentdeckten Planeten mögen hochstehende Kulturen leben oder gelebt haben oder später einmal leben? Bild: ESO

Viele Journalisten stellten sich diese Frage und stimmten in einen Chor ein, der wie ein Abgesang auf das mysteriöse Funkfeuer klang. Kurz vor dem 40. Geburtstag des bislang besten First-Contact-Anwärters schlugen vor allem deutsche Reporter und Journalisten in die Kerbe. "Aus für Außerirdische" titelte der deutsche Wissenschaftsjournalist Lars Fischer in dem Online-Ableger von Spektrum der Wissenschaft, ohne seine Überschrift mit einem Fragezeichen zu versehen. "Lange Zeit galt das 1977 aufgezeichnete 'Wow!'-Signal als bester Kandidat für einen Kontakt mit Außerirdischen. Nun jedoch steht fest: Der Strahlungspuls war natürlichen Ursprungs", konstatiert Fischer.

Das "Handelsblatt", sicherlich nicht die erste Adresse für geistes- und naturwissenschaftliche Sujets, sieht das Ende des 'Wow!'-Signals nahe. "Das war’s wohl mit der Botschaft aus dem All: Das 'Wow!'-Signal, das seit 1977 als mögliches Signal einer außerirdischen Zivilisation gehandelt wird, lässt sich auf eine natürliche Quelle zurückführen", schreibt der Autor des Beitrags selbstsicher.

Selbst das Computermagazin CHIP lockt mit der reißerischen Überschrift "Nach 40 Jahren: Rätsel um 'Alien-Signal' offenbar gelöst" ihre Leser auf eine falsche Fährte.

Scharfe Kritik an Kometentheorie

Geht es nach Yvette Cendes von der University of Toronto, dann führt Antonio Paris die Wissenschaft auch mit seiner Kometenstudie in die Irre. In einem Reddit-Post kritisiert die ungarisch-amerikanische Doktorandin und Radioastronomin die wissenschaftliche Vorgehensweise des Teams mit teils heftigen Worten. "So I read this paper, and it screamed bullshit to me!", so der Originalwortlaut an einer Stelle ihres Beitrages.

Ihrer Ansicht nach habe der Autor wissenschaftlich nicht sauber gearbeitet und es an der nötigen Akkuratesse missen lassen. "Das Paper geht in der Tat wirklich, wirklich, wirklich sehr sparsam mit Details um", moniert Cendes. So sei der Autor weder auf Hardware noch auf das verwendete Radioteleskop eingegangen. Über die Art der Schüssel und ihren Standort erhalte der geneigte Leser keine näheren Informationen. Ohnehin sei es fragwürdig, dass Paris seine beiden Studien in einer eher unbekannten Fachzeitschrift veröffentlicht habe, die darüber hinaus mit radioastronomischen Themen kaum Erfahrung habe. Außerdem sei es schlichtweg falsch, die Signalstärken in Dezibel aufzuführen. Hier hätte der Verfasser die Einheit für spektrale Flussdichte Jansky verwenden müssen.

Seth Shostak (rechts). Bild: SETI Institute

Weniger an Paris' methodische Fehler als vielmehr an dessen Kernaussage und Folgerungen stört sich Seth Shostak, der zu den weltweit führenden SETI-Astronomen zählt und das 'Wow!'-Signal in der Vergangenheit schon oft kritisch kommentiert hat. Nach dem Studium der Forschungsresultate von Antonio Paris kommt er jedenfalls zu einem eindeutigen Ergebnis:

In meinen Augen funktioniert die Kometenthese nicht. (…) Ich habe noch niemals davon gehört, dass irgendjemand starke, von einem Kometen stammende 1420-Megahertz-Strahlung gemessen hat. Und ich habe eine Menge Zeit mit Radioteleskopen verbracht, die auf den Bereich dieser Frequenz eingestellt waren.

Rosetta-Nahaufnahme des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko. Auch dieser Schweifstern gibt keine Signale auf einer Frequenz von 1420 Megahertz ab. Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA

Das stärkste Argument gegen die Kometenthese sei das Schweigen der zweiten Antenne. Dass damals nur ein Reflektor das 'Wow!'-Signal aufzeichnete, spräche eindeutig gegen diese Theorie. Denn die langsam aus den Tiefen des Sonnensystems kommenden Kometen bewegen sich einfach nicht schnell genug, um einerseits von der ersten Antenne registriert und Minuten später von der zweiten Antenne nicht mehr detektiert zu werden. "Das ist nicht logisch, Captain!", posaunt Shostak.

Der britische Astronom Alan Fitzsimmons von der Queens University in Belfast (Nordirland) bezeichnet die Kometenstudie im US-Online-Magazin "Astronomy Now" sogar als "Müll". Schließlich gebe es keinen Fall in der Literatur, der belege, dass Schweifsterne auf einer Frequenz von 1420 Megahertz Strahlung abgeben. Der größte Schwachpunkt der Studie sei aber ein anderer:

Als Paris den Kometen beobachtete, war dieser mehr als vier astronomische Einheiten von der Sonne entfernt, was bedeutet, dass dieser tatsächlich sehr inaktiv gewesen war. Dort wäre somit keine Wasserstoffwolke um den Kometen zu entdecken gewesen, und daher kann er den Kometen nicht gesehen haben.

Der ehemalige Ohio-SETI-Forscher Robert Dixon verweist vor allem auf die Tatsache, dass der Komet zum Zeitpunkt der Entdeckung im August 1977 überhaupt nicht im Sichtfeld des Antennen-Tandems gewesen war. Wenn überhaupt, dann sei dieser 55 Minuten vorher ins Blickfeld der Anlage geraten. Mit nicht minder deutlichen Worten verleiht auch der Entdecker des legendären Signals gegenüber dem "Discover Magazine" seiner Skepsis Ausdruck:

Ich erhielt eine Kopie des Artikels aus dem 'Journal of the Washington Academy of Sciences', und ich studierte diesen sorgfältig. Dabei sind meine Kollegen und ich übereinstimmend zu der Schlussfolgerung gelangt, dass keiner der beiden Kometen das 'Wow!'-Signal erklären kann.

Jerry Ehman

Quo vadis, 'Wow'-Signal?

Was nun? Was könnte eingedenk des dubiosen Ohio-Funkfeuers das wahrscheinlichste Erklärungsmodell sein, mit dem nach 40 Jahren wildem Rätselraten um die wahre Quelle des Signals allen weiteren Spekulationen Einhalt geboten wird? Könnte die Menschheit seinerzeit unwissentlich tatsächlich einen Funkfetzen einer außerirdischen intelligenten Radiobotschaft aufgefangen haben, womöglich von einem Absender, der uns in altruistisch-friedliebender Form ein Kosmogramm als Botschaft des Friedens zusenden wollte? Oder könnte es sein, dass uns eine aggressiv gesinnte außerirdische Macht vor vier Dekaden eine elektromagnetische Büchse der Pandora schicken wollte?

Fakt ist und bleibt: Es gibt nicht den geringsten Beweis dafür, dass uns vor 40 Jahren eine intelligente Lebensform aus den Tiefen des Alls - aus welchen Motiven auch immer - kontaktiert hat. Wer mit Erklärungen aufwartet und dabei behauptet, die wahre Quelle, Herkunft und Absicht des Ohio-Funkfeuers zu kennen, verkennt selbst die Fakten oder verdreht diese bewusst. Es wäre fahrlässig und in jeder Hinsicht unwissenschaftlich, das legendäre Signal automatisch auf die Stufe einer intelligenten Flaschenpost zu stellen.

Die Arecibo-Nachricht vom Frank Drake aus dem Jahr 1974 war das stärkste Radiosignal, das unseren Planeten jemals verlassen hat. Wie würde eine außerirdische Technologie reagieren, wenn es später einmal Funkfetzen davon aufschnappen würde? Bild: NRAO/Cornell/Drake

Schließlich könnten wir seinerzeit auch ein fragmentarisches elektromagnetisches Abfallprodukt eines uns bislang unbekannten astrophysikalischen Phänomens aufgeschnappt haben. Oder womöglich sorgte ein sowjetischer Spionage-Satellit oder eine verirrte irdische Forschungssonde für die ganze Aufregung. Die Koordinaten solcher einsamen Vagabunden im Orbit und Raum kann selbst der beste Prophet nicht vorhersehen.

Die banalste Erklärung für das von Jerry Ehman aufgezeichnete weltberühmte Signal lieferte Ehman selbst, als er 1994 konzedierte, dass sein Signal vielleicht ein "erdgebundenes" war, verursacht von einer Reflexion eines Stücks Weltraumschrotts. Noch heute hält er dieses Szenarium für denkbar, wenngleich auch für unwahrscheinlich.

Jerry Ehman. Bild: SETI League

Seine Erklärungsnot spiegelt zugleich das Dilemma wider, mit dem er in den letzten 40 Jahren haderte. Während nämlich immer mehr unkritische SETI-Anhänger die "Botschaft" von 1977 mystifizieren, glorifizieren und bewusst in die Nähe eines ersten echten außerirdischen Kontaktversuchs rücken, sucht er als Entdecker wie viele seiner Kollegen nach wissenschaftlich haltbaren Thesen und Erklärungen.

Dennoch pflegt auch er bisweilen den Kult. Aus seiner bislang letzten wissenschaftlichen Publikation (siehe unten), in der er seinen historischen Fund ausführlich beschreibt, geht eindrucksvoll hervor, dass er die Extraterrestren offenbar immer noch nicht ganz abgeschrieben hat:

Ich muss festhalten, dass uns eine außerirdische Intelligenz eine Botschaft geschickt haben könnte, die wir als 'Wow!'-Quelle empfangen haben. (…) Als Wissenschaftler muss ich natürlich abwarten, ob ein weiteres Signal wie die 'Wow'!-Quelle registriert wird, die von verschiedenen Observatorien empfangen und analysiert werden kann. Daher muss ich folgern, dass die Quelle des 'Wow!'-Signal für mich bis heute eine unbeantwortete Frage bleibt. Es gibt einfach zu wenig Daten, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich bin nicht in der Lage, zu beweisen, ob wir damals ein Signal von einer extraterrestrischen Intelligenz erhalten haben oder nicht. Somit bleibt das 'Wow!'-Signal mehr als drei Dekaden nach seinem Auftauchen ein faszinierendes Mysterium.

'Wow!' - A Tantalizing Candidate - Jerry R. Ehman, in: Searching for Extraterrestrial Intelligence. SETI Past, Present and Future. Hrsg.: H. Paul Such, Springer, Chicester/UK 2011, S. 47-64.

Eine kleine Reise ins Zentrum unserer Galaxie, dorthin, wo die Ursprungsquelle des gleichnamigen Signals liegen könnte.

Computerausdruck 'Wow!'-Signal in höherer Auflösung.

Buchtipp: Gerritzen, Daniel: Erstkontakt. Warum wir uns auf Außerirdische vorbereiten müssen, Franckh Kosmos Verlag, Stuttgart 2016.

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