"Hoffentlich fängt der Krieg nicht wieder an"

Seite 3: Einigung ist "nach so viel Zerstörungen und Toten nicht möglich"

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Was jetzt in der Ukraine passiere, sei vergleichbar mit Bürgerkrieg, den es 1918 in Russland gab, meint Raissa. Viele Familien in der Ukraine seien heute in zwei Lager gespalten. "In der Ukraine gibt es Propaganda. Danach lebten in Donezk und Lugansk Separatisten. Dabei waren das die beiden am stärksten industrialisierten Gebiete, welche die ganze Ukraine ernährt haben", empört sie sich.

Das Romaschka-Kinderheim, in dem bis Januar 2016 120 Flüchtlinge, darunter 47 Kinder, lebten. Bild: U. Heyden

Die 36jährige Natalja, Mutter von drei Kindern, wirft ein, "wenn die Ukraine sich von uns abgetrennt hätte, hätte wir sie nicht daran gehindert". Am Referendum im Mai 2013 hätten sich 90 Prozent der Menschen in Donezk und Lugansk beteiligt und für die Unabhängigkeit von Kiew gestimmt. Die Teile des Donezk-Gebietes, welche die ukrainischen Truppen eroberten, lebten jetzt praktisch "unter der Okkupation der ukrainischen Nationalgarde", meint Raissa.

Dass die Grenze zwischen Russland und den sogenannten Volksrepubliken - wie im Minsker Abkommen vorgesehen - jemals wieder unter Kontrolle der Ukraine kommt, glauben die Frauen nicht. "Nach so viel Zerstörungen und Toten ist das nicht möglich", meint Raissa. Und überhaupt wolle sie Staatsbürgerin Russlands werden. Petro Poroschenko sei nicht ihr Präsident. Und ihre Meinung zum Maidan 2013? Da meldet sich die 36jährige Natalja aus dem Dorf Bestschanoje bei Donezk zu Wort. "Wir waren im Schock, als wir sahen, was auf dem Maidan passierte, die brennenden Autoreifen. Das war einfach maßlos."

Natalja will mit ihren drei Kindern in ihr Dorf Bestschanoje bei Donezk zurückzukehren. Aber sie hat auch Angst. Denn dort werde "ständig geschossen". Aber ihre Kinder wollten nach Hause. "Sie haben dort ihre Freunde."

Nach ihrer Flucht im Sommer 2014 lebte Natalja mit den Kindern zunächst in einem Zeltlager, im Winter dann in festen Unterkünften. Viele Flüchtlinge seien in russische Regionen, bis weit in den Fernen Osten gereist, um Arbeit und Wohnung zu finden. Eine Freundin von ihr habe dort Arbeit in einer Brotfabrik gefunden, erzählt Natalja. Wer in Russland arbeiten wolle, werde auch Arbeit finden, wirft Raissa ein. Sie ist mit ihren 60 Jahren die älteste und erfahrenste Frau in der Gruppe.

Im Flüchtlingsheim wird Fasching gefeiert. Bild: U. Heyden

Beim Geräusch eines Flugzeuges flüchten die Kinder

Bei meinem Rundgang durch das Flüchtlingsheim werde ich von Aleksandr Tretjakow, dem stellvertretenden Leiter des Neklinowski-Bezirks begleitete. Der russische Beamte erzählt, dass er in den letzten zwei Jahren selbst drei Familien aus der Ukraine aufgenommen habe.

Erschüttert war er von einem Erlebnis, als er nachts mit den ersten Flüchtlingskindern im Heim ankam. "Da startete in der Nachbarstadt Taganrog ein Flugzeug. Die Kinder laufen augenblicklich auseinander und versteckten sich hinter Bäumen. Ich habe geweint. Wir haben sie lange gesucht." Als ich ihn frage, ob er den Lesern in Deutschland etwas sagen will, wird der Beamte plötzlich sehr emotional. "Lasst uns in Frieden miteinander leben. Ich habe einige Freunde in Deutschland. Lasst uns zusammen Geschäfte machen. Lasst uns zusammen in den Weltraum fliegen."

"Hoffentlich fängt der Krieg nicht wieder an", sagt die Rentnerin in grünem Pullover aus dem Dorf Krasnyj Jar. Die Frau wirkt unruhig. Sie hat wie alle ukrainischen Rentnerinnen in den letzten beiden Jahren viel durchmachen müssen. Das Leben im Kinderheim an der Taganrog-Bucht ist da wie ein kurzer Sonnenstrahl.