Holländische Telekom kauft XS4ALL

Die Cyberliberalen werden reich

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Der Amsterdamer Provider XS4ALL stellte sich selbst in Europa als sozial engagiert und kritisch dar: das brachte seinen Gründern Geld ein. Liberalismus und Geschäft gehen zusammen, aber auch Cyberliberalismus und Cyberbusiness.

KPN Telekom, die privatisierte Telekom der Niederland, hat die belgischen und holländischen XS4ALL-Firmen aufgekauft. Die Ex-Hacker und Mitbegründer Rob Gonggrijp und Felipe Rodriquez sind jetzt Millionäre. In der Pressemitteilung vom 17.12. sagt XS4ALL, daß man "sozial engagiert" bleibe und weiterhin den "unabhängigen, kritischen Standpunkt in der sozialen Diskussion über das Internet" einnehme. Das wird zweifellos so sein, solange das Image vermarktbar ist. Die Firma verwendete sein "alternatives" Image, um Angestellte, besonders natürlich in der schwierigen Anfangsphase, mit niedrigen Gehältern zu beschäftigen. Die erreichte Marktposition ließ sich jetzt in "Stockholder Value" umsetzen, indem man die Firma der KPN verkaufte.

Über die KPN sagte Gonggrijp scheinheilig in einem Interview im Februar 1995:

Das Wichtigste beim Hacken ist die "Geisteshaltung", die man einnimmt, wenn man sich umsieht ... Das war nur so, weil eine Menge bei der Technik falsch läuft, der wir so sehr trauen. Wenn die holländische Telekom eine neue Erfindung, wie das digitale Telefonverzeichnis im letzten Monat, auf den Markt bringt, dann sind wir die ersten, die die Schwächen in dem System demonstrieren. Solche Informationen würde man niemals von großen Unternehmen erhalten. Eine andere Parole von uns ist, daß man niemals dem Vertrauen schenken soll, was in den Benutzerhandbüchern steht. Hacke das System. Nur dann wirst du wissen, wie sicher es ist. Ich selbst schaue mir immer an, wo die schwachen Punkte in einem System sein könnten. Die ganze Welt um uns herum verändert sich schnell in Systeme. Es ist wichtig zu lernen, selbst darüber nachzudenken und nicht blind der selbsternannten Elite Vertrauen zu schenken, die angeblich alles weiß.

Jetzt hat er XS4ALL derselben Telekom, derselben Elite verkauft, die er einst kritisierte. Er wurde zu einem Mitglied dieser Elite: mit seinen liberalistischen politischen Ansichten war er dies schon immer. Alle Geschäftsleute sind Liberale, und die Cyber-Geschäftsleite sind cyberliberal. Der Provider XS4ALL entstand aus dem Amsterdamer Hackerclub Hacktic. Wie andere vergleichbare Gruppen in Europa zog er Libertäre (anti-staatliche Ideologen des freien Marktes) und Technoliberale an. Hacktic und das sozialliberale Kulturzentrum De Balie stellten auch das erste Telecity-Projekt in Europa auf die Beine: Die Digitale Stad. Die gesamte Pro-Internet-Politik in den Niederlanden war immer stets explizit liberal und oft auch libertär. So ist es nicht überraschend, wenn Menschen, die für ein Cyberspace-Modell des freien Marktes eintreten, sich schließlich als geldgierige Geschäftsleute erweisen. Das Internet als Hyperliberalismus zeigt sich jeden Tag als wahrer.

Ein findiger Geschäftsmann wie Felipe Rodriguez kann beispielsweise auch aus linken Anti-Zensur-Kampagnen Profit ziehen. Die Digitale Stad ist jetzt eine halbkommerzielle Portalsite. Die meisten der digitalen Städte sind, nur drei Jahre nachdem Digerati prophezeiten, sie würden die urbane Demokratie wiederbeleben, zu solchen kommerziellen Portale geworden. Desk.nl, der Provider für Künstler und Host für Nettime gestaltet jetzt "millenium e-cards" für Versicherungsunternehmen. Eine "virtuelle Gemeinschaft" bedeutet heute eine Liste potentieller Kunden. Die Cybertheorie vom letzten Jahr ist in diesem Jahr das Vermarktungsinstrument: keine Idee im Cyberspace ist noch nicht kommerzialisiert worden.

Dieser Trend wird in ganz Europa weitergehen. Der elektronische Raum wird durch die Marktkräfte immer kommerzieller, monopolistischer und in den Inhalten enger werden. Die Macht wird zentralisierter sein und die Ungleichheit zunehmen. Mehr Menschen werden gering bezahlte Jobs in einem Call-Center oder in Büros haben, während der Reichtum von wenigen Shareholders dramatisch ansteigen wird. das ist genauso wie im nicht-elektronischen Raum des freien Marktes. Überraschend ist jedoch, wenn noch jemand glauben sollte, daß dessen elektronisches Äquivalent idealistisch, progressiv, befreiend oder egalitär sei. Es ist nichts Gutes am Internet. Das Internet ist falsch in sich selbst - und das war es schon immer. Es zieht ebenso wie der freie Markt die geldgierigen, rechten Scheinheiligen an. Dafür sind die Ex-Hacker-Millionäre ein guter Beweis.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer