Homo Deus: Gehirn-Upload, Unsterblichkeit, Künstliche Intelligenz

Seite 3: Cyborgs und künstliches Bewusstsein

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Ein Zwischenweg könnte allenfalls eine Symbiose aus Biologie und Technologie sein, also ein echter Cyborg. Gedankenexperimente, bei denen Zelle für Zelle durch eine funktional gleichwertige Siliziumstruktur ersetzt wird, wurden von Philosophinnen und Philosophen bereits vor Jahrzehnten diskutiert (man denke etwa an David Chalmers).

In diesem Fall würde es jedenfalls prinzipiell keinen Unterschied im Verhalten zwischen Ihnen und Ihrem Cyborg geben. Was das für Ihr Bewusstsein bedeutet, ist eine schwierigere Frage, die auch davon abhängt, was wir unter "Bewusstsein" verstehen (man denke wiederum an Chalmers und seine berühmten Zombies oder Thomas Metzingers Gedanken über künstliches Bewusstsein).

Nano-, Informations- und Biotechnologie

Inwiefern es sich bei dem Cyborg-Szenario um eine realistische Zukunftsvision handelt, hängt von den zukünftigen Möglichkeiten der Nano- und Informationstechnologie ab. Damit ist freilich noch nichts darüber gesagt, wie vielen Menschen der Übergang in ein Cyborgbestehen offen stehen wird; und ob es sich dann nicht eher um ein Kollektiv halten wird wie bei den Borg von "Raumschiff Enterprise".

In diesem Szenario sehe ich aber die einzige Variante für echte Unsterblichkeit; ohne Cyborgs könnte man allenfalls noch an biomedizinische Verjüngungskuren denken, die etwa in mehreren von Robert A. Heinleins Science-Fiction-Romanen eine Rolle spielen. Aber auch dann bleibt offen, wer davon profitieren kann. Darauf werde ich am Ende noch zurückkommen.

Heute: Enhancement und Gehirndoping

Damit bleibt nur noch die letzte These: Wird es den Über- oder Gottmenschen geben? Und wenn ja, wie wird so eine Gesellschaft dann aussehen?

Sind diejenigen, die heute schon Psychopharmaka oder andere Drogen konsumieren, Transhumanisten? In Medien, Wissenschaft und Philosophie wird deren Verhalten wahlweise als "Enhancement" oder "Gehirndoping" beschrieben (Eine Million dopt regelmäßig am Arbeitsplatz).

Geschieht dies zum besseren Funktionieren am Arbeitsmarkt, dann sind diese Konsumenten in meinen Augen eher Präteritummenschen, also Menschen der vergangenen Zeit (von lat. praeteritum = vorübergegangene Zeit, Vergangenheit), wie bei der Amphetamin-Epidemie der 1940er bis 1960er Jahre oder den Frühzeiten der Industrialisierung: Die Körper passen sich an die Regeln der Zeit an (Buchtipps hierzu: Norman Ohlers "Der totale Rausch: Drogen im Dritten Reich" sowie Nicolas Rasmussens "On Speed: The Many Lives of Amphetamine").

Geht es hierbei um Bewusstseinserweiterung und "Psychonautik", dann kann ich das eher als Transhumanismus begreifen, also das Übersteigen des heutigen Menschen; jedenfalls dann, wenn es nicht bloß um Spaß an der Freude geht, sondern um wirklich neues schöpferisches Tun. Streng genommen ist aber auch dies wiederum nicht neu, haben Naturvölker doch schon vor Urzeiten Psychedelika gebraucht und tun dies bis heute, sofern sie nicht durch unsere "aufgeklärten" Vorfahren ausgerottet wurden.

Die Gesellschaftsordnung entscheidet

Die Frage, wie so eine Zukunft aussehen wird, entscheidet sich für mich weniger an den technologischen Möglichkeiten als an der Gesellschaftsordnung - und dabei vor allem den Herrschafts- und Besitzverhältnissen. Dafür brauchen wir kritische Geistes- und Sozialwissenschaften, einschließlich Rechtswissenschaft und Ökonomik beziehungsweise Volkswirtschaftslehre, die manche Technophilen ja am liebsten als nutzlos abschaffen wollen (schlagkräfte Gegenargumente finden sich in Nuccio Ordines "Von der Nützlichkeit des Unnützen").

Anders formuliert: Schauen wir uns die heutige Gesellschaftsordnung an und die Rolle der Technologie in ihr - und extrapolieren wir dieses Bild in die Zukunft. Gehen wir also nach dem Induktionsverfahren vor, mit allen seinen Fallstricken (man denke an Karl Popper). Ja, wer sagt mir, dass nach einer Million Sonnenaufgängen auch beim Ein-Million-und-ersten-Mal die Sonne aufgehen wird? Niemand. Und doch wird die Sonne höchstwahrscheinlich morgen wieder aufgehen.

Wer besitzt unsere Daten?

Den Besitz an Daten haben heute Großunternehmen, viele davon US-amerikanisch, man denke an Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft. Gesetze zum Schutze "geistigen Eigentums" oder von Patenten gelten beinahe weltweit; wo sie noch nicht gelten, werden sie unter anderem über die Regeln der Welthandelsorganisation eingeführt: keine Kredite ohne unser westliches Recht.

Es mag weiterhin einige Glücksritter geben wie Bill Gates, Steve Jobs - mit Grüßen an die Transhumanisten: seine Milliarden konnten ihn nicht vor dem Tode retten; seine Witwe und Erbin ist nun die reichste Frau in der Technologiebranche - oder Mark Zuckerberg, die zur rechten Zeit am rechten Ort auf eine neue Technologiemode aufspringen und damit zu beinahe grenzenlosem Reichtum und viel Macht kommen.

Diese Milliardäre bieten uns viele Dienstleistungen "gratis" an. Wir bezahlen mit unseren Daten. Warum? Damit wir berechenbarer werden, zur Zeit vor allem unser Kaufverhalten. Es geht um zielgerichtete Werbung; mitunter aber auch schon die gezielte Beeinflussung bei Wahlen, kurzum: Manipulation von Menschenmassen. Wir zählen nicht als die autonomen Subjekte der Aufklärung, sondern als Käuferinnen und Käufer von Produkten.

Diese Technologien bieten uns damit keine Befreiung oder Empowerment, sondern Unterwerfung, die wir nicht als solche Wahrnehmen, weil wir die Werte der Konsumgesellschaft verinnerlicht haben. Zum Vergleich: Einen Großteil des Lebens für die Karriere zu Opfern, wird von vielen Feministinnen heute als Emanzipation verkauft (Werbung für den Karrierefeminismus). Warum? Weil Karriere mit Sinn und Erfolg im Leben gleichgesetzt wird. Philosophen aristokratischer Herkunft sahen in Erwerbsarbeit dagegen eine Form von Sklaverei.

Ein aktuelles Beispiel ist die Automatisierung und Digitalisierung von Autos. Der derzeit diskutierte Gesetzesentwurf der Bundesregierung zieht noch nicht einmal in Betracht, dass die gesetzlich aufgezeichneten Fahrdaten den Fahrzeuginhabern gehören könnten - zur Diskussion stehen allein die Auto- und Softwarehersteller.

Natürlich können und werden solche Daten bei Haftungsfragen gegen die Fahrerinnen und Fahrer verwendet werden. Wieder bestimmen Gesetze, Lobbygruppen und Herrschaftsverhältnisse die Folgen einer Technologie. Diejenigen, die die Daten mit ihrem Verhalten produzieren, werden noch nicht einmal gefragt.

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