Hongkong: Demokraten gewinnen die Kommunalwahlen
Die pro-demokratische Protestbewegung jubelt über den "Erdrutschsieg", obwohl 40 Prozent das pro-chinesische Lager wählen. Die Stadt bleibt gespalten
Das pro-demokratische Lager gewinnt die Kommunalwahlen deutlich, nach monatelangen Kämpfen hat die Protestbewegung für ein demokratisches Hongkong Grund zu feiern. Zum ersten Mal seit der Übergabe von 1997 erhält es die Mehrheit der Sitze im Bezirksrat (District Council). Die Pro-Demokraten gewannen dank des Winner-takes-all-Prinzips knapp 400 von 452 Sitzen, obwohl sie nur etwa 60 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnten. Insgesamt gehen 17 der 18 Wahlkreise an die Demokraten. Bei den Wahlen im Jahr 2015 hatte das pro-demokratische Oppositionslager keinen einzigen Bezirk gewinnen können.
Das pro-chinesische Lager um die Partei "Democratic Alliance for the Betterment and Progress of Hong Kong" (DAB) besetzt künftig nur noch 59 Sitze. Bei den Wahlen 2015 hatte das pekingtreue Lager drei Viertel der Mandate (292 Sitze) gewonnen, und alle 18 Bezirksräte besetzen können. Dass das pro-chinesische Lager diesmal nicht komplett leer ausging, liegt an der Besonderheit der Sitzverteilung im Islands District. Dort stehen acht von 18 Sitzen nicht zur Wahl, sondern werden von Amts wegen besetzt. Von den wählbaren elf Sitzen errang die pro-demokratische Seite sieben Sitze, musste sich dennoch geschlagen geben.
Chief Executive Carrie Lam, die zum pro-chinesischen Lager gehört, akzeptierte das Wahlergebnis und versprach in einer Erklärung am Montagmorgen, dass die Regierung der Sonderverwaltungszone der Öffentlichkeit "demütig zuhören und gründlich nachdenken" werde. Die Protestbewegung fordert seit Monaten ihre Absetzung, und freie, demokratische Wahlen zur Bestimmung der Position des Chief Executive.
Chinas offizielle Nachrichtenagentur Xinhua und der staatliche Fernsehsender CCTV berichteten laut SCMP spärlich über die Wahlen und wiederholten jeweils, dass die Beendigung der Gewalt und die Wiederherstellung der Ordnung oberste Priorität habe. Die chinesische Staatszeitung Global Times unterstrich hingegen die Stimmverteilung, die nicht für eine, wie in vielen Medien betitelte, "desaströse Niederlage" für das pro-chinesische Lager spreche. Immerhin habe die pro-chinesische Seite insgesamt mehr als 40 Prozent der Stimmen erhalten. Die Unterstützung für die Pan-Demokraten sei daher "nicht überwältigend". Die Wahlen seien von Sentimentalitäten geprägt, und dürften nicht überbewertet werden. Die Wahl des Chief Executive durch das Legislativkommittee im nächsten Jahr sei ausschlaggebender für die Zukunft der Sonderverwaltungszone.
Wu Chi-wai, der Vorsitzende der Demokratischen Partei, deren 99 Kandidaten 91 Sitze gewinnen konnte, sieht im Wahlergebnis eine gespaltene Gesellschaft, die nun viel Sorgfalt brauche, um zueinander zu finden. Er befürwortet den Rücktritt von Carrie Lam und die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchung der Polizeiaktionen gegen die Demonstranten.
Geringe Einflussnahme der Bezirksräte
Die Wahl stärkt der pro-demokratischen Bewegung den Rücken, jedoch kommt den neuen Bezirksräten letztlich kein großer politischer Einfluss zu. Sie verwalten einen Teil der öffentlichen Finanzen und sind unter anderem für den öffentlichen Nahverkehr, die Gesundheitsversorgung und die Müllentsorgung zuständig. Sie haben kein direktes Mitspracherecht für das Programm des Chief Executive, dennoch galten die Wahlen als ein Stimmungstest darüber, ob die Protestbewegung noch die schweigende Mehrheit der Hongkonger hinter sich hat, und ob die Öffentlichkeit weiter zu den jungen Demonstranten steht. Bürgerkriegsähnliche Zustände in den letzten Wochen hatten Zweifel aufkommen lassen, ob die Gewaltausschreitungen die Zivilgesellschaft nicht überstrapazieren.
Bei den kommenden Wahlen des Chief Executive könnte sich jedoch der pro-demokratische Einfluss bemerkbar machen. Der Bezirksrat darf im Wahlausschuss 117 Mitglieder nominieren. Insgesamt wählt dann ein Kommittee mit 1200 Mitgliedern die Nachfolge von Chief Executive Carrie Lam. Dieses Gremium wird in der Regel von pekingfreundlichen Geschäftsinteressen dominiert.
Rolle der USA?
Seit Monaten demonstrieren Hunderttausende Menschen in Hongkong für mehr Demokratie, unter anderem zur Abschaffung des Wahlsystems per Legislativkommitee, und stattdessen für freie, demokratische Wahlen. Unterstützung für die Demokratie-Bewegung kommt derweil von amerikanischer Seite, vor allem von den Republikanern. Das US-Repräsentantenhaus und der Senat haben den Gesetzesentwurf zur "Menschenrechts- und Demokratieverordnung" (Hong Kong Human Rights and Democracy Act of 2019) bewilligt. Es fehlt noch die Unterzeichnung durch Präsident Trump, sie gilt als gewiss.
Mit dem Gesetz können die USA Sanktionen gegen Personen verhängen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Konkret fordert die Gesetzesvorlage das Einfrieren des Vermögens chinesischer Staatsangehöriger und staatseigener Unternehmen, die die Demonstrationsfreiheit der Hongkonger unterdrücken. China kritisiert dieses Vorhaben wiederholt scharf als Einmischung in interne Angelegenheiten.
Das Hong Kong Human Rights and Democracy Act ähnelt im Vorhaben dem "Sergei Magnitsky Rule of Law Accountability Act of 2012" und dem "Global Magnitsky Act", das weltweit Menschenrechtsverletzungen ahndet - wenn es den Interessen der Vereinigten Staaten dient. Ein weiteres Mittel um Druck auszuüben im Handelskrieg zwischen den USA und China, der Hongkongs Zukunft eher entscheiden wird, als Gewinne bei Kommunalwahlen.