IS-Kämpfer befinden sich bereits in der kurdischen Stadt Kobane
Die Kurden fordern die Weltöffentlichkeit zu handeln auf, die USA unternehmen nichts gegen den Vormarsch, die Türkei will nun angeblich helfen, aber das ist eher unwahrscheinlich
Das Pentagon meldet, dass in Syrien mehrere Angriffe gegen den Islamischen Staat geflogen wurden. Bei Deir ez-Zor im Osten seien zwei Panzer zerstört und südlich von Al-Hasaka ein Stützpunkt, nordöstlich von Aleppo ein Gebäude sowie nördlich von Rakka zwei Ölraffinerien und ein Trainingslager getroffen worden. Ein Angriff auf ein Artillerie-System bei Rakka sei hingegen nicht erfolgreich gewesen. Offenbar ist die US-Regierung weiterhin nicht willens, den kurdischen Verteidigern der von großen IS-Verbänden mit schweren Waffen umzingelten Stadt Kobane zu helfen. Auf syrischer Seite ist die Grenzstadt völlig eingekesselt, auf türkischer Seite stehen Panzer und ein Grenzzaun, türkische Sicherheitskräfte suchen zu verhindern, dass Menschen und Waffen zu den Kurden gelangen.
Aus der Stadt gab es bereits eine Massenflucht. Jetzt rücken die IS-Kämpfer immer näher heran und drängen die Kurden immer weiter zurück. Diese rufen erneut um Unterstützung und warnen vor dem nächsten Massaker. Die Angriffe, die seit 15. September andauern, seien an einem kritischen Punkt angelangt. Lange können die Kurden, die gegen die schweren Waffen des IS nicht viel aufzubieten haben, wohl die Stadt nicht mehr halten. Die der PKK nahestehende YPG-Miliz der syrischen Kurden von der Partei der Demokratischen Union (PYD), eine der wenigen nicht-islamistischen Kräfte in Syrien, sieht sich in einem "heroischen historischen Kampf gegen IS-Gangs, den Feinden der Menschheit". Sie werfen den westlichen Ländern vor, den gegen den IS kämpfenden Kurden nicht zu helfen. Enwer Muslim, der Vorsitzende des Kobane-Kantons, sagte verzweifelt: "Wenn der IS Kobane einnimmt und ein Massaker begeht, werden die internationalen Mächte verantwortlich gemacht werden."
Nach Medienberichten sind IS-Einheiten bereits in die Vorstädte von Kobane vorgedrungen, nachdem sie alle Dörfer und Städte ringsum bereits eingenommen haben. Die PYD kündigte zwar einen Stadtkampf an, der dem IS die Hölle bereiten werde, aber eine realistische Chance haben die kurdischen Kämpfer wohl nicht, wenn sie nicht entschieden von der USA und ihrer Koalition und/oder der Türkei unterstützt werden. In der Stadt sollen sich nur noch wenige Zivilisten aufhalten, die sich auf eine Flucht in die Türkei vorbereiten.
Das türkische Parlament hatte die Regierung gestern ermächtigt, Truppen im Kampf gegen terroristische Gruppen in den Irak und nach Syrien entsenden zu können (Türkisches Parlament erteilt der Regierung Ermächtigung zum Krieg). Die YPG gilt aber auch wegen ihrer Verbindung zur PKK als Terrorgruppe, obgleich seit zwei Jahren Verhandlungen mit der PKK laufen. Bislang hat die türkische Regierung, der die Kurden eine Unterstützung des IS vorwerfen, dem Vordringen zugeschaut. Zwar wurden die Flüchtlinge aufgenommen, die aus Kobane geflohen sind, aber die Grenze wurde für Unterstützer gesperrt, gegen Demonstranten ist man hart vorgegangen. Zu vermuten ist, dass die türkische Regierung, die in Syrien Schutzzonen einrichten will, erst einmal den IS den kurdischen Widerstand brechen lassen will, um dann womöglich das Gebiet zur Schutzzone zu erklären.
Allerdings hatte der türkische Regierungschef Ahmet Davutloğlu gestern gegenüber Journalisten gesagt, die Türkei ziehe es vor, wenn Kobane kurdisch bleibe: "Wir würden nicht wünschen, dass Kobane fällt. Wir werden alles tun, um das zu verhindern." Das ist zwar eine Wende der türkischen Position. Aber die Situation ist so scheinheilig wie verfahren. Einzig die von der USA geführte Koalition könnte mit massiven Luftangriffen die Stellungen und Waffen des IS so schwer treffen, dass die kurdischen Verteidiger eine Chance haben. Die Türkei könnte sich der Koalition nach dem erhaltenen Mandat schnell anschließen, um dies zu befördern. Würde die Türkei direkt in die Kämpfe eingreifen, riskiert sie es, in einen Krieg mit dem Assad-Regime hineingezogen zu werden. Die Türkei fordert zwar, dass neben der Bekämpfung des IS auch das Assad-Regime gestürzt werden müsse, daran scheint die US-Regierung aber kein Interesse zu haben, zumal dann auch der Iran und Russland mit ins Spiel kämen. Vielmehr wird durch die selektiven Angriffe die Position von Assad gestärkt. Und ob die "gemäßigten" Oppositionellen, die von den USA in Saudi-Arabien - und jetzt auch in Georgien? - geschult werden sollen, dann nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen Assad kämpfen werden, ist fraglich.
Gestern fand eine in der Nähe von Ankara eine große Truppenübung statt. Getestet wurde offenbar die Feuerkraft aller Waffensysteme der Armee. Man will offenbar gerüstet sein, wenn ein Einsatz erfolgt. Erstmals wurde öffentlich auch der neue Kampfhubschrauber Atak-1 in der Übung vorgeführt.
Offenbar soll von der türkischen Regierung die Möglichkeit, schnell einen Einmarsch rechtfertigen zu können, aufrechterhalten werden. Dazu dient die türkische Enklave 30 km südlich von Kobane. Dabei handelt es sich um das Grab von Süleyman Shah, das permanent von 26 türkischen Soldaten bewacht wird. Schon länger machte die türkische Regierung klar, dass die Enklave wie die Türkei selbst bei einem Angriff verteidigt würde. Durch ein im März geleaktes Gespräch zwischen dem türkischen Außenminister, dem Chef des Geheimdiensts, Hakan Fidan, dem Staatsekretär Feridun Sinirlioğlu und dem General Yaşar Gürel wurde auch klar, dass man durchaus über False-Flag-Operationen nachdenkt, also etwa einen Angriff auf das Grab simuliert, um dann intervenieren zu können. Vor kurzem hieß es vom Regierungschef vor dem Parlamentsbeschluss über das Kriegsmandat, das Grab sei bereits von der IS-Miliz umstellt (Die Welt schaut dem Angriff des IS auf Kobane zu). Der türkische Präsident Erdogan widersprach und erklärte, das sei nur ein Gerücht. Daraufhin versicherte General Özel den Soldaten - und der türkischen Bevölkerung -, dass das ganze Volk hinter ihnen stehe, das Militär wäre in einer Sekunde bei ihnen, falls etwas geschehen sollte. Erdogan beeilte sich daraufhin, den Soldaten ebenfalls zu erklären, die Nation stehe hinter ihnen und die Streitkräfte würden "ohne Verzögerung" zur Hilfe kommen.