Ibiza-Affäre, Schredder-Affäre, Casinos-Affäre - und wie weiter?
Seite 2: Zwei Aspekte der Empörung: Fallensteller und deren Beutetiere
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Beide Seiten zu beleuchten und sie nicht gegeneinander auszuspielen, scheint im Moment die aufklärerische Hauptaufgabe zu sein. Fassen wir noch einmal Ibiza-Gate, Schredder-Gate und Casinos-Gate zusammen:
- Da gab es zwei törichte Politiker, die ihr autokratisches Weltbild offenbart haben - es gab aber auch ein Team, das genau das mit erheblichem Aufwand herauskitzeln wollte. Wir wissen bis heute nichts über die wahren "Hintermänner".
- Da gab es offenbar eine Festplattenvernichtung, die stümperhafter nicht hätte laufen können. Auf der anderen Seite hat das offenbar nicht nur die ÖVP so gemacht.
- Da gab es womöglich Postenschacher bei der Casinos Austria AG, aber es gab auch eine etwas seltsam geschriebene, stilometrisch auffällige Anzeige und eben wieder einen Anzeigenden mit Motiven.
Der Sachverhalt wird komplexer, wenn man bedenkt, dass das eine und das andere zwar immer zusammenhängen, aber auch analytisch getrennt voneinander betrachtet werden müssen: Ich kann die dummdreisten und bedrohlichen Aussagen von Strache und Gudenus moralisch bewerten, ohne dass ich den Entstehungskontext mit ins Kalkül ziehe. (So wie ich die Schwere eines Plagiatsfalls unabhängig davon beurteilen kann, welche Motive jene Person hatte, die mir den Fall gemeldet hat.)
Eine Wahrheit, viele Versionen der Wirklichkeit? Oder nur (noch) Versionen?
Es bleibt ein tiefes Unbehagen mit den vielen Versionen. Vielleicht haben wir eben nicht viele Versionen der einen Wirklichkeit, sondern überhaupt nur die vielen Versionen - wie dies Nelson Goodman, Josef Mitterer und wenige andere erkenntnistheoretische Radikalisten behaupten. Die eine Wirklichkeit wäre dann auch nicht unerkennbar wie bei Kant, ja selbst die Behauptung, dass es sie gibt oder nicht, wäre schon zu viel gesagt. Wir könnten sie schlichtweg aus unserem Vokabular streichen.
Der Unterschied zwischen sozialistisch und kapitalistisch organisierten Medien wäre dann der, dass sozialistische Medien nur eine Version, nur eine Wirklichkeitskonstruktion präsentieren, während kapitalistische Medien eine bunte Vielfalt an Versionen, viele verschiedene Wirklichkeitskonstruktionen servieren. Und das Geld bestimmt in der kapitalistischen Variante, welche Wirklichkeiten die hegemonialen sind. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Mir ist das immer noch lieber als die sozialistische Variante mit all ihren exekutierten Unmenschlichkeiten, aber wohl fühle ich mich mit den derzeitigen Verhältnissen auch ganz und gar nicht.
Ich war lange Zeit (Radikaler) Konstruktivist. Heute sehne ich mich nach Wahrheit und Erkenntnis, in einem strikt empirischen Sinne. Ich sehe im Moment nicht, dass ich die irgendwo her bekomme. Wir bräuchten, wenn wir an Wahrheit und Erkenntnis festhalten wollen, an der einen Wirklichkeit, eine Art "empirischen Journalismus", wie immer der auszusehen hat: datengetrieben, statistisch fundiert. Aber auch Statistiken können manipulieren. Wir kommen aus dem Problem offenbar nicht heraus.
Anmerkung: Für alle hier namentlich genannten oder indirekt angeführten Personen gilt, sofern es um den Verdacht von Straftaten geht, die Unschuldsvermutung.
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Stefan Weber ist Universitätslektor, Medienwissenschaftler und Plagiatsgutachter in Österreich.