Ich fraß die Zeitung

Kannibalisiert das Internet die "alten" Medien? - Studie über Journalismus in den USA

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Glaubt man einer kürzlich erschienenen Studie des Project for Excellence in Journalism, so macht der Journalismus gerade eine epochale Veränderung durch, so tiefgreifend wie einst bei der Erfindung des Telegrafen oder des Fernsehers.

Bilder: Project for Excellence

Das "Project for Excellence in Journalism" ist eine Institution, die mit der Columbia University verbunden ist. Die neue Studie wurde von den Pew Charitable Trusts angeregt und finanziert, die einzelnen Kapitel wurden von Mitarbeitern und Autoren des Project for Excellence verfasst, unter Bezugnahme auf zahlreiche Quellen. 500 Seiten stark, nimmt das Ergebnis in Anspruch, ein aufschlussreicher Schnappschuss des modernen Nachrichtenjournalismus in den USA zu sein, bisher beispiellos in seiner Art. The State of the News Media 2004 untersucht Inhalte, Zielgruppen, Besitzverhältnisse, Ökonomie und Öffentlichkeitswirkung von Medien in insgesamt acht Sektoren: Zeitungen, Magazine, Online-Publikationen, Radio, terrestrisches, Kabel- und Lokalfernsehen sowie alternative Publikationen.

Gesunde Signale oder Chaos?

Ziel war es, sich über die "Standards des amerikanischen Journalismus klar zu werden und diese zu erhöhen". Denn sein Image ist schlecht. Nicht nur bei Präsident Bush, der im Dezember gegenüber ABC sagte, dass er es vorziehe, seine Nachrichten nicht von Journalisten zu beziehen, sondern von Menschen, denen er traue und die "mir die aktuellen Nachrichten überbringen, ohne sie redaktionell zu bearbeiten". So würden Nachrichtenmedien von Insidern im Weißen Haus lediglich als eine "Special Interest Gruppe" angesehen, der es ums Geschäft geht, nicht darum Informationen zu liefern. Umfragen schreiben diese Ansicht in zunehmendem Maße auch der breiten Öffentlichkeit zu.

Ob die zunehmende Vielfalt und Unübersichtlichkeit von Nachrichtenmedien, besonders im Internet, dazu beiträgt, eine oligarchische Kontrolle aufzubrechen und neue gesunde Signale auszusenden oder vielmehr zu Chaos und unqualifizierter Infoflut führt - darüber waren die Verfasser der Studie geteilter Meinung. Es gebe sowohl mehr "Qualitätsnachrichten" als je zuvor, gleichzeitig gäbe es auch mehr triviale, einseitige und falsche Meldungen. Welche Ansicht man auch vertrete, in jedem Fall sei alles im Begriff sich zu ändern. Die Fragmentierung des Journalismus habe weitreichende Konsequenzen darauf, "was wir wissen, wie wir miteinander vernetzt sind und darauf, wie wir Probleme lösen". Dabei werde die Rolle des Journalisten als Vermittler, Redakteur, Überprüfer und Filter immer schwächer; doch sei gerade seine Funktion als "Gatekeeper", Interpret und "Wachhund" so wichtig wie nie zuvor.

Das Internet als Medium, welches "am erfolgreichsten darin ist, junge Leute an Nachrichten heranzuführen, etwas womit die älteren Medien schon Probleme hatten, bevor das Internet überhaupt existierte", wird auch in anderer Hinsicht kontrovers besprochen. So ist von der Gefahr einer Kannibalisierung der konventionellen Medien durch das Web die Rede.

Das Problem ist ein ökonomisches. Wie kann Webjournalismus rentabel werden? Wenn Nutzer ihre alten Nachrichtenquellen immer mehr durch das Netz ersetzen, bevor es ein robustes ökonomisches Modell für das Web gibt, könnte das einen verheerenden Einfluss auf den Journalismus haben. Gesellschaften würden drastische Kürzungen im Bereich Personal und Recherche vornehmen, wenn die alten profitablen Plattformen weniger genutzt würden. In diesem Fall würde das Netz die ökonomische Vitalität der Nachrichtenmedien und die Qualität des amerikanischen Journalismus schwächen.

Der amerikanische Medienkonzern Gannett verdient im Zeitungssektor in einer Woche mehr als im Onlinesektor jährlich. Der Kampf zwischen Zeitungs- und Onlinemedien hat noch gar nicht richtig begonnen, aber ist auch lange noch nicht vorbei. Ähnlich wie im Zeitungsbereich dominieren in den USA eine Handvoll Giganten den Online-Journalismus. Zwei der vier großen News-Sites werden von Time Warner unterhalten. Insgesamt liegen 69 Prozent der meistbesuchten Websites in den Händen der 20 größten Medienkonzerne. Das Web ist das einzige Mainstream-News-Medium, in welchem die Zahl der Nutzer wächst: Die Studie schätzt sie auf 80-105 Millionen US-Amerikaner.

Laut Nielsen/NetRatings konnten die 20 amerikanischen Top News-Sites zwischen Mai 2002 und Oktober 2003 einen Traffic-Zuwachs von 70 Prozent erreichen. Die meistbesuchten Nachrichtenseiten CNN und MSNBC.com verzeichneten im Oktober mehr als 20 Millionen Besucher. Yahoo und AOL folgten mit 17 und 16 Millionen im Monat.

Danach gefragt, wie wichtig das Internet als Informationsquelle auf einer Skala von 1 bis 5 sei, schätzten 38 Prozent der befragten Onlinenachrichtennutzer das Netz als "extrem wichtig" (5) ein. Ein weiteres Drittel vergab eine 4. Nur ein Prozent der Befragten hielt das Internet für eine vollkommen unwichtige Informationsquelle(1).

Gegen eine Kannibalisierung der alten Medien durch das Internet sprechen UCLA-Daten über das Nutzerverhalten, welche nahe legen, dass sich die beiden Quellen nicht unbedingt gegenseitig "auffressen". So genannte starke Konsumenten von Online-Nachrichten sind demnach auch starke Konsumenten von Zeitungen. Auch mittlere und leichte Konsumenten verteilen ihre Gunst recht gleichmäßig auf beide Nachrichtenquellen; ein Abnehmen des Zeitungskonsums sei nicht zu verzeichnen. Ganz im Gegenteil könnte also, wenn pfiffig gearbeitet werde, der Onlinebereich den Zeitungsbereich fördern und umgekehrt - im Sinne einer gegenseitigen Ergänzung. "Kultur, Visionen und Mumm" seien nötig, wenn Medienkonzerne online investieren.

Erstaunlicherweise habe eher das Fernsehen unter der Beliebtheit des Internet zu leiden, obwohl das Netz zumeist noch vor allem als Text-Medium daherkomme. In Zukunft, so die Studie, würden die Unterschiede zwischen Fernsehen und Internet immer mehr aufweichen.

Blogs

Der Software-Hersteller Perseus Development Corp. hat die Zahl der Weblogs in den USA auf 4,12 Millionen geschätzt. 66 Prozent davon sollen jedoch schon wieder stillgelegt sein, ein Viertel davon nur einmal benutzt. Lediglich 2,6 Prozent der Blogs würden wöchentlich aktualisiert. Mehr als die Hälfte der Blogger seien Teenager, 40 Prozent in den 20ern. Auf der Online News Association 2003 wurde das Jahr 2004 mehrmals und lautstark als das "Jahr des Bloggings" ausgerufen. Der Einfluss der Weblogs sei jedoch mehr intellektuell als kommerziell zu sehen. Mit den Blogs sei ein neuer Typ des Konsumenten geboren, der "Pro-sumer", welcher gleichzeitig als Leser, Redakteur und Produzent tätig sei. Journalistische Verdienste seien hier oft nur ein Element unter vielen und spielten eine untergeordnete Rolle.