Ich liebe Zitate
Interview mit Marc Teissier du Cros, A&R Manager bei Source Records.
Wie würdest Du die Struktur von Source beschreiben?
Marc Teissier du Cros: Source ist ein Label, das von Virgin finanziert wird. Es verfügt aber über eine eher kleine Organisation wie Independent Labels sie haben. Es ist funky, wie wir hier sagen, man kann Projekte schnell durchziehen, was bei einer Major Company selten der Fall ist.Trotzdem haben wir dank Virgin ökonomische Kraft hinter uns. Wir haben hier also eine luxuriöse Situation, und die Künstler wissen das zu schätzen.Wenn sie zu uns kommen, finden sie die Attitude eines Independent Labels vor und wenn sie dann eine Platte veröffentlichen, steht die Power von Virgin hinter ihnen. So ist am Ende jeder glücklich.
Wir haben vor drei Jahren angefangen, und unsere erste Veröffentlichung war "Source Lab", die erste Kompilation. Zu dieser Zeit hatten wir das Gefühl,daß es in Paris eine ganze Menge junger Produzenten gab, die ihre Musik zu Hause machten - mit einem Sampler, ein Paar Keyboards, ein paar guten Platten und vor allem guten Ideen, aber sich niemand um sie kümmerte.Soweit ich mich erinnern kann, war abgesehen von F-Communications (Laurent Garniers Label, UG) Motorbass der erste aus der alten Posse, der Platten veröffentlichte. Dann kam Alex Gopher. Beide haben so um die 200 Kopien verkauft. Es hat also wirklich niemanden interessiert. Wir haben deswegen vorgeschlagen, all diese Tracks auf einer Kompilation zu veröffentlichen. Durch die Vertriebsstrukturen von Virgin konnten wir sie überall in den Läden plazieren. Wir haben 8.000 Kopien davon verkauft, was aus der Retrospektive betrachtet eine ganz gute Menge ist. Und wenn man sich die ersten beiden "Source Lab" Kompilationen heute anhört, findet man alle wieder, die heute wirklich hip sind...
...wie etwa Motorbass, oder Air's "Modulor Mix" auf der ersten "SourceLab"...
Marc Teissier du Cros: Air bestand damals nur aus Nicolas Godin, und Modulor Mix war sein erster Track überhaupt. Das ist eine komische Geschichte, weil es eigentlich purer Zufall war. Eigentlich sollte jemand anders einen Track auf dieser Kompilation veröffentlichen, rief dann aber an, weil er keine Zeit hatte, das Stück fertigzumachen. Damals war Nicolas ein ziemlich guter Freund, ich hatte zufällig sein Tape in meiner Tasche und schlug den anderen vor, es auf die Kompilation zu nehmen, und alle mochten es.
Diese Serie von Kompilationen schien mir damals 'typisch französisch'zu sein, nicht weil es per se typisch französisch ist, verschiedenste Stile auf einer Platte unterzubringen, sondern weil das in Deutschland, England oder den USA eigentlich niemand macht. Man achtet eher darauf, bestimmte Genregrenzen einzuhalten, anstatt sie zu überschreiten. In Frankreich scheint es dagegen offener zuzugehen, einen größeren Austausch zwischen verschiedenen Musikstilen wie Funk und House zu geben.
Marc Teissier du Cros: Genau das wollten wir mit "Source Lab" machen, und wir haben diese Idee auch auf den beiden Nachfolgern der ersten weitergeführt. Das einzige, was diese Tracks wirklich gemeinsam hatten, war die Tatsache, daß jemand Sampler benutzt hatte, um sie zu produzieren. Bei manchen mehr, bei manchen weniger, aber immer war Sampling mit einbezogen. Als "Source Lab 2" draußen war, haben wir einen Anruf von einem ziemlich smarten Menschen von Virgin UK bekommen, der das Album in Großbritannien veröffentlichen wollte. Bis dahin war noch niemand auf die Idee gekommen.Sie haben dort ihren Apparat angeworfen und plötzlich ging es wie verrückt los. Nicht hinsichtlich der Verkaufszahlen, aber in Hinblick auf eine Aufmerksamkeit. Die Leute haben großes Interesse an diesen Künstlern gezeigt.
Das war also auch der Beginn des Erfolgs von Air? Ist ihre LP eigentlich auf Source veröffentlicht worden?
Marc Teissier du Cros: Ja. Aber obwohl wir immer versucht haben, unsere Labelidentität stark zu machen, hat Virgin UK darauf verzichtet, unser Logo auf dem Albumcover abzudrucken, und als die Platte groß in England rauskam, dachten alle, sie wäre auf Virgin veröffentlicht worden. Airs "Modulor Mix" war die erste Single, die wir veröffentlicht haben und Airs Album war soetwas wie das Ende des Prozesses. Es war wirklich interessant, das zu machen. Ich spreche in der Vergangenheitsform, weil sich die ganze Szene komplett geändert hat. Jetzt sind alle so ernst geworden, wenn es um französische Musik geht. Deswegen wollen wir jetzt den Stil ein bißchen ändern und in Richtung eines spezifischeren Mixens mit Rock gehen.
"Source Rocks" ist unsere neue Kompilation, auf der immer noch Sampler benutzt werden, aber auch eine Menge Liveaufnahmen. Alle diese Bands können auch live auftreten. Ich glaube wirklich an diese Bewegung. Sie sind soetwas wie die kleinen Brüder von Air.
Ich würde gerne auf die Bemerkung zurückkommen, daß die Pariser Szene ihren Erfolg inzwischen zu ernst nimmt. Kannst Du das näher erklären?
Marc Teissier du Cros: Es gibt immer und überall wichtige Künstler und Zweite-Liga-Künstler. Am Ende bleiben die Big Sellers übrig. Daft Punk, Air, Etienne de Crecy, DJ Gilbert von Versatile. Diese Leute werden uns erhalten bleiben. Auf der anderen Seite gibt es inzwischen über 50 Labels hier in Paris und vielleicht hundert bis hundertfünfzig Elektronikacts. Jeder will Teil der Geschichte werden. Dann fangen die Rivalitäten an, Probleme zwischen einzelnen Leuten. Es ist nicht mehr der Traum, der es am Anfang war, als alle glücklich waren.
Oft ist es nur das Geld. Wenn es um das große Geld geht, spielen die Leute verrückt. Es gab zum Beispiel diese notorische Geschichte hier in Paris in Bezug auf den Fake Künstler Bob Sinclair. Das Konzept dieses Albums war, Tracks verschiedener Produzenten unter dem Namen Bob Sinclair zu veröffentlichen, der nicht existiert. Viele Leute haben mit ihren Titeln zu diesem Album beigetragen. Als die Platte veröffentlicht wurde, wurde Thomas Bangalters (Daft Punk) Track "Gym Tonic" schnell zu einem Hit. Als er seinen Track Yellow Productions gegeben hatte, die das Album veröffentlichten, hatte er ihnen gesagt: 'Ich habe nur eine Bedingung. Veröffentlicht ihn nicht als Single.' Das Stück war aber das Populärste von allen, und so versuchten es die Leute von dem Label als Single zu veröffentlichen, ohne Bangalter zu fragen. Es endete mit Anwälten und in der Presse. Für mich war das das Symptom für das Ende der Flitterwochen, des Summer of Love.
Es sieht so aus, als würde sich elektronische Musik im Moment aus den Clubs herausbewegen. Es werden entweder beinahe akademische Experimente veröffentlicht, während auf der anderen Seite immer mehr Pop produziert wird.
Marc Teissier du Cros: Der Stil wird immer besser und es gibt inzwischen einen gewissen Produktionsstandard. Nichts ist wirklich neu. Deswegen interessieren mich Leute wie Aphex Twin, weil sie neue Produktionsstile entwickeln. Die Produktion ist äußerst wichtig bei dieser Art von Musik. In Techno ist die Produktion wichtiger als die Komposition, weil die Komposition oft nur aus einem Loop besteht. Daher macht die Produktion 90 Prozent eines Tracks aus. In der französichen Houseszene machen heute alle permanent das gleiche, abgesehen von einigen wenigen.
Was meinst Du genau mit Produktion?
Marc Teissier du Cros: Produktion besteht vor allem im Herstellen der Sounds... Man findet das auch im Post-Rock Movement, das ich nicht wirklich mag, aber in eine interessante Richtung weist. "Source Rocks" zum Beispiel mixt Retroeinflüsse mit neuen Techniken, und das ist genau das, was ich daran mag. Diese Retroeinflüsse kommen eher aus dem Pop, als das bei den "Source Lab" Alben der Fall war, die Funk als Basis benutzten.
Das, was man unter elektronischer Musik zusammenfaßt, kann man grob in zwei Produktionsweisen unterteilen. Die eine wäre die Arbeit mit Synthesizern, Sequenzern und Drumcomputern, der es darum geht, diese Maschinen auf ihre Funkiness, auf ihren maximalen Wirkungsgrad hin zu untersuchen - funktional, innerhalb bestimmter Genres und mit einem mehr oder weniger psychoakustischen Background. "Can you feel it?" wäre das Stichwort.
Auf der anderen Seite gibt es die Arbeit mit PCs undSamplern, die sehr oft mit Zitaten spielt, also eher traditionell sprachlich orientiert ist. Der Ansatz der Projekte, die auf Source erscheinen, scheint eher einer des Zitierens zu sein. Die Benutzung und Weiterverarbeitung kultureller Signifikanten, oder wie immer man erkennbare Samples nennen will...
Marc Teissier du Cros: Ich liebe Zitate. Es ist vermutlich offensichtlich und nicht der Rede wert - aber das ist symptomatisch für unsere Zeit. Seit zehn, fünfzehn Jahren passiert das in der Kunst - wenn es nicht schon immer so war. Für meine Generation jedenfalls habe ich dieses Phänomen vor vielleicht 15 Jahren festgestellt.
Die Gemeinsamkeit, die die meisten Künstler inklusive der von Source haben, ist die Tatsache, daß sie Zugang zu Kultur hatten. Sie hatten genügend Geld, um ins Kino zu gehen und sich Platten zu kaufen. Nicht exzessiv, aber ausreichend. Sie können auf eine großes Repertoire an visueller und musikalischer Kultur zurückgreifen. Man kann das gut nachvollziehen, wenn man sich die Cover ansieht. Alle französischen Labels haben das gemeinsam.Von Daft Punk zu Versatile, und natürlich auch Solid, sie alle haben diese visuelle und musikalische Kultur, Hochkultur. Es ist wirklich eine bourgeoise Musik.
Hier schließt sich eine soziologische Frage an: In Deutschland scheint Techno eine Mittelklassenkultur gewesen zu sein, auch wenn vor allem im Osten vielleicht soetwas wie eine Arbeiterklassenkultur sichtbar wurde, allein aufgrund seiner übergreifenden Popularität. Techno in Berlin etwa hat sich auch nie mit der Kultur der türkischen Immigranten getroffen, die eher HipHop adaptiert hat. Kann man eine ähnliche Situation auch in Frankreich feststellen?
Marc Teissier du Cros: Für Techno ja. Die Musik, die wir veröffentlichen, richtet sich aber generell an ein aufgeschlossenes, neugieriges Publikum. Das Technopublikum hier besteht aus alten Funk und Soul Fans, aber auch Indierockfans, die sich damals für den Ravesound von Manchester interessiert haben. Es ist ganz amüsant, sich anzusehen, welche Unterschiede es zwischen den Posses gab, als wir jung waren - New Wave versus Soul - und festzustellen, daß diese Kluft immer noch existiert, auch wenn inzwischen alle die selbe Art von Musik hören. Die Kluft bleibt.
Als man in Berlin angefangen hat, diese Musik in den Clubs zu spielen, gab es eine ähnliche Konstellation. Es gab DJs, die von New Wave und Industrial beeinflußt waren und die, die eher schwarze Musik gespielt haben, House und Detroit Techno.
Marc Teissier du Cros: Wie kam es eigentlich zu dieser starken Verbindung zwischen Detroit und Berlin?
Ich denke, es liegt an der Politik von Hardwax, dem wichtigsten Plattenladen, einer der ersten Läden überhaupt auf dem Kontinent, der direkt aus den USA Technoplatten importiert hat. Die DJs haben das gespielt, die Leute wollten es hören, die Detroiter konnten mehr Platten verkaufen als zuhause und bekamen ordentliche Gagen für ihre DJ Sets.
Marc Teissier du Cros: Glaubst du nicht, daß es wegen dem heftigen Einfluß von Kraftwerk einen kulturellen Grund dafür gab, daß der erste Kontakt zwischen Detroit und Europa in Deutschland stattfand? Schließlich wurde Techno von den Deutschen erfunden...
Klar gab es Kraftwerk, und Hits wie "Autobahn" kannte jeder. Trotzdem war Kraftwerk ein eher marginales musikalisches Phänomen in den 80ern. Natürlich gab es Anfang der 80er auch andere Bands wie DAF oder den Plan, aber ob die Deutschen deswegen gleich Techno erfunden haben? Für die Detroiter vielleicht...
Ich habe mich heute schon mit Pierre-Michel Levallois von Solid über das Phänomen von lokalen und regionalen Stilen unterhalten. Er war der Ansicht, daß die Entwicklung solcher lokaler Stile so etwas wie einen Widerstand gegen die multinationale Kulturindustrie darstellt. Eine Frage von Identität im globalen Dorf. Tatsächlich ist es ja so, daß man bei vielen französischen Aufnahmen schnell sagen kann: Das kommt vermutlich nicht aus England...
Marc Teissier du Cros: ...sondern aus Frankreich.
Auf der einen Seite gibt es eine internationale Community, die sich für diese Musik interessiert, die man ja als globale Sprache verstehen kann, musikalisches Esperanto. Auf der anderen Seite sind in einzelnen Produktionen ganz klar lokale Einflüsse zu erkennen. Da scheint eine Dialektik zugange zu sein: Man kann sehr oft einzelne Produkte als französische, amerikanische oder deutsche, oder spezifischer vielleicht eher als Pariser, Detroiter, New Yorker, Kölner oder Londoner Produktionen identifizieren, vielleicht auch als weißen Mittelklasse-Techno, schwarzen Mittelklasse-Techno oder was auch immer. Man kann das aber nur auf der Basis der Annahme einer gemeinsamen Sprache und Produktionsweise tun.
Wenn man dieses Phänomen in einen ökonomischen Kontext stellt, kann man fragen: Ist die Musik von Source im Speziellen, und die französische Elektronik im Allgemeinen für einen globalen Markt konzipiert?
Marc Teissier du Cros: Aber ja! Absolut! Und das ist etwas, das vor einigen Jahren niemand verstanden hat, abgesehen von den oben erwähnten Leuten bei Virgin. Der Markt für diese Musik ist weltweit. Der französische Markt ist dagegen nicht so stark. Daft Punk verkauften sich sehr gut, Cassius verkauften sich nicht so gut, Air verkauften sich ok in Frankreich. Aber der Hauptmarkt für diese Musik liegt außerhalb Frankreichs. Das ist sicher und gewiß.
Wenn man also in Frankreich ein Label für elektronische Musik gründet, macht das nicht unbedingt Sinn. Als Künstler sollte man direkt in England oder Amerika einen Vertrag unterzeichnen. Wenn man einen solchen Vertrag unterzeichnet, erhält man eine bestimmte Menge an Rechten für verkaufte Platten im Territorium, in dem man den Vertrag unterzeichnet hat, für den Rest der Welt bekommt man aber nur die Hälfte dieser Tantiemen. Wenn man also in Frankreich einen Vertrag unterzeichnet, aber 75 Prozent seiner Platten im Ausland verkauft, verliert man als Künstler eine Menge Geld. Genau das ist die größte Gefahr für französische Plattenfirmen, weil ihre Künstler damit beginnen, direkt in anderen Ländern Verträge zu unterzeichnen.
Ich weiß zum Beispiel, daß englische A&Rs ziemlich scharf auf französische Acts sind, und auch versuchen, mit ihnen direkt Verträge abzuschließen. Im Augenblick kontaktieren sie viele Leute hier in Paris, um einen hippen neuen Künstler zu finden.
Das ist eine simple ökonomische Angelegenheit. Man muß nur anfangen zu rechnen und alles wird offensichtlich. Nimm Air als Beispiel: Sie haben in Frankreich 70.000 Platten verkauft, weltweit aber 700.000, also nur zehn Prozent in Frankreich.
Hat das damit zu tun, daß es abgesehen von den üblichen Discotheken nur wenig kleine Clubs in Paris gibt?
Marc Teissier du Cros: Unsere Musik wird eher im Radio als in den Clubs gespielt, wir sind ja nicht gerade ein Houselabel. Wir versuchen nach allen Seiten offen, und in jedem Stil, in dem wir arbeiten, so gut wie möglich zu sein. Wir hatten diesen einen Clubhit namens "Phantom", auf der Single gab es die Originalversion, die Radioversion und zwei Remixe von DJ Gregory und Etienne de Crecy. Das alles war im weitesten Sinne funky House. Ganz am Ende aber gab es dann plötzlich diesen minimalistischen Elektronikremix von zwei Leuten aus Belgien, Scratch Petland. Leute auf der ganzen Welt kauften diese House-Single und hatten diesen seltsamen Mix auf ihrer Platte. Viele haben ihn vielleicht nie angehört, weil sie dachten, daß er scheiße sei. Ich mag die Idee eines seltsamen Stücks, das ins Zuhause von Menschen geschmuggelt wird.