Identitätspolitik: Stadterneuerung zwischen Budenzauber und Waffenschmuck

Seite 2: Spur der Steine: Die Garnisonskirche - Geschichtsrevisionismus harter Sorte

Wie ist die Garnisonkirche in diese Tradition einzuordnen?

Philipp Oswalt: Das ganze Bauwerk hat so gut wie keine christliche Symbolik, sondern ist mit Symbolen der Monarchie und des Militärs verziert: Herrschaftszeichen, Waffen und Rüstungen. Dass die evangelische Kirche das wieder aufbaut, ist komplett absurd, und es ist abgründig, weil es von Rechtsradikalen initiiert worden ist.



Von der Bauherrenschaft wurde behauptet, das Gebäude stehe für christlichen Glauben und preußische Tugenden. Doch wenn man die Predigten der Pfarrer liest, die sie dort gepredigt haben, dann muss man feststellen, dass Hass auf andere Völker und die enthemmte Verwendung mörderisch-kriegerischer Gewalt propagiert worden sind.

Die Pfarrer zelebrierten die Niederschlagung des Boxer-Aufstandes in China, den Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika und den Waffengang in den Ersten Weltkrieg. Das wird religiös verklärt. Der Kriegsdienst wird zum Gottesdienst erklärt. Das kriegsverbrecherische Morden der Soldaten wird zum christlichen Dienst.

Die Nationalsozialisten knüpften mit dem "Tag von Potsdam" am 21. März 1933 an diese Tradition an. Der Handschlag zwischen Hitler und Hindenburg symbolisierte die Staffelübergabe von den alten an die neuen "Eliten".

Können Steine schuld sein?

Ich werfe mal zwei plakative Aussagen in die Debatte. Die eine ist: Die Nazis haben die preußische Symbolik missbraucht.

Philipp Oswalt: Das würde ich nicht sagen. Sie haben sie gebraucht.

Ja, aber das ist doch der Argumentationszusammenhang. Den Befürwortern des Aufbaus der Garnisonkirche wird vorgehalten, dass dieses Gebäude durch die nationalsozialistische Ideologie kompromittiert worden sei.

An diesem Punkt kann man sie packen. Wie ist nun deren Argumentation, da herauszukommen? Indem sie die Nazi-Symbolik als etwas Äußerliches abscheiden, womit sie nichts zu tun haben. Nun können sie unbelastet die Kirche hochziehen und sagen: Die preußische Symbolik ist missbraucht worden.

Die andere damit zusammenhängende Aussage lautet: Können Steine schuld sein? Auch da wird der Bau ideologisch entnazifiziert.

Philipp Oswalt: Ja, dies ist ein Geschichtsrevisionismus harter Sorte. In dem "Ruf aus Potsdam", der dem Wiederaufbauprojekt zu Grunde liegt, wird behauptet, der ehrwürdige Ort wäre vom NS-Regime missbraucht worden.

Man sei zum Opfer des Nationalsozialismus, Opfer des Bombenkrieges und Opfer der DDR geworden. Da findet eine Täter/Opfer-Umkehrung statt. Der Tag von Potsdam war kein Missbrauch, sondern eine radikalisierende Fortführung einer unseligen Tradition.

Die Argumentation "Steine können nicht schuldig sein" ist eine rhetorische Figur, die überhaupt nicht tragfähig ist. Die Steine als solche sind nicht schuldig. Aber das Haus ist kein Baustofflager. Ein Stück Stoff ist auch nicht schuldig, aber eine Hakenkreuzfahne symbolisiert etwas, um einen drastischen Vergleich zu bringen.

Das heißt, Symbole bekommen durch ihren gesellschaftlichen Gebrauch in der kollektiven Erinnerung ihre Bedeutung. Und so ist das auch hier der Fall. Nicht umsonst erfreut sich der Wiederaufbau in rechtsextremen Kreisen lebhafter Unterstützung.

Die Argumentationen der Befürworter der Garnisonkirche widersprechen sich diametral. Sie können nicht einerseits sagen, die Kirche stehe für preußische Werte und christlichen Glauben und andererseits behaupten, Steine können nicht schuldig sein. Positive Werte können also dem Gebäude anhaften, negative aber nicht.