Identitätspolitik: Stadterneuerung zwischen Budenzauber und Waffenschmuck
Seite 3: Fast so schön wie auf dem Foto
Sie haben darauf hingewiesen, dass beim Bau des Schlosses wie auch bei der Frankfurter Altstadt zeitgenössische Photographien verwendet worden sind.
Da kommt diese dialektische Volte ins Spiel, dass die realen Gebäude Kopien der Kopien sind, Abbildungen von Bildern.
Ich kann ein anderes Zitat zur Bestätigung einbringen: "Die Bilder haben das Abgebildete verschluckt." Im Grunde findet hier eine Virtualisierung der zu rekonstruierenden Bauten statt.
Philipp Oswalt: Rekonstruktionen hat es in der gesamten Architekturgeschichte gegeben. Nehmen wir Karl Friedrich Schinkel. Ihm war es weder möglich noch war es seine Ambition, originalgetreu wiederaufzubauen.
Vielmehr waren sein Arbeiten eine Aneignung und Sich-in-Beziehung-Setzen der Gegenwart zur Geschichte. Die Wertvorstellungen der Gegenwart werden in das rekonstruierte Objekt eingeschrieben.
Heute argumentieren die "Rekonstrukteure" mit der Sachzwang-Logik wie die Verkehrsplaner der 1950er-/1960er-Jahre. Sie wollen ja gar keine Diskussion darüber, wie rekonstruiert werden sollte, sondern sie sagen: Wir haben die Fotografien, und wir haben das Computerprogramm, und dann wird "originalgetreu" nachgebildet, als handele es sich um einen technisch-wissenschaftlichen, wertfreien Vorgang.
Unterschlagen wird, dass Geschichte immer eine fabrizierte Erzählung ist, ein Bild, das wir uns heute von der Vergangenheit machen.
Hat sich das Verhältnis zwischen ernsthaften Architekten und einem Großteil des Publikums entfremdet?
Gut. Dennoch hat die Diskussion über die Frankfurter Altstadt eine gewisse Finesse, auf die ich noch kommen möchte: Ich habe mir einen Kommentar gemerkt zur Altstadt: "Die Häuser sehen aus wie vom Weihnachtsmarkt nicht abgeholt." So etwas wie die Frankfurter Altstadt muss ja schon wie ein Schlag ins Kontor ernsthafter Architekten wirken, die sich einer reflektierten Moderne verpflichtet fühlen.
Ist das nicht ein einziger Affront? Aber den Medien ist zu entnehmen, dass die Frankfurter Altstadt bei einem Teil des Publikums gut ankommt, und zwar deswegen, weil sie so schön kuschelig ist. Die Frage, die sich daraus ergibt, ist schon dramatisch: Hat sich das Verhältnis zwischen ernsthaften Architekten und einem Großteil des Publikums entfremdet?
Philipp Oswalt: Zunächst einmal: Gute Architektur kann in unterschiedlichsten Stilen auftreten, die so divers sind wie die Gesellschaft selbst, und es ist nicht so, dass moderne Bauten per se keine positive Resonanz in der Öffentlichkeit hätten. Das Problem ist eher, dass im breiten Baugeschehen es viele Bauten gibt, bei denen die wirtschaftliche Optimierung auf Kosten jeglicher Qualität dominiert.
In der Nachkriegszeit nannte man dies Bauwirtschaftsfunktionalismus, heute nennt man dies Investorenarchitektur. Ein abschreckendes Beispiel in Frankfurt ist aktuell das Europa-Viertel.
Kulturkampf und Dialog
Die Freunde der rekonstruktiven Architektur haben nach meinem Empfinden – aber Sie schreiben es, glaube ich, auch – so etwas wie einen Absolutheitsanspruch. Dieser Anspruch resultiert meines Erachtens aus dem identitären Denken der Art: So "authentisch" muss es sein und nicht anders.
Die neualten Bauwerke geben den in ihren Werten Verunsicherten Halt. Alles, was von den "objektiven" Vorstellungen und kollektiven Phantasien der "Wir-Gruppe" abweicht, ist indiskutabel. Auf dieses Postulat laufen deren Vorstellungen vom Wiederaufbau verschwundener historischer Gebäude hinaus. Die Frage, die sich daraus ergibt: Schließen sich Rekonstruktionsbauten und modernes Bauen wechselseitig aus?
Philipp Oswalt: Sicherlich nicht. Das Ganze wird zum Kulturkampf erhoben, bei dem es keine Bereitschaft mehr gibt, in einen Dialog zu treten und zu fragen, was wäre eine adäquate Architektur, wie kann man unterschiedliche Sichtweisen zusammenbringen.
Da geht es tatsächlich um die Idealisierung einer bestimmten Vergangenheit, um einen Absolutheitsanspruch aus einem identitären Verständnis heraus, um eine fehlende Toleranz für andere Sichtweisen. Was fehlt, ist die Einsicht, dass wir eine heterogene Gesellschaft sind mit unterschiedlichen sozialen Provenienzen und Erfahrungen.
Dieser Absolutheitsanspruch wundert nicht angesichts der Kräfte, die hinter dem Wiederaufbau von Schloss und insbesondere Garnisonkirche stehen. Bei der Garnisonkirche ist die Konzeption des gesamten Wiederaufbaus durch die rechtsradikalen Initiatoren maßgeblich geprägt. Beim Berliner Schloss haben reaktionäre Kräfte den anfangs nicht vorgesehenen Nachbau der Kuppel durchgesetzt.
Grundsätzlich schließen sich jedoch Rekonstruktionsbauten und modernes Bauen nicht wechselseitig aus. Es gibt viele gelungene Beispiele von Rekonstruktionen, darunter nicht zuletzt die Wiederherstellung der Paulskirche in den Jahren 1946 bis '48 und die Neuen Dessauer Meisterhäuser, eröffnet 2014. Mein Buch richtet sich nicht gegen Rekonstruktionen als solche, sondern gegen ein bestimmtes Rekonstruktionsverständnis.
Philipp Oswalt lebt als Architekt und Publizist in Berlin. Von 1988-1994 war er Redakteur der Zeitschrift Arch+. Er war u.a. Leiter des Projekts "Schrumpfende Städte" 2002-2008 und Direktor der Stiftung Bauhaus 2009-2014. Seit 2006 lehrt er als Professor für Architekturtheorie und Entwurf an der Uni Kassel. Er ist engagierter Kritiker einer geschichtsrevisionistischen Rekonstruktionsarchitektur.