Identitätspolitik: Stadterneuerung zwischen Budenzauber und Waffenschmuck
- Identitätspolitik: Stadterneuerung zwischen Budenzauber und Waffenschmuck
- Spur der Steine: Die Garnisonskirche - Geschichtsrevisionismus harter Sorte
- Fast so schön wie auf dem Foto
- Auf einer Seite lesen
Rekonstruktionsarchitektur: Was die Wiedererrichtung historischer Gebäude über unsere Gesellschaft aussagt. Interview über den Kulturkampf hinter den Fassaden.
Bei der Betrachtung von Werken der Rekonstruktionsarchitektur – werden sie nun von Grund auf neu errichtet oder einer "Revision" in Richtung auf einen vermeintlichen Originalzustand unterzogen – stellt sich die Cui-bono-Frage:
Wem nützen sie? Sind sie als Repräsentationsbauten wertneutral, oder verfolgen sie beziehungsweise ihre Bauherren einen Zweck?
Architektur als Aushängeschild: Wer profitiert von historischen Nachbauten?
Die Antwort ist zwiespältig. Einerseits erwecken die den Eindruck, wertfrei zu sein, weil sie "vor"-gefunden sind, weil sie einfach "wieder da" sind, wo sie einmal waren. So und nicht anders.
Andererseits haben sie eine gesellschaftliche Funktion. Sie sollen die – aktuelle – Gesellschaft einen, so wie sie sie im Ursprungszustand einmal geeint hatten. Das läuft auf Identitätspolitik hinaus und diese auf Gemeinschaftlichkeit als Zwangsveranstaltung.
Die schöne Fassade soll die Brüche und Wunden kaschieren, die die Gesellschaft geschichtlich begleiten. In dieser Identitätspolitik stecken Herrschaftsinteressen.
Zum Thema ist jüngst der Band "Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik" erschienen. Verfasser ist der Architekt und Architekturtheoretiker Philipp Oswalt, der einige seiner zentralen und sicher auch kontroversen Thesen erläutert.
Der identitätspolitische Anspruch
Sie haben für Ihre Veröffentlichung unter vielen Beispielen fünf ausgewählt, die unter Rekonstruktionsarchitektur subsumiert werden können. Als da wären das Berliner Schloss, die Garnisonkirche in Potsdam, die neue Altstadt in Frankfurt a.M., die Paulskirche ebendort sowie die "Meisterhäuser" in Dessau.
Was verbindet diese Bauten, was ist Rekonstruktionsarchitektur? Ist es der Versuch oder die Aufforderung, zurückzukehren in die Zeit vor der Moderne, und zwar mit der Stoßrichtung, die Moderne rückwärts zu überspringen? Die erwähnten Rekonstruktionsbauten wurden entweder auf der grünen Wiese – besser auf "Tabula rasa" – noch einmal neu gebaut, oder sie werden als revisionsbedürftig bezeichnet wie die Paulskirche.
Können Sie bitte zunächst in grobem Überblick darlegen, welche Motive in der Rekonstruktionsarchitektur stecken?
Philipp Oswalt: Man muss zunächst einmal differenzieren. Rekonstruktionsarchitektur hat es immer gegeben. Wir können die Bibel aufschlagen: Sie berichtet von der Rekonstruktion des Tempels in Jerusalem nach seiner ersten Zerstörung. Auch in Deutschland wurden nach den Kriegszerstörungen wichtige Einzelbauten wieder aufgebaut.
Seit den 1980er-Jahren geht es jedoch meist nicht mehr darum, Kriegszerstörungen zu beheben, sondern Identitätspolitik war angesagt. Bauten der Nachkriegszeit sollten nun einer Revision unterzogen werden, unter dem Primat der Schönheitsreparatur des Stadtraums.
Das eigentliche Motiv war, an die Zeit vor 1919 anzuknüpfen. Der identitätspolitische Anspruch wird deutlich in der Funktion des Berliner Schlosses und der Garnisonkirche als Nationalsymbolen.
Aber auch auf die Frankfurter Altstadt trifft es zu. Nicht nur, weil sie Teil des Königswegs der alten Deutschen Kaiser war, auf dem Weg zwischen Römer und Dom. Sondern vor allem in dem Versprechen, dass dieser Teil der Altstadt den Ursprung der Stadt Frankfurt darstelle.
Der sehnsuchtsvolle Blick zurück
Blickte man – das heißt interessierte Kreise – in den 1980er-Jahren sehnsuchtsvoll zurück, so hatte man in der Zeit des Wiederaufbaus nach 1945 vor allem nach vorne geschaut. Das hatte etwas mit der westdeutschen Befindlichkeit zu tun. Man versuchte, die NS-Geschichte zu verdrängen. Auf den wichtigen Positionen fanden sich die Täter wieder. Der gesellschaftliche Frieden wurde durch eine Zukunftsfixierung erkauft, die die Geschichte verdrängte.
Das änderte sich ab den 1980er-Jahren. Man begann, sich im Stadtraum des jüdischen Lebens der Shoa zu erinnern, dann bald auch der deutschen Geschichte vor 1919. Man träumte nicht mehr von einer anderen, besseren Zukunft, sondern von einer anderen, besseren Vergangenheit.
Stadterneuerung zwischen Budenzauber und Waffenschmuck (9 Bilder)
Das Problem ist die Idealisierung
Ist der Versuch einer Identitätsstiftung in der Geschichte und durch die Architektur per se verwerflich?
Philipp Oswalt: Nein. Wie die Dessauer Meisterhäuser zeigen, kann Rekonstruktion durchaus ein sinnhafter Vorgang sein, welcher die Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit der Geschichte nicht kaschiert.
Das Problem ist die Idealisierung, wenn die Idee des angeblichen Ursprungs der Nation den Ursprung des Deutschseins, den Ursprung einer Stadt verkörpern will, wobei man die Möglichkeit einer anderen gesellschaftlichen Identität ausblendet, als hätte es einen Schmerz in der Geschichte nie gegeben.
Die Konflikte, die Brüche in der Geschichte sollen nicht gezeigt werden, sondern es wird davon gesprochen, die Wunden zu heilen. Es soll ein idealisiertes Bild einer aus dem zeitlichen Abstand positiv bewerteten Vergangenheit geschaffen werden.
Berliner Stadtschloss und Nationalprotestantismus
Die Kuppel und das Kuppelkreuz des Stadtschlosses stehen für den Nationalprotestantismus, wo die protestantische Kirche den Schulterschluss erst mit dem preußischen Königtum und dann mit dem Kaiserreich übte.
Die weltliche Herrschaft wird mit dem christlichen Glauben untermauert – ein hochproblematisches Konstrukt, das nicht nur die Kolonialkriege legitimiert hat und die gewalttätigen Kriegsverbrechen des Deutschen Reiches beschönigt und verteidigt, sondern auch die Kriegseuphorie des Ersten Weltkriegs geschürt hat.
Dies gehört zu unserer deutschen Geschichte, aber es ist nichts, womit ich mich im positiven Sinn identifizieren kann.
Die neue Frankfurter Altstadt: Authentisch?
Auch die neue Frankfurter Altstadt soll angeblich den Ursprung der Stadt verkörpern. So einheitlich mittelalterlich war Frankfurt jedoch gar nicht, denn die Altstadt umfasste viele Bauepochen auch jüngeren Datums. Dass das jetzt der Kern der Frankfurter Identität sei, ist absurd.
Das Ganze ist ein bewohntes Freilicht-Museum, ein Symbolbau. Die Touristen kommen vom Flughafen schnell dorthin. Und in Berlin können sie die Kuppel des Schlosses bewundern, nicht ahnend, dass das Schloss in seiner Geschichte deutlich länger ohne Kuppel als mit bestanden hat.