Idlib: Al-Nusra/HTS ist das gefährlichere Monster

Seite 2: HTS-Miliz in Idlib: Richter über Leben und Tod

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Indessen demonstriert die HTS-Miliz in Idlib, dass sie dort über Leben und Tod richtet. Laut aktuellen Berichten hat sie zehn Mitglieder der IS-Miliz auf offener Straße erschossen, angeblich weil diese am Tag zuvor einen Sprengstoffanschlag auf ein Restaurant verübt hatten.

Diese Version, die niemand offiziell stützen kann - wer sollte das auch können, da die HTS auch die Interimsregierung kontrolliert -, wird von leidgeprüften IS-Kennern bestritten. Nach Aussagen von Theo Padnos gehören derartige Aktionen zum brutal-politischen Modell der HTS, die sich den nächsten Nachbarn greift, um ihre absolute Macht zu demonstrieren.

Kämpfe und Konkurrenzverhältnisse zwischen den im Kern der al-Qaida entstammenden Milizen in Idlib, zwischen HTS und ihren "Brüdern", flammen sporadisch immer wieder mal auf, wie dies beispielhaft der französische Historiker Matteo Puxton schildert. Puxton, der den IS sorgfältig anhand von Bildmaterial und Berichten verfolgt, geht dabei sehr ins Detail. Das ist etwas für interessierte Spezialisten. Außerhalb interessierter Kreise haben die Aktivitäten des IS in Idlib und dessen Konkurrenzkämpfe mit HTS bisher kaum Aufmerksamkeit erzielt.

Flucht der IS-Milizen Richtung Idlib?

Durch die Kämpfe in den letzten Resten des IS-Kalifats im Südosten Syriens ändert sich das etwas, da es nun Befürchtungen gibt, dass IS-Kämpfer nach Idlib fliehen, in das letzte Refugium des syrischen Dschihad. Konkrete Berichte, die solche Fluchtbewegungen in einem auffallenden Maß schildern, gibt es nur zur Flucht von IS-Kämpfern Richtung Irak. Gut möglich, dass die brutale "Hinrichtungs-Schau" des HTS in Idlib auch darauf ausgerichtet ist, IS-Binnenflüchtlinge einzuschüchtern ("geht nur mit totaler Unterwerfung"), wenn nicht abzuschrecken.

Die al-Nusra/HTS-Medienarbeit, die seit einigen Jahren ihre dankbaren Abnehmer auch unter westlichen Publikationen findet, hat ihr oberstes Ziel darin, die Miliz als "syrische Opposition wie andere" auch darzustellen, als Truppe sunnitischer Revolutionäre von nebenan. Die vielen fremden Kämpfer der Konkurrenz, die obendrein ebenso einen Alleinherrschaftsanspruch hat, passen nicht ins Idlib-Konzept der HTS.

Dieses läuft darauf hinaus, dass die Gruppe realpolitisch als Opposition akzeptiert wird, dass sie keine russischen Luftangriffe und keine Bodenoffensive der syrischen Armee und ihrer verbündeten Milizen befürchten muss. Dies zu arrangieren, ist im Grunde unmöglich, da weder die syrische Regierung noch die russische davon abrücken wird, die HTS als Terroristen zu bezeichnen. Die Schlüsselrolle in dieser Situation hat die Türkei.

Es wird sehr schwierig für die Garantiemacht Türkei, in Gegnerschaft zur HTS für Ruhe und Ordnung in Idlib zu sorgen, geschweige denn einen Abzug der Miliz herbeizuführen - außer alle HTS-Milizen verschwinden im Gewand von FSA-Einheiten.

Gerade hat die HTS eine anstrengende Kurs-Diskussion mit astreinen al-Qaida-Dschihadisten hinter sich gebracht, die darauf hinauslief, dass HTS die Kontrolle über die Waffen behält und vielleicht ideologisch nicht völlig auf Linie ist, wie es die Dschihad-Hardliner wünschen, aber doch so, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt (vgl. dazu Strategische Spiele um die Terroristenhochburg Idlib). Und den gibt es anderseits auch mit der Türkei. Wie sich dieser Nenner aber praktisch auf längere Frist in Idlib umsetzen wird, ist noch offen.

Die militärische Lösung

Die militärische Lösung - Angriffe auf al-Nusra - ist für Syrien und Russland nicht ganz einfach, weil man Verluste befürchten muss, nicht nur in den Reihen der syrischen Armee und ihrer Verbündeten, sondern auch in der Bevölkerung.

Internationale Schlagzeilen mit vielen Opfern durch Angriffe auf Idlib hätten ungünstige politische Auswirkungen - zum Beispiel auf den sich gerade noch einmal von den USA gebremsten Annäherungsprozess mit anderen arabischen Staaten. Dazu kommen die Nöte in der Bevölkerung durch die US- und die europäischen Sanktionen ("Der neue Krieg").

Das sind keine günstigen Voraussetzungen für eine aufreibende Offensive. Deswegen zögern Russland und Syrien die Offensive auch hinaus und deswegen sind die mahnenden Worte Lawrows nicht wirklich scharf.