Idomeni: Wenn Hoffnung alternativlos ist

Seite 3: Zurückkehren? Wenn du mir sagst, wohin

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das "Früher", von dem er ständig spricht, scheint für viele Flüchtlinge so gegenwärtig, wie die überall zu spürende Frustration. Seit 10 Tagen läuft Fatih zweimal täglich fünf Kilometer bis zum Grenzzaun, nur um mit der immer gleichen resignierenden Nachricht umzudrehen. Ob er schon einmal darüber nachgedacht habe zurückzukehren? Seine Antwort beschreibt das Dilemma der meisten hier: "Wenn du mir sagst, wohin?"

Bild: F. Köhler

Auch Abdullatif hat die Frage nach dem "Wohin" für sich beantwortet. Nur wie er dahin kommen will, beantwortet er anders als die meisten. Es ist 23 Uhr am ersten Abend des Brüsseler Treffens, als er mit einer kleinen Gruppe Flüchtlinge aufbricht. "Hätte ich sterben wollen, wäre ich zu Hause bei meinen Eltern geblieben", sagt er. "Gibt es Neues von der Grenze? Neues aus Brüssel…? Nein?", fragt er ein letztes Mal und verschwindet hinter den ausrangierten Bahnwaggons.

Hinter ihm liegen zwei Jahre Flucht, und die bisher unerfüllte Hoffnung auf ein Leben. Nicht auf ein besseres, sondern überhaupt eines: Seine Schwester ist tot, seine Eltern zu alt und krank, um zu fliehen, seine ist Heimat zu zerstört, um zu bleiben. Es ist sein fünfter Ausbruchsversuch. Am Morgen danach sitzt Abdullatif wieder im Camp am Lagerfeuer aus brennenden Müll.

Bild: F. Köhler

Erst am nächsten Morgen herrscht in Idomeni schließlich Gewissheit, dass auch weiterhin keine herrscht. Flüchtlingsabkommen heißt das, was EU und Türkei verhandelt haben, doch über die Flüchtlinge in Idomeni fällt kein Wort. Es ist der Morgen, an dem nicht nur Suleiman die Fassung verliert.

Fatih, der Kickboxer aus Aleppo, versucht einen Afghanen zu beruhigen, der droht, sich die Kehle durchzuschneiden. Samir, dessen einziges lebendes Familienmitglied sein in Schweden lebender Bruder ist, liegt schweigend mit dem Kopf auf der Tischplatte. Eine junge Mutter aus dem syrischen Hasaka hält ihr weinendes Kind in die Luft und schreit, wie man das ihrer Tochter nur antun könne.

Suleiman sitzt wenig später wieder am Zelt neben der Zapfsäule für "Super Bleifrei" und antwortet nach einer langen Pause auf die Frage, auf die hier kaum einer eine Antwort hat: "Vielleicht kehren wir doch nach Kurdistan zurück. Oder gibt es doch Neues von der Grenze?"