Illegal: Die Wahrheit über das CO2-Budget der Bundesrepublik
Energie und Klima – kompakt: Bundesregierung mag sich nicht ans Klimaschutzgesetz halten. Daher soll der Bundestag es ändern. Warum das einem Verbrechen gleichkommt. Ein Kommentar.
Die Bundesregierung übt sich, wie bereits berichtet, im ziemlich kreativen Umgang mit dem Recht. Eigentlich sieht das Klimaschutzgesetz ja vor, dass die Regierung ein Klimaschutz-Sofortprogramm für den Verkehrssektor vorlegt. Der hatte nämlich 2022 zum wiederholten Male seine gesetzlich fixierte Emissionsmenge erheblich überschritten.
Dabei war das Gesetz im Sommer 2021 kurz vor der letzten Bundestagswahl eigens noch ein klein wenig verschärft worden, um einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Genüge zu tun. Doch daran fühlt sich der heutige Bundeskanzler, der seinerzeit sowohl das ursprüngliche Gesetz, als auch die Nachbesserung gemeinsam mit der Union unter Angela Merkel auf den Weg gebracht hatte, offenbar nicht mehr gebunden.
Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten seinerzeit im März 2021 den Gesetzgeber gerüffelt, weil das Verschieben des Klimaschutzes in die Zukunft die junge Generation über Gebühr in ihren Freiheitsrechten beschränke. (Telepolis hatte berichtet.)
Doch wirkliche Einsicht scheint das Urteil den Regierenden nicht gebracht zu haben. Ein Jahr später verglich der inzwischen zum Bundeskanzler avancierte Olaf Scholz Klimaschützer, die von ihm Gesetzestreue einforderten, mit Nazis. Derweil ist die Konsequenz, die die Berliner Ampel aus ihrem Versagen im Klimaschutz zieht, atemberaubend.
Nicht nur, dass sie sich weigert, das Gesetz anzuwenden – verantwortlich dafür sind vor allem der Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – sondern sie will auch das ohnehin schon unzulängliche Klimaschutzgesetz weiter abschwächen. Am Freitag vergangener Woche wurde ein entsprechender Kabinettsentwurf im Bundestag in erster Lesung behandelt.
Schon jetzt sind die Restemissionen, die sich Deutschland mit dem missachteten Gesetz gönnen würde, viel zu hoch, als dass von einem ernsthaften Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau gesprochen werden könnte. Eben das war aber 2015 in der Pariser Klimaübereinkunft zugesagt worden.
Um das zu erklären, müssen wir hier ein wenig ausholen: Zu Jahresanfang lag das Treibhausgasbudget der Menschheit bei nur noch 380 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Wenn die weltweiten Emissionen in den nächsten Jahrzehnten auf diese Gesamtmenge beschränkt werden können, gäbe es zumindest eine 50-prozentige Chance, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Wollte man mehr Sicherheit, müssten die Emissionen noch stärker reduziert werden.
Deutschland muss in elf Jahren rasant auf null kommen
380 Milliarden Tonnen hört sich nach viel an, wird aber beim derzeitigen Niveau in etwas mehr als acht Jahren aufgebraucht sein. Würden die Emissionen hingegen bis 2050 jedes Jahr so stark sinken wie im ersten Covid-Jahr 2020, nämlich um 1,4 Milliarden Tonnen, dann käme man 2050 bei null Emissionen an, hätte aber insgesamt 560 Milliarden Tonnen CO2 in die Luft geblasen. Damit würde man dann mit einer 50/50-Chance bei 1,6 Grad Celsius Erwärmung landen. Oder eben auch noch darüber. (Alle Zahlen nach Angaben des Global Carbon Projects.)
Und Deutschlands Anteil an all dem? Hierzulande lebt rund ein Prozent der Weltbevölkerung. Damit hätte Deutschland am verbleibenden Budget einen Anteil von 3,8 Milliarden Tonnen CO2, die noch von deutschen Heizungen, Autos, Flugzeugen, Schiffen und Kraftwerken in die Luft emittiert werden dürfen. Das ist ein maximaler Anteil, muss dazu gesagt werden, denn Deutschland ist auch in einem Ausmaß wie nur wenige andere Länder für die bereits in der Atmosphäre angereicherten Treibhausgase verantwortlich, die uns schon 1,1 bis 1,2 Grad Celsius globaler Erwärmung beschert haben.
Und wie gehen wir mit diesem Budget um? Wir überziehen gnadenlos: In Deutschland wurden nach Angaben des Bundesumweltamtes 2022 666 Millionen Tonnen CO2 emittiert.
Zwar sinken die Emissionen jährlich ein wenig, doch viel zu langsam. Eigentlich müssten, um das Budget nicht zu überziehen, in den nächsten Jahren die Emissionen jährlich um rund 60 Millionen Tonnen CO2 sinken. Dann wären wir in 11 Jahren bei null angelangt.
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Man könnte natürlich auch, wie es die "Letzte Generation vor den Kipppunkten" fordert, ein paar einfache Maßnahmen wie Tempolimit und Neun-Euro-Ticket sehr schnell durchziehen, und hätte dann noch ein klein wenig mehr Zeit. Aber derlei gilt hierzulande ja als kriminell und terroristisch und muss daher unbedingt mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt werden.
Jedenfalls ist schon das bisher noch gültige Klimagesetz, an das sich weder Grüne noch Sozialdemokraten noch Liberale halten mögen, trotz der Nachbesserungen von 2021 weit davon entfernt, sich auf das Deutschland gerade noch zustehende Budget zu beschränken. Doch nun soll auch noch dieses unzulängliche Gesetz weiter verwässert werden.
Da sind die Wissenschaftsfeinde von der AfD schon ehrlicher, die letzte Woche zur Debatte im Bundestag einen Antrag auf Ausstieg aus den internationalen Klimaschutzverträgen einbrachten.