Im Club der toten Griechen

Seite 2: Ungeliebte Wahrheiten

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Butlers Buch, ein bis heute erhältliches Standardwerk der britischen Germanistik, erschien nur einmal 1947 in einer stark gekürzten Fassung auf Deutsch. Bis heute wird es mit seinen provokativen Thesen und ungeliebten Wahrheiten von der deutschen Germanistik ignoriert oder abgelehnt - nicht hingegen vom Doyen der Schweizer Germanistik, Walter Muschg, der ein flammendes Lob auf Butlers "von nationalen Scheuklappen befreite" Sicht formuliert:

Da sie kein Urteil unbesehen nachsprach und sich ihren maliziösen Humor durch keinerlei Rücksichten verkümmern ließ, erregte sie Anstoß ... Die geistige Luft, die hier weht, könnte ein Heilmittel für viele Gebrechen sein, an denen die deutsche Literaturwissenschaft leidet.

Walter Muschg

Claudia Schmölders herausragendes, dabei unterhaltsames und sehr süffig zu lesendes Buch "Faust & Helena" ist nicht zuletzt eine Ehrenrettung von Eliza Butler. Sie schreibt Kulturgeschichte als Konstellationsgeschichte und führt Butlars Ansatz weiter in die Gegenwart: "200 Jahre erst glühender und auch unendlich befruchtender, dann aber allmählich erstickender Nähe zwischen den Ländern endeten ... eigentlich erst seit der letzten Jahrtausendwende."

In mancher Hinsicht referiert Schmölders nur das, was Butler bereits geschrieben hat. In anderen Fällen entfaltet sie es, verbreitert, gibt neue Informationen, aber am Ende geht sie eindeutig darüber hinaus und erzählt von der Nachkriegszeit, von der Zeit nach der Wiedervereinigung, neuen deutschen Grabungen im alten Troja und der Staatsschuldenkrise.

Als Schäuble und Varoufakis über Schulden debattierten, stand all dies, die ganze 250-jährige Wechselgeschichte aus Achtung und Verachtung, Verehrung und Enttäuschung, mit im Raum - die "größte Hellas-Verehrung" schreibt Schmölders "stand nun wie schon 1832 neben Hass auf die Realität. Deutschland, das für seine Kriegsgräuel 1941 bis 1945 nie wirklich einstand, wurde zum härtesten Gläubiger."

Die Befürchtung, "dass gerade die Feinheiten deutschen Kulturdenkens keinerlei Wirkung auf die politische Klasse haben, ja diese womöglich nur mit prätentiöser Selbstsicherheit versorgen" sei einmal mehr bestätigt worden.

So wie die Einsicht, dass das Wichtigste in jeder Beziehung Kommunikation ist, nicht Idealisierung.

Literatur:

Eliza M. Butler: "The Tyranny of Greece over Germany. A Study of the Influence Exercised by Greek Art and Poetry over the Great German Writers of the Eighteenth, Nineteenth, and Twentieth Centuries"; Cambridge University Press, Cambridge 1935 [zuletzt 2011]

Mark Mazower: "Griechenland unter Hitler: Das Leben während der deutschen Besatzung 1941-1944"; S.Fischer Frankfurt 2016

Claudia Schmölders: "Faust & Helena. Eine deutsch-griechische Faszinationsgeschichte"; Berenberg Verlag, Berlin 2018

Bernd Witte: "Moses und Homer. Griechen, Juden und Deutsche: Eine andere Geschichte der deutschen Kultur"; Verlag De Gruyter, Berlin 2018