Im Datenbackstudio mit Innenminister Friedrich

Seite 3: Im Umlufterhitzer auf kleiner Stufe backen

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Die Befürchtungen Riegers im Hinblick auf eine Weitergabe der - unter welchen Bedingungen auch immer - in die Antiterrordatei gelangten Daten an "befreundete" ausländische Dienste und Polizeistellen wurden in der Verhandlung bestätigt. Regelmäßig finde auf entsprechende Anfragen hin ein Abgleich von Einzeldaten aus der Datei statt, so BKA-Präsident Ziercke, wobei seine Behörde zunächst die eigenen Datenbestände bemühe, bevor eine Recherche nach den in der Antiterrordatei gespeicherten Daten anderer Behörden erfolge.

Die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Prof. Dr. Beate Rudolf, sieht aufgrund der Weitergabepraxis von BND und BKA ein mit der Antiterrordatei in Zusammenhang stehendes erhöhtes Gefährdungspotential für die Menschenrechte:

Durch die Antiterrordatei ist der Zugriff ausländischer Stellen auf das in Deutschland über einzelne Personen vorhandene Wissen erleichtert worden.

Die für eine Weitergabe maßgeblichen Rechtsvorschriften fänden sich zudem nicht im ATDG. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass ausländische Stellen die in Deutschland üblichen datenschutzrechtlichen Standards berücksichtigen. Hierdurch könne es mit Beteiligung deutscher Stellen zu Gefährdungen von Menschen überall auf der Welt kommen.

Es komme daher nicht darauf an, wie die Antiterrordatei nach dem Verlautbarungen der Behördenvertreter derzeit genutzt werde, sondern welche Möglichkeiten das Gesetz den Behörden an die Hand gebe, aufgrund der verfügbaren Daten im Falle sich ändernder Bedrohungslagen zu agieren.

Dass selbst der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen, der noch im Juli an der Freien Universität Berlin zum Honorarprofessor berufen werden wollte, um dort Grundrechte zu lehren, in entspannten Bedrohungslagen die grund- und menschenrechtlichen Probleme einer Verwertung sogenannter "schmutziger", also aus Folterungen stammender Daten nicht zu erkennen vermag, belegte in erschütternder Weise seine Antwort auf eine Frage des Bundesverfassungsrichters Gaier.

Dieser hatte Maaßen gefragt, welche Verfahrensweisen im Hinblick auf solche Informationen üblich seien, die aus Folterungen stammen. Darauf hatte Maaßen lediglich erklärt, dass an der Verwendung solcher Daten kein Interesse bestünde, weil diese nicht valide genug seien. Selbst auf Nachfrage Gaiers, wusste der oberste Verfassungsschützer (sic!) dieser Überlegung nichts weiter hinzuzufügen.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie beispielsweise der Militärische Abschirmdienst reagieren würde, wenn deutsche Soldaten am Hindukusch in Lebensgefahr geraten und per Eilzugriff die vermeintlich für eine Identifizierung und Lokalisierung der Gefährder notwendigen Informationen in der Antiterrordatei abgerufen werden könnten, um damit eine Drohne zu füttern, die dann die Gefahr "ausschaltet" - woher auch immer die dafür relevanten Informationen stammen mögen.

Den erhitzten Teig nach 5 Jahren vorsichtig anstechen

Eigentlich hätte das Antiterrordateigesetz schon 2011 wissenschaftlich evaluiert werden sollen. Außerdem obliegt den Datenschutzbeauftragten die Pflicht zu einer kontinuierlichen Kontrolle der vom BKA betriebene ATD-Protokolldatenserver, die alle Änderungen der Datei aufzeichnen. Wie jedoch aus den Stellungnahmen der Datenschutzbeauftragten hervor geht, wurde seit Inbetriebnahme der Antiterrordatei von den 38 im Gesetz namentlich genannte Sicherheitsbehörden nur die Hälfte von Datenschützern kontrolliert.

Nicht kontrolliert wurden bislang z.B. die Landeskriminal- und die Verfassungsschutzämter in den bevölkerungsstarken Ländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachen oder Hessen. Wo dies aber doch geschah, erfolgte die Prüfung mehrheitlich nur in der Startphase der Datei nach deren Erstbefüllung in den Jahren 2007/2008. Dabei wurden zum Teil deutliche Probleme hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Speicherung von Daten, insbesondere hinsichtlich der Kontaktpersonen festgestellt.

Moniert wurden aber auch grundlegende Kontrolllücken, weil trotz Sicherheitsüberprüfung der Datenschützer mit Hinweis auf die "Staatswohlklausel" des Bundesdatenschutzgesetzes der Zugriff auf verdeckt gespeicherte Daten verweigert wurde. Während der Verhandlung berichtete der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar dann noch, dass ihm eine ordnungsgemäße Prüfung nicht möglich gewesen sei, weil ihm das BKA keinen direkten Zugang zu den Protokolldaten erlaubt habe, sondern lediglich Ausdrucke von Transaktionen überreichte.

Es sei nicht nachvollziehbar, so Schaar, warum ausgerechnet bei der Kontrolle der länderübergreifenden Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden Förderalismusbedenken vorgeschoben werden, wo doch offensichtlich bei der Arbeit mit der Datei solche Bedenken nicht bestünden.

Für Beate Rudolf vom Deutschen Institut für Menschenrechte stellt die mangelnde Kontrolle des Informationsaustauschs eines der grundlegendsten Probleme bei der Antiterrordatei dar. Sie lenkt den Blick dabei aber auch auf die betroffenen Personen selbst. Diese hätten zwar grundsätzlich ein Auskunftsrecht gegenüber dem BKA, in der Praxis laufe es aber ins Leere. Denn Betroffene müssten bei 38 verschiedenen Stellen ein Auskunftsersuchen stellen.

Selbst wenn sie eine Auskunft erhielten, könne diese am nächsten Tag schon unzutreffend geworden sein. Daher fehle auch die einschränkende Auslegung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale durch die Verwaltungsrechtsprechung. Insbesondere im Hinblick auf die verdeckt gespeicherten Daten, zu denen das BKA selbst keine Auskunft erteilt. Dieses Leerlaufenlassen gerichtlicher Kontrolle sei in der Verhandlung viel zu kurz gekommen.

Der Zuckerguss macht den Geschmack

Spektakuläre Fahndungserfolge aufgrund der Antiterrordatei konnte Bundesinnenminister Friedrich nicht vermelden. Auch die alten Gespenster aus Zierckes Mottenkiste boten sich diesmal nicht zum Garnieren an. Friedrich bemühte daher in geschicktem Vorgriff auf die gesetzlich ähnlich konstruierte Rechtsextremismusdateidie Floskel von der schmerzlichen Lehre aus der Vergangenheit und fand ein anderes Gruselstück: die NSU. Es sei, so Friedrich, eine notwendige Konsequenz aus den behördlichen Versäumnissen bei der Aufklärung der Mordserie der NSU, das Verfassungsschutz und Polizeien ihre Informationen besser vernetzen müssen.

Derartige Vergleiche liegen für Beate Rudolf neben der Sache, vor allem weil sie die tatsächlichen Versäumnisse der Ermittlungsbehörden überspielten. Zum einen seien die Ermittlungspannen in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Fahnder das den Taten zugrundeliegende rassistische Motiv nicht erkannten, möglicherweise nicht einmal erkennen wollten und daher auch nicht entsprechend nachforschten.

Zum anderen aber hätten einer Aufklärung institutionelle Bedenken der beteiligten Stellen entgegengestanden, die in erster Linie auf den Schutz ihrer V-Leute bedacht waren. Das Problem aber, dass Geheimdienste ihre V-Leute vor Strafverfolgung schützen wollen, könne auch die Antiterrordatei nicht lösen:

Wenn das die Lehre sein soll, die aus der Aufarbeitung der NSU-Morde folgt," so Rudolf: "dann ist die Antiterrordatei definitiv die Falsche.

Beim Abkühlenlassen vor Staub schützen

Eine andere, tatsächlich historische Lehre aus den Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im Nationalsozialismus ist mit der Antiterrordatei indes aufgegeben worden. Die nämlich, dass die Anwendung polizeilicher Zwangsbefugnisse und die geheimdienstliche Informationsbeschaffung nicht in der Verantwortung einer Behörde zentralisiert werden dürfe. Die Alliierten haben diesen Trennungsgrundsatz den Vätern und Müttern des Grundgesetzes am 14. April 1949 im sogenannten Polizeibrief mit auf den Weg gegeben.

Bis zur Wende schien dieser Grundsatz parteiübergreifend gültig, wenn er auch im Grundgesetz nicht explizit niedergelegt wurde und die Alliiertengesetzgebung nach dem In-Kraft-Treten des Deutschlandvertrages im Mai 1955 keine Rolle mehr spielte. Als aber nach dem Beitritt der DDR auch die Grenzen fielen und die "neuen Herausforderungen der internationalen organisierten Kriminalität" auch neue "Bekämpfungsgesetze" wie Pilze aus den Gesetz- und Verordnungsblättern sprießen ließen, wurden die Grenzen zwischen Polizeien und Geheimdiensten kontinuierlich verschoben. Die Polizeien erhielten typisch nachrichtendienstliche Aufklärungsbefugnisse (z.B. den Einsatz von V-Personen) an die Hand, ohne dass eine entsprechende polizeiliche Gefährdungslage vorliegen müsste. Die Nachrichtendienste erhielten die Möglichkeit, ihre Informationsbeschaffung notfalls im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen.

Mit der Antiterrordatei, die den ungehinderten Austausch zwischen Zoll, Polizei und Nachrichtendiensten zulässt, wird die mit dem Trennungsgebot intendierte Beschränkung der Informationserhebung auf die der Behörde jeweils zugewiesenen Aufgaben durchbrochen. Jura-Professorin Will, die von 1993-1995 selbst Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht und später Richterin am Verfassungsgericht von Brandenburg war, hob nach der zweistündigen Mittagspause, die sich das Verfassungsgericht genehmigt hatte, das Trennungsgebot als Verfassungsrealität noch einmal ins Bewusstsein.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht erweise sich das Trennungsgebot nicht nur als institutionelles Organisationsprinzip. Vielmehr zeige sich, dass es eine Aufgabenbeschränkung von Polizei und Nachrichtendiensten gerade bei der Nutzung von Informationen gebe. So habe das Gericht bspw. ein Übermittlungsverbot von Daten aus strategischer Fernmeldeüberwachung an die Polizei festgeschrieben.

Auch Institutsdirektorin Rudolf betonte, dass das Trennungsgebot vor allem im Bereich der informationellen Zusammenarbeit ernst genommen werden müsse. Das liefe auf eine effektive Beschränkung der Nutzungsrechte von Daten aus der Antiterrordatei hinaus. Die hierfür maßgeblichen Regelungen über die rechtmäßige Erhebung und Weiterverarbeitung bis hin zur Übermittlung der Daten enthalte das ATDG aber gar nicht selbst. Vielmehr werde schlicht auf die für die Behörden jeweils geltenden Spezialgesetze verwiesen. Es stelle sich damit die Frage, ob das ATDG verfassungsmäßiger sein könne als die Verweisgesetze (z.B. BKAG, die Polizeigesetze, das BVerfSG etc.).

Viele Köche, zwei Köchinnen

Dass das Bundesverfassungsgericht am Trennungsgebot starr festhalten werde, erwarten jedoch weder Will noch Rudolf. Vielmehr wird es die Konsequenzen der Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten auf der Ebene eines an den Grundrechten orientierten Verfahrensschutzes klar benennen. Auch ein grundsätzliches "Nein" des Bundesverfassungsgerichts zur Verbunddatei hält Will für unwahrscheinlich. Vielmehr erwartet sie, dass der Datenverbund unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig gehalten, davon abweichende Bestimmungen des ATDG für verfassungswidrig erklären und die übrigen in ihrer Anwendung beschränken werden.

Streichpotential sieht Will vor allem hinsichtlich der Zugriffsbefugnisse auf die erweiterten Grunddaten und die Klartext-Elemente. Das Gericht werde nur eine reine Indexdatei zulassen, mutmaßt sie. Einschränkungen seien auch in Bezug auf den Kreis der betroffenen Personen und auf die Geheimhaltung der Errichtungsanordnung zu erwarten.

Bundesinnenminister Friedrich sieht dem Urteil mit großer Gelassenheit entgegen. Selbst wenn sein Kuchen verbrannt sein sollte, werden ihm die Verfassungsrichter schon ein Rezept in die Hand geben, wie er das, was er will, so zusammenrühren kann, dass der Normenteig auch im Karlsruher Brüter aufgeht. Außerdem weiß er: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gebacken wird. Und weggeschmissen wird sowieso nix.