Im Datenbackstudio mit Innenminister Friedrich

Seite 2: … und ordentlich durchmischen

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Nach Mitteilung des Bundesinnenministeriums wurden seit Inbetriebnahme der Antiterrordatei bis zum 1. Oktober 2011 insgesamt 300.909 Datenabfragen durchgeführt, ca. 1.200 Anfragen pro Woche. Seitdem habe es nur einen Eilfall gegeben, in dem eine Behörde direkt auf die erweiterten Grunddaten zugegriffen habe. Auch sonst sei die Zahl mit der Anfragen auf Freigabe der erweiterten Grunddateien mit etwa 1000 gering gewesen.

Wenn die Polizei in der Realität so arbeitet wie im Tatort, könnte es daran liegen, dass sich die Beamten, die ja ohnehin verpflichtet sind, bei der speichernden Stelle anzufragen, die Daten gleich telefonisch durchgeben lassen. Dann kann der Datenabruf vom System auch nicht erfasst werden. Constanze Kurz hat indes noch eine andere Vermutung:

In der Verhandlung ist deutlich geworden, dass in der Mehrzahl der Fälle nicht nach Personen gesucht wird, deren Namen bekannt sind, sondern in gewissem Umfang von bestimmten Merkmalen ausgegangen, also invers gesucht wird. Also z.B. welche Personen mit einer Anschrift in Karlsruhe sich schon einmal in Afghanistan aufgehalten haben.

In diesem Fall werden zu jedem Treffer die Grunddaten im Klartext angezeigt. Je genauer die inverse Suchanfrage ist, um so mehr Informationen erhält dann auch die anfragende Stelle aus dem Bestand der erweiterten Grunddaten, ohne überhaupt einen Namen zu besitzen. Das hat mit der von den Regierungsvertretern behaupteten Abfrage zum Zwecke der Überprüfung der Identität einer Person natürlich nicht mehr viel zu tun.

Dieses Phänomen griff auch der Berichterstatter des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts, Johannes Masing, kritisch auf und fragte nach, ob durch die technischen Suchmöglichkeiten des Systems die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abfrage umgangen werden könnten. Eine direkte Antwort erhielt Masing hierauf nicht.

Die Regierungsvertreter waren vielmehr bemüht, immer wieder darauf hinzuweisen, dass es sich eigentlich nur um eine Index-Datei handle. Vieles war in diesem Verfahren schon behauptet worden, was der Prozessvertreter der Bundesregierung schon bald widerrufen musste. So z.B. dass ein Ausdruck von Rechercheergebnissen oder auch Sammelabfragen nicht möglich seien.

CCC-Sprecherin Kurz bleibt daher skeptisch:

In den Freitextfeldern ließe sich alles mögliche speichern, Katalogmerkmale, Aktenzeichen usw. Hier scheint es auch keine einheitliche Handhabung der beteiligten Stellen zu geben.

Einzeldaten vorsichtig unterheben

Große Probleme mit der Bestimmtheit der Norm sieht die Berliner Rechtsprofessorin Rosemarie Will, die am Dienstag als Vorsitzende der Humanistischen Union angehört wurde, auch im Hinblick auf die in der Antiterrordatei zu speichernden Personen:

In der Verhandlung ist deutlich geworden, was viele Gutachter in der parlamentarischen Beratung schon kritisiert haben, dass nämlich der Kreis der betroffenen Personen viel zu unpräzise beschrieben ist und von den tatbestandlichen Voraussetzungen her ausufernd ausgelegt werden kann.

Es ist nicht davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit der Speicherung von Kontaktpersonen in dem Umfang unbeanstandet lassen wird, wie sie derzeit vom Gesetz vorgesehen ist, und ebensowenig die Speicherung der Befürworter von Gewalt als Extremisten.

Nach § 2 ATDG dürfen nicht nur Mitglieder oder Unterstützer/innen einer inländischen terroristischen Vereinigung mit internationalem Bezug oder einer ausländischen terroristischen Vereinigung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland gespeichert werden.

Vielmehr wird die Datei auch um Mitglieder oder Unterstützer von Gruppierungen ergänzt, die solche Vereinigungen unterstützen sowie von Einzelpersonen, die "rechtswidrige Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen."

§ 2 Satz 1 Nr. 3 ATDG ordnet schließlich die Erfassung von Daten zu Kontaktpersonen der genannten Personenkreise an. Je nachdem, ob diese von den verbotenen Tätigkeiten ihrer Bekannten Kenntnis habe oder nicht, werden sie in "dolose" und "undolose" Kontaktpersonen unterschieden. "dolosus" ist lateinisch und heißt so viel wie arglistig oder trügerisch.

Für die Vermutung konkreter Kenntnisse einer Kontaktperson über die Mitgliedschaft seiner Bekannten in einer terroristischen Vereinigung oder deren Unterstützung müssen zwar polizeiliche oder nachrichtendienstliche Erkenntnisse vorliegen, aus denen sich entsprechende "tatsächliche Anhaltspunkte" ergeben.

In der Verhandlung wurde indes nicht deutlich, woher diese Anhaltspunkte stammen und wie konkret sie sein müssen. Verfassungsrichter Paulus kritisierte denn auch, dass die im Gesetz verwendeten Formulierungen weder mit strafprozessualen noch mit polizeirechtlichen Tatbeständen identisch seien und mutmaßte daher, dass es nach dem Wortlaut des Gesetzes genügen dürfte, sein Kind in den Kindergarten einer Moschee zu geben und der Betreuungseinrichtung dann Geld zu spenden.

Tatsächlich teilen Terrororganisationen an ihre Mitglieder nur sehr selten Namensschildchen aus oder übermitteln den Behörden ihre Mitgliedschaftslisten. Zudem werden unbekümmerte Sympathieerklärungen für militant agierende Oppositionsgruppen kaum noch möglich sein, wenn die Definitionsgewalt darüber, welche Gewalt als rechtmäßig und welche als rechtswidrig gilt, bei den Behörden liegt.

Gegen eine solche Gesinnungsschnüffelei hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil von 1983 das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Stellung gebracht:

Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.

Entsprechend intensiv waren auch die Debatten um die Frage der Kontaktpersonen ohne Kenntnis über terroristische Zusammenhänge, also die sog. undolosen Kontaktpersonen. Wie der BND-Vertreter erklärte, seien ungefähr die Hälfte der Daten in der Antiterrordatei von seiner Behörde eingegeben worden und beträfen keine Personen deutscher Staatsangehörigkeit.

Davon seien 50% als Gefährder zu betrachten, alle anderen wenigstens als dolose Kontaktpersonen. Undolose Kontaktpersonen würden nicht gespeichert. Insgesamt hätten von den 16.000 gespeicherten Personen nur 3.000 zumindest auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Der Berliner Strafverteidiger Sönke Hilbrans, der für die Deutsche Vereinigung für Datenschutz als Sachverständiger geladen war, weist in diesem Zusammenhang auf einen denkwürdigen Vorgang hin:

Bei genauerer Betrachtung der als 'dolos' gespeicherten Personen fehlen in vielen Fällen aktenkundigen Belege dafür, dass die Kontaktpersonen von der Brisanz ihres Kontakts Kenntnis haben. Eine Behörde musste nach einer Prüfung durch den Landesdatenschutzbeauftragten die vorgenommene Einstufung sogar wieder ändern. Das hat durchaus praktische Relevanz, denn über 'undolose' Kontaktpersonen dürfen nur die Grunddaten, nicht aber die erweiterte Daten gespeichert werden. Das heißt in diesem Fall musste die Behörde einen Teil der eingegebenen Datensätze wieder löschen.