Im Namen eines alten Europäers

Während der französische Außenminister Villepin am Freitag im Sicherheitsrat Applaus kassierte und am Samstag von zahlreichen Demonstranten unterstützt wurde, mutiert Präsident Chirac zum Watschenmann der britisch-amerikanischen Presse

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Ein hörbares Aufatmen beherrschte am Tag danach die französische Medienlandschaft. Viele hatten befürchtet, dass der mit angstvoller Spannung erwartete Bericht der UNO-Waffeninspektoren den von einer überbewältigenden Mehrheit unerwünschten Krieg einläuten würde. Und Chirac und Dominique de Villepin endgültig dazu zwingen könnte, Farbe zu bekennen. Wird Frankreich im Falle einer zweiten UN-Resolution, die einen neuen Irakkrieg legitimieren würde, sein Vetorecht benutzen?

Die Tausenden von Demonstranten, die am Samstag in Paris, Bordeaux, Marseille und Nizza gegen den Krieg marschierten, haben sich durch die Brandreden des international hyperaktiven Duos nicht beirren lassen: 79% der Franzosen wünschen, dass im Falle des Falles vom Vetorecht Gebrauch gemacht wird. Die transatlantische Presse scheint einen solchen Vorstoß von Seiten des "undankbaren und feigen" Alliierten jedenfalls für wahrscheinlich zu halten. Wie sonst ließe sich die dort zur Zeit grassierende "Frankophobie" erklären?

Es gibt Stimmen, die glauben, dass die von uns geforderte Fortsetzung des Inspektionsprozesses eine Art Verzögerungstaktik sei, die darauf abzielt, eine militärische Intervention zu verhindern. (...) Es gibt zwei Optionen: die Kriegsoption könnte a priori als die raschere erscheinen. Aber vergessen wir nicht, dass wir nach einem Sieg den Frieden aufbauen müssen (...) Dies wird lang und schwierig werden, denn dann müsste dafür Sorge getragen werden, die Einheit des Irak zu bewahren und auf dauerhafte Weise die Stabilität eines Landes und einer Region wiederherzustellen, die durch ein gewaltvolles Eindringen schwer geschädigt sein wird. Angesichts solcher Perspektiven, bieten die Inspektionen die Alternative (...) einer effizienten und friedlichen Entwaffnung des Iraks. Ist dieser Weg schlussendlich nicht kürzer und sicherer?

Dominique de Villepin in seiner applaudierten Rede vor dem Sicherheitsrat.

Auch einen kleinen Seitenhieb auf Colin Powells multimediale "Beweise" für die "angeblichen" Verbindungen zwischen al-Quaida und dem Regime in Bagdad wollte sich der Außenminister nicht verbeißen: Zur Zeit verfüge Frankreich über keinerlei Informationen, die solche Verbindungen bestätigen würden. Doch gerade in diesem Bereich dürften die Auswirkungen einer Militäraktion nicht aus den Augen verloren werden, wie Villepin ausdrücklich warnte: "Würde eine solche Intervention die Brüche zwischen den Gesellschaften, zwischen den Kulturen, zwischen den Völkern nicht noch verschlimmern? Das sind die Brüche, von denen sich der Terrorismus nährt?" Um aber gleich darauf anzumerken, dass Frankreich, "die Möglichkeit, dass wir eines Tages zur Gewalt greifen müssen", nicht ausschließe.

Einstweilen plädiert die Grande Nation für eine Verlängerung und Intensivierung der Waffeninspektionen, wie dies bereits in einem letzten Dienstag den UN-Chefinspektoren übergebenen Arbeitspapier näher ausgeführt wurde. Die Anzahl der Waffeninspektoren und der Inspektionen soll verdoppelt oder gar verdreifacht werden, Sicherheitscorps verdächtige oder inspizierte Sites überwachen - von Blauhelmen ist hier allerdings keine Rede -, und Frankreich sei bereit, den Inspektoren seine Aufklärungsflugzeuge "Mirage IV Photo" zur Verfügung zu stellen. Und last but not least: Alle diese Maßnahmen bedürften keiner neuen UN-Resolution. Jene Resolution also, die das britisch-amerikanische Lager so gerne zur Legitimierung eines Krieges zu Stande bringen würde. Stattdessen schlägt Villepin ein neuerliches Zusammentreffen, diesmal auf Ministerebene, für den 14.März vor, um die Situation zu evaluieren.

"Das Friedenslager punktet"

Villepins UNO-Rede wurde am Samstag freilich sowohl von der französischen Presse, wie auch von den Parlamentariern, die zu einem anderen Thema tagten, ausdrücklich gelobt. Die Sicherheitsratsitzung vom Freitag sei zu Gunsten der Kriegsgegner ausgefallen, analysiert der Nouvel Observateur. Auf dem Cover dieses Politmagazins prangt diese Woche ein großes "Nein zu diesem Krieg".

Zurückhaltender gibt sich der bürgerliche Figaro, der bloß von einer "Atempause bei der UNO" sprechen möchte und mahnt, dass "ohne glaubwürdige Androhung einer militärischen Intervention, Saddam Hussein niemals akzeptiert hätte, so weit zu gehen. Die nächsten Verhandlungen bei der UNO werden entscheidend sein. Die Vereinigten Staaten sind in ihren militärischen Vorbereitungen zu weit fortgeschritten, um noch zurückzuweichen".

Die der linken Reichshälfte zugeordnete Libération, will auch nicht ausschließen, dass ein Krieg immer noch im Bereich des Möglichen läge, aber in der vom Bush-Team gewünschten Form immer schwerer zu rechtfertigen wäre. Nicht nur, weil er die internationale Gemeinschaft und ihre Institutionen vor eine gefährliche Zerreißprobe stelle, sondern auch, weil ein Krieg "schlussendlich die dümmsten antiamerikanischen Triebe beschleunigt, weit weg von diesem so gerechtfertigten Gefühl, das nach dem 11.September zu Tage getreten ist, dass wir alle ein wenig New Yorker sind, Bewohner jenes multiethnischen Schmelztiegels mit einer gemeinsamen Idee von Demokratie".

Auch Dominique de Villepin hat vor der UNO nicht vergessen, den "amerikanischen Freunden" das französische Drängen auf mehr Zeit für die Inspektoren ein wenig zu versüßen: "Und es ist ein altes Land, Frankreich, ein alter Kontinent, wie der meine, der Kriege, die Besetzung und die Barbarei gekannt hat, der Ihnen das heute sagt. Ein Land, das nicht vergisst und das sich bewusst ist, was es den Freiheitskämpfern, die aus Amerika und anderen Ländern gekommen sind, verdankt".

Frankophobie

Was wohl eine direkte Bezugnahme auf die in der amerikanischen und britischen Presse in den letzten Tagen so häufig zitierten "französischen Undankbarkeit" gewesen sein dürfte. So hatte die New York Post einen Kommentar mit dem stimmigen TitelHow dare the french forget mit Fotos von amerikanischen Soldatengräbern in der Normandie illustriert. Die selbe Zeitung attestiert der UNO-Rede des französischen Außenministers "Alice-im-Wunderland-Qualitäten", weil sich die "frenchies" partout nicht von Saddams so offensichtlicher Gefährlichkeit überzeugen lassen wollten. Noch weit mehr unter die Gürtellinie wagt sich das britische Boulevardblatt "The Sun", das neben einer erlesenen Auswahl an Franzosenwitzen das französische Staatoberhaupt direkt angreift: Unter dem Titel Who are you kidding Chirac? prangt ein Foto von Adolf Hitler vorm Eiffelturm und eine Fotomontage mit Saddam vorm selben Pariser Wahrzeichen.

Ernster wird es, wenn mit Wirtschaftsboykotten gedroht wird, wie es einige US-Kongressmitglieder diese Woche vorgeschlagen haben. Derweilen dürfte es allerdings bei Drohgebärden bleiben, wird doch sowohl in der europäischen Presse, wie in der angloamerikanischen als einziges Beispiel eine französischen Käsesite, fromages.com, strapaziert, deren Auftragslage in den USA Rückläufe zu verzeichnen hätte.

Mittlerweile melden sich die US-Falken sogar höchstpersönlich in der französischen Presse zu Wort: So erklärt der Vorsitzende des Defense Policy Boards, Richard Perle, einer der eifrigsten Kriegstreiber des Bush-Lagers, in einem Interview, warum er mit der Politik Chiracs ein Problem habe:

"Frankreich hat einen Weg gefunden, sich mit dem Irak zu arrangieren, ein Ergebnis der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Vor allem will Frankreich Europa als Gegengewicht zu den USA aufbauen, (...) was unnötig und zerstörerisch ist. (...) Wir möchten vom Präsidenten Chirac hören, dass er nicht gerade dabei ist, die Europäische Union als Feind der Vereinigten Staaten zu positionieren. Denn, falls das der Fall sein sollte, dann müssten wir darüber nachdenken, getrennte Wege einzuschlagen."

Eine Mehrzahl von Franzosen scheint diese "Cowboy-Allüren" gar nicht zu goutieren: Laut neuesten Umfragen erklären sich 54% von dem Rumsfeld-Sager vom "alten Europa" schockiert. Klägliche 9% hingegen wünschen, dass Frankreich den USA volle Solidarität gewährleistet. Und nur einer von zehn Franzosen vermag einem Irakkrieg etwas abzugewinnen. Was auf Frankreichs Strassen am Samstag eindrücklich zur Schau gestellt wurde: Laut den Veranstaltern haben sich über eine halbe Million Kriegsgegner aus allen Lagern, von Rechtsaußen (auch Le Pen hatte seine Anhänger mobilisiert) bis zur extremen Linken, lautstark gegen einen Krieg ausgesprochen.