Im Pentagon träumt man von wundersamen Computerprogrammen

Da man im Irak große Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der weitgehend unbekannten Organisationsstrukturen von Aufständischen und Terroristen hat, soll nun ein Computerprogramm einspringen

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Offenbar ist man im Pentagon ein wenig ratlos darüber geworden, wie man mit Terrornetzwerken umgehen soll. Es gibt zwar Erfahrungen mit hierarchischen Organisationen, also normalen Truppen oder anderen Top-down strukturierten Gruppen. Aber mit flachen Organisationen wie den nach dem Afghanistan-Krieg existierenden islamistischen Gruppen haben die gewohnten militärischen "Lösungen" bislang weitgehend versagt.

Ausschnitt aus einer Darstellung des angeblichen Netzwerks der 19 Attentäter vom 11.9. Atta ist hier nicht sonderlich zentral, es gibt nur periphere Kontakte zwischen den Gruppen

Tatsächlich scheint man im Pentagon und in der Bush-Regierung allgemein oft davon auszugehen, dass es primär darum geht, die vermeintlich führenden Personen zu töten oder zu fangen, um dadurch die Organisation zu "enthaupten". Das scheint System zu haben und nicht nur durch Spin begründet zu sein, da sich die Personalisierung des Bösen besser verkaufen lässt, weil sie eingängiger und Hollywood-gemäß ist. Möglicherweise werden aber auch nur die hierarchischen Strukturen auf die Gegner übertragen, die die eigenen Organsiationen auszeichnen. Nicht zuletzt ist im Wahlkampf und in der Machtausstattung der amerikanische Präsident auch wirklich hervorgehoben, was den Bedürfnissen einer Mediendemokratie entgegen kommt.

So werden, auch wenn man gleichzeitig von zerstreuten Netzwerken spricht, ständig hierarchische Strukturen, zusammen mit einem Oberkommandierenden (Bin Laden, Mullah Omar, Saddam Hussein, al-Sarkawi), projiziert (wobei die so geschaffenen Phantome von diesem Aufmerksamkeits- und Machtzuwachs durchaus profitieren und wohl selbst an der Mythenbildung - im Irak beispielsweise al-Sarkawi - beteiligt sind). Und so kommt es auch, dass die US-Regierung immer wieder sagt, es seien mindestens zwei Drittel der al-Qaida-Führung (top leaders) gefangen oder getötet worden, ohne dass dies den Terrorismus geschwächt hätte. Unklar ist jedoch, welche Bedeutung al-Qaida als Organisation im Sinne von "command and control" überhaupt besitzt, da sich der islamistische Terrorismus offensichtlich dezentral und flach weltweit in kleineren Gruppen organisiert, die teilweise auch miteinander konkurrieren. Vermutlich hat der Krieg gegen das Taliban-Regime die Dezentralisierung noch weiter gefördert.

Zufälliges, skalenfreies und hierarchisches Netzwerk

Auch die letzten größeren Kämpfe in Nadschaf und in Falludscha wurden zumindest damit begründet, die führenden Köpfe des Widerstands ausschalten zu wollen, also al-Sadr bzw. al-Sarkawi. Das aber hat bislang weder in Afghanistan noch Irak-Krieg oder jetzt im Kampf gegen die Aufständischen wirklich etwas geholfen. Und selbst nachdem viele der zur Führung des ehemaligen irakischen Regimes gehörende Personen und schließlich Saddam Hussein selbst gefangen genommen werden konnten, ist der Widerstand nicht zusammen gebrochen. Eher schon ist das Gegenteil geschehen.

Schwierigkeiten mit flachen Netzwerken

In der Darpa wird im Rahmen einer Ausschreibung der Abteilung Information Exploitation Office (IXO) um Vorschläge für Computerprogramme gebeten, mit denen sich "Kommandostrukturen des Feindes erkennen und ihre Störung bewirken" lassen (Tools to Identify an Enemy's Command Organization and Manage its Disruption). Ausgeschrieben wurde das Projekt am 10.11., eingereicht werden müssen Papiere mit Vorschlägen bereits am 10.12. Es muss also möglichst schnell gehen, was angesichts der Probleme im Irak auch nahe liegt.

Email-Netzwerke von Vertrauten

Gewünscht werden Programme, mit denen sich in den "feindlichen Kommandoorganisationen Prozesse der Entscheidungsfindung erkennen und stören" lassen. Offenbar geht man auch hier wieder von hierarchischen Strukturen aus, obgleich flache oder verteilte Netzwerkorganisationen von Aufständischen bereits in das neue Handbuch für "Counterinsurgency Operations" der Army eingegangen sind, das auf dem Hintergrund der Erfahrungen im Irak geschrieben und im Oktober 2004 veröffentlicht wurde. Dort heißt es:

Aufstände haben sich in der Geschichte um einen vereinigenden Führer, eine vereinigende Ideologie oder Organisation gebildet. Von dieser Voraussetzung kann man aber nicht mehr ausgehen. Es ist möglich, dass es viele Anführer an der Spitze von unterschiedlichen Organisationen mit unterschiedlichen Ideologien gibt, die durch das einzige Ziel vereinigt sind, die Regierung zu stürzen oder das Land von einer fremden Macht zu befreien.

Netzwerk von sexuellen Bekanntschaften

Die Darpa versteht ihr Anliegen als einen Aspekt des Informationskrieges. Zentral dafür sei eben das Verständnis und die Beeinflussung von menschlichen Entscheidungsfindungsprozessen innerhalb einer Kommandostruktur. Ganz streng hierarchisch sieht man diese aber auch hier nicht mehr, sondern versucht sich an einer Beschreibung, die Eigenschaften von flachen, vernetzten und hierarchischen Strukturen vermischt:

Eine Kommandoorganisation besteht aus Individuen und Suborganisationen auf verschiedenen Verantwortungsebenen, die durch eine Vielzahl an sowohl hierarchischen als auch Peer-to-Peer- Beziehungen und Verfahren verbunden sind, die formal oder informell sein können. Interessenorganisationen reichen von stärker strukturierten Kommandosystemen eines traditionellen Militärapparats bis zu der weniger strukturierten und flüssigen Führung von Guerilla-Gruppen und anderen irregulären Streitkräften.

Das zeugt wohl auch davon, wie wenig bekannt die Organisationen von Terror- und Widerstandsgruppen sind, die das US-Militär bekämpfen soll. Explizit wird dies auch eingeräumt. Trotz aller Überwachungstechnologien ist es verwunderlich, wie wenig über die al-Qaida-Gruppen weltweit oder die Widerstandsgruppen im Irak oder in Afghanistan bekannt ist. Sie seien, so heißt es, "schwierig zu beobachten", da solche Organisationen sich entwickeln und schnell verändern, und dies vor allem, wenn gekämpft wird. Das mussten die US-Truppen auch immer wieder im Irak feststellen, zuletzt in Falludscha, in dem zwar noch immer gekämpft wird, aber wohl ein Großteil der Aufständischen den Kampf in andere Orte getragen hat. Man leistet nicht direkt Widerstand, sondern taucht vor der überwältigenden Übermacht des Gegners ab, um räumlich zerstreut wieder aufzutreten und zu verschwinden. Sobald allerdings räumlich oder geografisch eine Zone oder Region verteidigt werden soll, werden die Aufständischen zum schwächeren Part.

Visualisierung des Internet

Weil militärisch solche losen Netzwerke von kleinen schwarmförmig organisierten Gruppen, die zivile Strukturen benutzen, kaum wirklich zu bekämpfen sind und es offenbar auch schwer ist, mithilfe von Spitzeln oder (durch Folter erzwungene) Aussagen von Gefangenen, Einsicht in die Organisationen zu erlangen, könnte ein Computerprogramm möglicherweise Hilfestellung leisten, in das man das Wenige eingibt, das bekannt ist, um daraus neue Angriffsstrategien auf solche intransparente "dynamische Systeme" zu entwickeln. Ähnlich wie Aufständische und Terroristen versuchen, mit Überfällen und Anschlägen schwache Punkte zu treffen und den Gegner zu lähmen, wäre es auch interessant, so die Darpa, "dynamische und zeitabhängige materielle oder informatorische Mittel zur Beeinflussung von Elementen und Verbindungen der feindlichen Kommandoorganisation" zu besitzen. Man wünscht sich also Ideen, an welchem Ort und zu welcher Zeit man zuschlagen soll, um den unbekannten Gegner am besten zu treffen und seine Operationen zu stören. Militärische Angriffe würden dann eben auch eher den Charakter von punktuellen Anschlägen annehmen (woran man sich auch deswegen orientiert, weil man "Kollateralschaden" durch den massiven und stets ungenauen Einsatz von Waffen medien- oder informationstaktisch vermeiden muss).

Agieren wie der Gegner

Wie oft bei der Darpa erscheinen die begehrten neuen Technologien eher als Wunschmaschinen. So sollen Vorschläge für Computerprogramme eingereicht werden, die US-Truppen im Einsatz benutzen können, um in Echtzeit Probleme zu lösen. So soll das Programm auf wundersame Weise aus den wenigen bekannten Hinweisen (Feindbewegungen, Angriffe, abgehörte Kommunikation) die Kommandoorganisation mit der wahrscheinlichsten Topologie, ihren Eigenschaften, Verbindungen und Entscheidungsfindungsprozessen erkennen - und auch noch die möglchen schnellen Veränderungen berücksichtigen, die "oft innerhalb von Stunden und sogar Minuten" geschehen.

Ist dann mit einer solchen Wunschmaschine der Gegner transparent, so soll sie auch gleich Angriffstrategien gegen die Kommandostrukturen des Feindes ausarbeiten und überdies vorhersagen, welche Auswirkungen diese Aktionen haben würden - alles natürlich in Echtzeit.

Doch damit ist noch nicht genug. Bei der Darpa wünscht man sich auch noch, dass das erstaunliche, fast schon Gott ähnliche Computerprogramm die schrittweise Durchführung der Operation kontrolliert:

In Echtzeit sollen die beobachtbaren, allgemein wenigen und teilweise ungenauen Daten ausgewertet, der Stand der sich entwickelnden Operationen bewertet und korrigierende Anpassungen vorgeschlagen werden.

Man wird gespannt sein dürfen, welche Vorschläge für entsprechende Computerprogramme bis 10. Dezember eingereicht werden. Die implizite Vorstellung scheint jedoch dahin zu gehen, die hierarchische Struktur der traditionellen Truppen aufzusprengen und selbst militärisch eine flache, netzwerkförmig organisierte und verteilt bzw. vor Ort prozessierende Struktur von kleinen Gruppen voranzutreiben. Die Kommandoebene wird durch das ominöse Computerprogramm ersetzt, das in Echtzeit die vorhandenen Daten verarbeitet und Operationsmöglichkeiten vorgibt. Noch müssen Menschen entscheiden, aber genau so könnten in Zukunft auch Gruppen autonomer Kampfroboter in den Einsatz geschickt werden. Und recht viel mehr wären die Soldaten in diesem Darpa-Szenario eigentlich schon jetzt nicht mehr.