Im Würgegriff der Generäle

Seite 4: Staatlich verordnete Moral

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Der nationalen Sicherheit, aber auch vom Regime und weiten Teilen der Bevölkerung extrem eng gefassten puritanischen Moralvorstellungen, wird im heutigen Ägypten derweil fast alles untergeordnet. Dabei müssen inzwischen nicht nur öffentliche Veranstaltung, sondern auch Konferenzen oder in geschlossenen Räumen geplante Workshops von der NSA erlaubt und explizit abgesegnet werden.

Drehbücher für geplante Filmproduktionen gehen ebenso über den Tisch von NSA-Offizieren wie Buchungen von Konferenzräumen für nicht öffentliche Veranstaltungen. Die Sozialistische Volksallianz, eine kleine linke regimekritische Partei, musste erst im Dezember ein in einem Kairoer Hotel geplantes Vernetzungstreffen mit Vertretern arabischer und europäischer Linksparteien absagen, da die NSA in letzter Minute ihre Zustimmung verweigerte.

Konzerte oder Filmvorführungen werden ebenfalls regelmäßig aus Sicherheitsgründen, wegen Satanismusvorwürfen oder einfach ohne Nennung offizieller Erklärungen untersagt, Spiele der ersten ägyptischen Fußballliga müssen schon seit Jahren vor leeren Kulissen ausgetragen werden - aus Sicherheitsgründen versteht sich. Die Liste an Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch die Sicherheitsbehörden ließe sich beliebig lang fortsetzen.

Verbote dieser Art werden dabei zunehmend mit angeblichen Verstößen gegen die öffentliche Moral legitimiert. Al-Sisis Regime gibt sich derweil nicht nur mit rhetorischen Maßregelungen zufrieden, sondern intensiviert seit Jahren die Strafverfolgung von Menschen, die sich angeblich "unsittlich", "ausschweifend" oder "unmoralisch" verhalten oder äußern.

Betroffen sind davon nicht nur die Bereiche Literatur, Film oder Musik, sondern auch Homosexuelle und Atheisten - von der Opposition und unliebsamen Journalisten einmal ganz abgesehen.

Die staatliche Verfolgung Homosexueller ist zwar nicht neu im Land, erreichte jedoch nach einem Konzert der populären libanesischen Band Mashrou‘ Leila in Kairo im September, bei dem eine Regenbogenflagge im Publikum geschwenkt wurde, eine bisher beispiellose Intensität. Dutzende Menschen wurden nach dem Konzern verhaftet und teils auf ihre sexuelle Orientierung hin "untersucht", während die Geheimdienste verstärkt auf Dating-Apps zurückgreifen, um Menschen mittels vorgetäuschter Datinganfragen in regelrechte Fallen zu locken.

Im Parlament wurden inzwischen mehrere Gesetze diskutiert, die gleichgeschlechtlichen Sex und Atheismus unter Strafe stellen sollen.

Das Regime befeuert damit eine sich selbstständig reproduzierende Reihe an Diskursen, die sich zunehmend von politischen und sozialen Themen und Konflikten entfernen und sich mit Inbrunst Bereichen des eigentlich privaten Lebens widmen und damit der Entpolitisierung der Öffentlichkeit den Weg ebnen.

Themen wie staatliche Misswirtschaft oder Korruption gehen unter. Doch während die ägyptische Öffentlichkeit inzwischen fast dauerhaft mit obskuren Moraldiskursen beschäftigt ist, weitet die Armee ihren wirtschaftlichen Einfluss im Land immer weiter aus.