Im Zentrum der Geschwindigkeit

Der neue Film der Wachowski-Brüder "Speed Racer"

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Vielleicht ist der neue Film „Speed Racer“ der Brüder Wachowski, wie „V“ in Babelsberg produziert, trotz seiner 135 Minuten Länge kein cinematographisches Rätsel, sondern einfach nur ein seichter und zugleich rasanter Werbetrailer im komplizierten Geflecht heutiger Medienunterhaltung und Parallelvermarktung.

Alle Bilder: Warner

Und das auf technisch und strategisch hohem Niveau. Es geht darum, die Computer Generierung von Bildern und Bewegungen in Form und Inhalt auf die Spitze zu treiben und das alte Produkt Film im Netzwerk der neusten digitalen Produktion und Distribution immer weiter zu einem Bilderbogen zu verflüchtigen und zu dynamisieren – und zwar in Richtung eines allgegenwärtigen interaktiven Kinderzimmer-Konsolenspiels, das auch noch die realen Restbestände von Familie, Schule, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft und Natur in sich hineinsaugt.

Dann wäre „Speed Racer“ nicht nur irgendein Titel in irgendeinem Medium, nicht nur der Manga der 70er Jahre (Tatsuo Yoshidas „Pilot Ace“), ob als TV-Zeichentrick-Serie „Mach Go Go Go“ (umstritten im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen) damals oder als der partielle Live-Action-Film, gestellt vor dem Green Screen heute. „Speed Racer“ wäre die konsequente Triebfeder digitaler Produktvermarktung für eine Post-Pokemon-Generation, die das Motoren-Öl der „Matrix“ bereits als Muttermilch eingesogen hat.

Die Spielzüge sind offensichtlich: Eine etwas fanatisch-verkniffene japanische TV-Comic-Serie wird neu aufgelegt mit einem East-meets-West-Sport-and-Business-Fusion-Schumi-Background, als aufwändiger, vordergründig rührseliger Familien-Action-Rennfilm. Zugleich wird der Film vorgestellt mit einem neuen PC-Game und der zugehörigen bunten Lego-Kinderzimmerausstattung, wodurch die im Film gezeigten Figuren, Automodelle, Rennstrecken, Schikanen und Abenteuer für die Benutzer in der ersten Person einsatzbereit werden.

LEGO und Konsolen-Spiele

Nach „Batman“ und „Harry Potter“ erfolgt eine neue Kooperation Warners mit Lego:

Im April 2008 bringt die LEGO Gruppe vier Rennwagen-Bausets zum neuen Film auf den Markt. Die authentischen Rennautos in jedem Set garantieren Bauspaß und aufregende Kopf-an-Kopf-Rennen für Baufans und Sammler. Viele der SPEED RACER Charaktere werden als LEGO Minifiguren zum Leben erweckt: Speed, Katsu, Snake, Racer X, Grey Ghost, Cruncher Block, Trixie, Spritle, Chim-Chim, Mom und Pop Racer. Die LEGO Racers Sets werden zwischen 19,99 und 59,99 Euro kosten.

Das interaktive Spiel scheint jedoch das Herz des gesamten Projektes zu sein: In den Versionen für die stationären Konsolen kann man in die Rolle verschiedener Film-Charaktere schlüpfen und deren extravagante Schlitten in brachialen Rennen um die Kurven zirkeln. Der kampfbetonte Stil des Spiels soll dem des Kinovorbilds sehr ähnlich sein und wird vom Publisher als „Car-Fu“ bezeichnet.

„Speed Racer ist eine außerordentlich kreative Marke, die zusammen mit der Vision der Wachowskis eine tolle Vorlage für ein actiongeladenes Rennspiel liefert“, verspricht Samantha Ryan von Warner Bros. Interactive.

Das Spiel wird die Racing-Intensität des Films einfangen und Zockern wie Filmfreunden gleichermaßen die Möglichkeit geben, sich nach dem Kinobesuch selbst hinters Lenkrad zu klemmen.“ Joel Silver, der Produzent des Films, weiß derweil nicht nur zu berichten, dass das Regisseurs-Duo auch selbst Videospiel-begeistert ist, sondern er lässt uns auch wissen: „Larry und Andy sind der Überzeugung, dass die „Speed Racer“-Erfahrung erst durch ein interaktives Game wirklich komplett wird.

Wenn die Autos erzählen

Die Brüder Wachowski entwickelten laut Produzent Joel Silver „ein neues Erzählkonzept für Rennwagen, die über die spektakulärsten und schwierigsten Pisten preschen – fantastische Action-Sequenzen, wie es sie noch nie gegeben hat. Hier werden computergenerierte Bilder auf neuartige Weise mit real gefilmten Szenen kombiniert. Die Brüder legen es gern darauf an, das herkömmliche Regelwerk aufzubrechen – sie wollen Grenzen überschreiten.“

Die „wildesten Fantasien“ waren gerade gut genug für den Film: Boliden beschleunigen auf über 600 km/h, um dahin zu rasen, zu schlingern und abzuheben, um sich in der Luft zu drehen und die Konkurrenten zu übertrumpfen und abzuhängen.

Die Schwerkraft, die eigene Angst und die Gegner sollen ausgetrickst werden. Orientiert an den „Extremsportarten wie Skateboarding und Snowboarding“ wurden neue fließende Bewegungsabläufe entwickelt und „entsprechende Rennstrecken“, die zirzensiche Luftmanöver erlauben. Pipes, Slides und Grinds, Flips und Shoves und viele weitere Fakes wurden auf die Automobile übertragen.

Dazu sind urbane und globale Rennstrecken entworfen worden, die wie Skischanzen, Skateboard-Schleifen, Velodrome und Parallel-Achterbahnen wirken oder wie Außenskelette postmoderner Architektur in retrostilistischen Design, mit Halfpipe-, Bowl- und Pool-Formen, Slaloms, Up- and Downhill-Schikanen, Loopings und Schmetterlingskurven, mit Überbrückungen und abgrundtiefen Lücken – Pisten mit den klingenden Namen von „Thunderhead“, „Fuji Helexicon“, die Rallye-Strecke „Casa Cristo 5000“ (einer Fusion von Daytona 500 und Indianapolis 500) und schließlich der Grand Prix Ring in Cosmopolis, einer Megacity voller Wolkenkratzer, die zu einer gigantischen Tribüne werden.

Die Wagen selbst haben martialische Zusatzausrüstungen wie umklappbare Räder, Widerhaken, Reifenschneider und Kreissägen, teleskopartig ausfahrbare Superspikes und flexible Radkappen als Schilde gegen feindliche Hiebe. Auf diese Weise sind die Special Effects eines dramatischen Ben-Hur-Wagenrenn-Finales, eine „akrobatische Kombination von Martial Arts und Formel 1“ garantiert.

Hauchdünne Story

Die Logik der realen und der imaginären Produktion beherrscht den gesamten Film und seine hauchdünne Story, die Verteidigung der Echtheit der Familie gegen den tödlichen Nihilismus und die manipulative Macht der Konzerne: Der Vorort, den die Familie Racer bewohnt, ist eine austauschbare Reklame-Idylle im Flachland, ihre Wohnung nichts anderes als eine Mittelstands-Garage, die um Pops Racers (John Goodman) neues Independent-Produkt, den Boliden Mach 5 gruppiert ist. Wenn der jüngste Sohn Spritle (Paulie Litt) in der Schule einen automobilistischen Rennanfall bekommt, dehnt sich das Klassenzimmer in einem Zoom wie bei Hitchcocks „Vertigo“ in der Bildtiefe zu einer vollen Rennstrecke aus. Linsen, Räume, Rennstrecken sind identisch, wie auf Speed.

Auch die Flashbacks in die Jugend von Speed Racer, als sein später tödlich verunglückter Bruder Rex noch lebte und seine Karriere vor sich hatte, enthalten interessante Einfälle. Matrix-Trick-Meister John Gaeta und seine Kollegen haben die natürlichen und architektonischen Umwelten mit High-Definition Bildern kompiliert und als „QuickTime Virtual Reality“ zu sogenannten „Seifenblasenfotos“ verarbeitet, in denen sich die Landschaften und Studioelemente in verrückten Mäandern des Transports, der wechselnden Perspektiven und der Geschwindigkeiten verzerren. Der Raum-Zeit-Kreis der „Bullet Time“ konnte damit aus dem Nahbereich erweitert werden zum dynamischen Gesamtpanorama.

Die 2-D-Technologie – Seifenblasen-Welten

Dabei werden durch die HD-Kamera F 23 von Sony Vorder-, Mittel- und Hintergrund als Bildelemente getrennt, relativ graphisch präzise und farbgesättigt aufgenommen und wie in der alten 2-D-Animation von Disney in mehreren Ebenen digital in einer 2-D-Technologie zusammenmontiert.

Auf diese Weise löst sich die bewegte Welt in ein cinematographisches Tempodrom der permanenten Kulissenverschiebungen, der imaginären und realen Bewegungen auf. Kamera, Mensch, Maschine und Welt werden zu einer Konsole verkoppelt, bei der die Geschwindigkeit im Schwamm der Datenexplosion aufgesogen und die Bewegungserfahrung oder das Veränderungserlebnis merkwürdig ruhig und cool bleiben. Emile Hirsch, der den Titelhelden „Speed Racer“ recht passend wie den Elvis Presley aus „Viva Las Vegas“ im „Tron“-Kostüm gibt, bleibt ebenso wie seine Mitstreiter und Gegner ein Wesen, das letztlich durch nichts aus der Ruhe seiner eigenen Isolation zu bringen ist.

Als ob Newton mit seinem Trägheitsprinzip bei aller Relativität der Bewegungen doch Recht behalten hätte. Auch die Erfindung einer Schaum-Rettungskapsel bei entsprechenden Unfällen, gibt dieser Vorstellung von Einsamkeit zusätzlich Nahrung. Erst durch die Wackel-Hydraulik einer Plattform vor dem Green Screen in nur teilweise nachgebauten Cockpits werden die Beschleunigungseffekte wie im Katastrophenkino seit den 70er Jahren mit seinen „Sensory Seats“ nachinszeniert.

Während Steve McQueen in noch selbst losbrauste („LeMans“), presst das neue Bewegungskino die Befahrung der Welt in einem hydraulischen Retrozoom wie optisches Popkorn zurück ins Heimkino, als ob die neusten Technologien nur noch das abzubilden in der Lage wären, worauf sie ökonomisch abzielen sollen.

Familienliebe und Tierliebe

Produktion und Aussage des Films sind so identisch: Das Digitale und die Familie, die Ortlosigkeit und der Ort fahren wie unterschiedliche Zeichen aneinander vorbei – oder kleben wie beliebige Logos nebeneinander, bevor sie ein machthungriger Konzernchef wie Royalton (Roger Allam, die propagandistische Stimme Londons in „V wie Vendetta“) wieder listenreich trennen will.

Übrig bleiben die gebubbleten Postkartenlandschaften, Hohlwelten und virtuellen Sphären, von der Zunubia-Wüste bis zum Malteser-Gletscher, von Arabien bis Cosmopolis drängt sich die Landschaft zusammen zu einer Muräne der Beschleunigung, die keine ist, in einer Abraumhalde deformierter Bilder, einem Story-Geröll, in denen Helden und Feinde zu sanften unverbindlichen Pixeln verblassen, weil der Rollercoaster in seinen Spiralen in Wahrheit um die Matrix-Plantagen-Türme vertikal integrierter Imperien kreist.

Dass sich die Tierrechtsorganisation PETA Sorgen um die beiden Schimpansen Willy und Kenzie (als Vertreter und Licht-Double) machte, die als Darsteller des einen Affen Chim-Chim fungieren, ist eine Sache. Dass PETA forderte, dass die Tiere durch eine entsprechende Computersimulation ersetzt werden sollten, trifft den Kern der Sache und verfehlt ihn zugleich:

Als PETA herausfand, dass echte Schimpansen in der Kino-Verfilmung der TV-Serie Speed Racer mitspielen, schrieben wir sofort an Warner Bros. und die Regisseure Larry & Andy Wachowski (Matrix, V wie Vendetta) und forderten sie auf, auf Computeranimationen umzusteigen.

Warum? Schimpansen, die als Schauspieler benutzt werden, werden schon als Babys von ihren Eltern getrennt. Dadurch entstehen bei den Tieren, die zum Teil erst wenige Tage alt sind, tiefe emotionale Narben und eine unüberwindbare Angst vor dem Unbekannten. Die so genannten Trainer zeigen den verspielten und neugierigen Tieren häufig mit physischer Gewalt, dass sie der Boss sind – eine Praxis, die in der Unterhaltungsindustrie akkuraterweise als „breaking the spirit“ bezeichnet wird.

Leider haben die Wachowskis und Warner Bros PETAs Forderung ignoriert und schon wenige Wochen nach Drehbeginn in den Potsdamer Babelsberg Studios hat angeblich einer der Schimpansen schon die volle Wucht dieser Ignoranz zu spüren bekommen.

Man sollte nicht vergessen, auch in der bemannten Raumfahrt starteten zunächst Affen und Hunde in engen Kapseln, bevor Menschen, allmählich mit mehr Platz und Freiheiten ins All flogen. Vielleicht ist aber Chim-Chim, alias Willy und Kenzie, der eigentliche Konsument an der Konsole, mehr ein Objekt operanter Konditionierung, auf der Suche nach netten Häppchen, weniger ein souveräner Pilot.

Aber anscheinend immer noch unverzichtbar, als austauschbares Original. Das Interface zwischen dem digitalen Kino und den Darstellern und den Zuschauern wird derzeit heftig ausgebaut. Aber LEGO-Bausteine und Konsolen-Spiele deuten an, dass das Interface noch nicht der fix und fertige Daten-Highway ist, von dem uns die Bildtricks in „Speed Racer“ stellenweise tagträumen lassen. Vorerst ist auch das neuste digitale Kino immer noch ein linearer Film.