Impfdebatte: Kimmich und wir

Joshua Kimmich geriet unter Rechtfertigungsdruck, weil die Bild fragte. Nicht, weil er schwurbelte. Foto: Wikijunkie / CC-BY-SA-4.0

Warum auch Fußballer ohne grundsätzliche Zweifel teils noch nicht geimpft sind – und die Enttäuschung darüber, dass Kimmich kein klassischer "Schwurbler" ist

Ist Joshua Kimmich ein Impfgegner und "Querdenker"? Oder ist Kimmich einfach nur ein Fußballer, der gegenüber einer Impfung noch skeptisch ist? Kimmich ist von sich aus nicht an die Öffentlichkeit gegangen, um zu erklären: "Ich bin ein Impfgegner!" Es war die Bild-Zeitung, die meldete, Kimmich sei noch nicht geimpft. Es folgte ein Interview auf Sky, in dem Kimmich dies bestätigte.

Kimmich ist gefragt worden. Der Nationalspieler hatte drei Möglichkeiten: Er konnte die Aussage verweigern, die Unwahrheit erzählen oder die Wahrheit. Er entschied sich für Letztere.

Ich bin ein entschiedener Befürworter der Impfung. Sie gehört zu den großartigsten Errungenschaften der Menschheit. Wie auch Antibiotika, ohne die ich schon sieben Tode gestorben wäre (Blutvergiftung, schwere Lungenentzündungen etc.). Auch bin ich bereits "geboostert". Mir gehen Mitbürger auf den Geist, die mir mehr oder weniger unverhohlen mitteilen: "Mir ist das zu riskant. Aber lass du dich ruhig pieksen! Wenn viele Menschen dies tun, muss ich es nicht machen…"

Traditionslinien

Esoterische und wissenschaftsfeindliche Schwurbelei hat in Deutschland eine lange Tradition. Wie auch ein damit verbundenes "Abkippen" (ist es nur ein "Abkippen"?) ins völkische und antisemitische Denken. Der deutsche Philosoph und Nationalökonom Eugen Dühring, dem Friedrich Engels eine 300-seitige Kampfschrift widmete, war nicht nur ein Vordenker des rassistischen Antisemitismus, sondern auch des Impfgegnertums.

Dühring behauptete, das Impfen sei Aberglaube, von jüdischen Ärzten aus Gründen der persönlichen Bereicherung und Verunreinigung des deutschen Blutes erfunden. Im Nationalsozialismus wurde aus der "Schulmedizin", ein Begriff, der 1876 vom deutschen Homöopathen Franz Fischer eingeführt wurde, die "verjudete Schulmedizin".

Rudolf Heß und Heinrich Himmler waren nicht "nur" Nazis, sondern auch Esoteriker und entschiedene Impfgegner. Dass der Antisemitismus bei den "Querdenker"-Demos stets mitmarschiert, ist kein Zufall, sondern liegt in der Ideologiegeschichte der "Alternativmedizin" begründet.

Wie kurz die Strecke zwischen Impfgegnertum und Rechtsextremismus ist, und das Netz kennt auf dieser keine Tempobeschränkung, kann man in der jüngsten Ausgabe des Spiegel lesen. Frauke Hunfeld porträtiert hier ein Ehepaar, das die Pandemie entfremdete. Die Ehefrau war zunächst wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag und organisierte den Zusammenschluss von Bündnis 90 und Grünen.

Als die Pandemie kam, trieb sie sich auf Seiten von Impfgegnern herum - und landete am Ende bei den Reichsbürgern. Im Netz "erfuhr" sie, dass die Bundesrepublik keine richtige Verfassung und keinen Friedensvertrag habe, in Wirklichkeit eine GmbH und noch nicht wirklich unabhängig sei.

Bisher keine Belege, dass Kimmich in diese Ecke gehört

Nun gibt es bislang keinen Beleg dafür, dass Kimmich ein esoterischer Schwurbler oder "Querdenker" ist. Josua Kimmich ist Josua Kimmich - nicht Ex-Weltmeister Thomas Berthold, begehrter Redner auf "Querdenker"-Demos, der schon 1999 in einer Art Prominenten-Steckbrief als Lieblings-Fachbuch Jan van Helsings "Geheimgesellschaften" nannte.

Zu diesem Zeitpunkt durfte das esoterische, antisemitische und verschwörungstheoretische Machwerk, dessen Hauptthese ist, eine jüdisch-freimaurerische Elite strebe nach der Weltherrschaft, bereits seit drei Jahren nicht mehr vertrieben werden. Hier haben wir den umgekehrten Weg.

Was mir bei der Kritik an Kimmich unangenehm aufstieß: der manchmal etwas oberlehrerhafte Habitus. "Mag ja ein guter Fußballer sein, aber…" "Halt nur ein Balltreter". "Fußballer sind ein bisschen doof, sollten zu politischen und medizinischen Fragen die Klappe halten." (Während 80 Millionen Bürger Bundestrainer spielen dürfen…)

Leider ist Kimmich nicht doof. Nicht nur sein Eins-Komma-Nochwas-Abitur spricht dagegen. Mir wäre ja auch lieber gewesen, ein anderer Fußballer hätte diesen Quatsch von den noch fehlenden Langzeitstudien erzählt. Kimmich ist nicht dümmer und auch nicht weniger informiert als Talkshow-Dauergast Richard David Precht, der sich Philosoph schimpft, aber geflissentlich Sokrates ignoriert: "Ich weiß, dass ich nichts weiß."

Precht im Podcast Lanz&Precht: "Die Nebenwirkungen einer Impfung können wir genauso wenig abschätzen, wie die Gefährlichkeit oder die Wirkung des Coronavirus". Bei weltweit mittlerweile über fünf Millionen Corona-Toten ist eine Abschätzung in der Tat ziemlich schwierig… Nach der Zweitimpfung habe es ihn "für eine Woche umgehauen".

Donnerwetter! Und ein gutes Zeichen! Der Impfstoff wirkt. Mich hat es noch nach jeder Tetanus-Impfung "für eine Woche umgehauen". Manchmal auch für zwei. Und nach meiner Grippeimpfung hatte ich neulich zwei Tage Kopf-Aua. Mit dem Populär-Philosophen Richard David Precht als Sturmspitze verlieren die Geisteswissenschaftler gegen die Naturwissenschaftler so ziemlich jedes Spiel.

Precht ist "bestürzt über den Druck, der da gegenwärtig über Joshua Kimmich aufgebaut wird". Nicht nachvollziehen könne er das und halte es für "moralisch ausgesprochen fragwürdig." Precht kennt sich im Fußball nicht aus. Ansonsten wüsste er, dass dort der Shitstorm normal ist - leider. Das kotzt an und ist fürchterlich. Aber verglichen mit den Morddrohungen, die etwa der Virologe Christian Drosten, der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach oder Alena Michaela Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, bekommen, handelt es sich dabei in der Regel um laue Lüftchen.

Dies gilt auch im Falle von Josua Kimmich. Niemand fordert, dass Kimmich vor ein Volksgerichtshof und anschließend an die Wand gestellt gehört. Selbst Jogi Löw hat hier schon Schlimmeres erlebt als Josua Kimmich.

Zurück zu den Kimmich-Kritikern. Was mir des Weiteren aufstieß: Mensch war besonders empört, weil sich Kimmich - mit anderen Kollegen - zu Beginn der Corona-Krise gegen die Pandemie engagiert hatte. Mit Leon Goretzka rief er die Initiative "We Kick Corona" ins Leben. Auf der Homepage der Initiative lesen wir:

Wegen des Coronavirus wurden Konzerte abgesagt und Kinos geschlossen. Fußballspiele waren lange Zeit nur ohne Publikum möglich. Das gesellschaftliche Leben, das gemeinsame Miteinander ist bis heute eingeschränkt. Gleichzeitig machen karitative Vereine und soziale Einrichtungen, medizinisches Personal und alle systemrelevanten Einrichtungen, die die Versorgungskette aufrechterhalten, in ganz Deutschland einen großartigen Job - weit über ihre personellen und wirtschaftlichen Kapazitätsgrenzen hinaus.

Als Profi-Fußballer führen wir ein gesundes und privilegiertes Leben. Daher sehen wir uns in dieser schwierigen Zeit verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen. Geben und gegenseitig helfen ist für uns in dieser Zeit das Gebot der Stunde. Jeder Einzelne von uns kann dafür sorgen, dass sich das Coronavirus nicht weiter ausbreitet, aber nur gemeinsam können wir unseren Teil zur Gesundung der Gesellschaft beitragen.

Zusammen wollen wir mit WeKickCorona denen helfen, die anderen helfen, und unseren Beitrag dazu leisten, dass unsere Gesellschaft auch nach der Krise so vielfältig und stark ist, wie vorher.

Initiative We Kick Corona

Vielleicht ist hier das eigentliche Problem unsere persönliche Enttäuschung. Wir wünschen uns Kicker, die gesellschaftspolitisch Stellung beziehen, die Rassismus, Homophobie etc. verurteilen. Aber wenn sich einer dieser Kicker nicht in unserem Sinne äußert, wünschen wir uns den "doofen Kicker" zurück, der seinen Mund hält. Oder sich dermaßen blöd anstellt, dass ihn niemand ernst nehmen muss.

Kimmich ist offensichtlich nicht der einzige Profifußballer, der noch nicht geimpft ist. Hierfür dürfte es noch einen anderen Grund geben als "fehlende Langzeitstudien". Angst vor Nebenwirkungen (und damit verbundene Trainings- und Spielpausen) in einem Beruf, in dem eine gnadenlose Konkurrenz und ein gnadenloser Erwartungsdruck herrschen.

Denn es ist nicht auszuschließen, dass es einem ergeht wie Richard David Precht. So fragt sich mancher: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um sich impfen zu lassen? Wenn dem so ist, dann liegt es an den Vereinen und Verbänden, den Druck von den Spielern zunehmen. Zum Beispiel, indem sie sich klar fürs Impfen aussprechen und diesbezüglich keine Zweifel aufkommen lassen.

Aber so etwas hört man auch schon im Amateurbereich.

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