Impfen für den Nato-Gipfel

Polen will Corona-Vakzine für den Nordatlantikpakt spendieren und damit offenbar die Beziehungen zu den USA verbessern

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg freut sich über ein Angebot aus Polen: Die Bereitstellung von Impfdosen für Personal der politisch-militärischen Organisation zeige das "Engagement des Landes für die Nato". Warschau habe sich trotz Impfstoffknappheit dazu bereit erklärt, insgesamt 7.000 Dosen des Astrazeneca-Impfstoffs für die Immunisierung von Nato-Mitarbeitern bereitzustellen, wird heute gemeldet.

Diese Gabe sei notwendig, um die Abhaltung des Nato-Gipfels Mitte Juni in Brüssel zu sichern, so die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Das Verständnis für die polnische Hilfsaktion hält sich außerhalb Nato-treuer-Kreise in Grenzen. Polen ist stark von der Corona-Krise betroffen, auch dort setzt man die Hoffnungen, mit den hohen Fallzahlen zurechtzukommen, auf eine breite Impfkampagne. Und wie in anderen europäischen Ländern auch ist der Impfstoff knapp. Warum also diese Geste?

Dass es auch anders geht, demonstriert Belgien, wo der Nato-Gipfel stattfinden soll. Dort wollte man "nicht von der normalen Impfreihenfolge abweichen".

Kritik an der Impfstoffgabe der Warschauer Regierung kommt aus der Opposition im Land. Exemplarisch wird hierzu die Aussage eines Abgeordneten der Bürgerkoalition (KO) angeführt, der die Dimension des polnischen Engagements plakatiert:

Die Regierung macht eine Vorzeige-Aktion aus der Entsendung von Ärzten und Impfdosen ins Nato-Hauptquartier. Eine hübsche Geste, aber impft doch erstmal die Betagten und Kränklichen in Polen

Michal Szczerba, Bürgerkoalition KO

Jürgen Trittin von den deutschen Grünen setzt seine Kritik an dieser Kerbe an. Er gab sich darüber verwundert, "dass bei anhaltender Knappheit von Impfstoffen Polen den Schutz eigener besonders vulnerabler Bürger für eine PR-Aktion zurückstellt". Trittin spielt darauf an, was der genannte Oppositionspolitiker als Skandalon erwähnte: Dass noch nicht alle Bewohner Altersheime im osteuropäischen Land geimpft wurden.

Nato-Anhänger wie der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff oder CDU-Politiker Jürgen Hardt legen dazu eine andere Perspektive an, die der von Jens Stoltenberg ähnelt: Die polnische Regierung zeige mit ihrem Engagement, dass sie Prioritäten zu setzen weiß.

Wobei der Erstgenannte eine Rhetorik zu erkennen gibt, die man als elitär bezeichnen könnte: Mit dem Impfangebot mache Polen nach seinen Worten deutlich, "dass der kommende Nato-Gipfel bei Regierung und Bevölkerung des Landes höchste Priorität genieße". Weiß der FDP-Politiker so gut über die Bevölkerung in Polen Bescheid? Woher weiß Alexander Graf Lambsdorff, dass es sich so verhält?

CDU-Politiker Jürgen Hardt reklamiert mit seinem Statement immerhin nicht eine Kenntnis der Befindlichkeiten der polnischen Bevölkerung, er bleibt bei politischen Grundsatzerklärungen: Die Durchführung des Nato-Gipfels sei "außerordentlich wichtig für die Sicherheitspartnerschaft". Offen bleibt allerdings, ob der Gipfel nicht auch in einem anderen Modus und ohne die polnische Geste durchgeführt hatte werden können.

Mehrfach erwähnt wird, dass der Nato-Gipfel im Juni dieses Mal besonders bedeutend ist, weil der neue US-Präsident Biden erwartet wird. Ein persönlicher Auftritt hat eine andere Qualität als ein Statement über Internet-Konferenzen - und Polen kann sich einiges vom neuen US-Präsidenten erhoffen, die "selbstlose Impfstoff-Gabe" wird sich allem Anschein nach politisch auszahlen.

Der neue US-Außenminister Antony Blinken hatte sich kürzlich überraschend deutlich gegen die Nord-Stream-2-Pipeline ausgesprochen. Polens LNG-Terminals wären wirtschaftlich Nutznießer, wenn die Pipeline kein russisches Erdgas nach Europa liefert. Der Nord-Stream-2-Stopp würde, wie es aussieht, auf einen Ausbau der lukrativen Partnerschaft zwischen LNG-Terminals in Polen und LNG-Lieferungen aus den USA hinauslaufen.

Für Bidens außenpolitischen Kurs ist eine konfrontative Haltung zu Russland konstitutiv. Das korrespondiert aus mehreren Gründen mit polnischen Interessen, nicht nur was polnische Ängste vor dem großen Nachbarn angeht. Auch Polens Stellung innerhalb der EU ist durch die speziellen polnisch-amerikanischen Beziehungen anders abgesichert.

Da Biden anders als sein Vorgänger Trump den Führungsanspruch der USA im transatlantischen Bündnis wieder hervorkehrt, verändern sich auch politische Kräfteverhältnisse: Je wichtiger Polen für die Nato unter neu untermauerter Führung der USA wird, umso besser kann Warschau die EU-Kritik an der Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien abfedern?

Davon abgesehen hat die Impfstoffgabe Polens für die Nato noch einen anderen Aspekt, der in den nächsten Wochen vermutlich noch für Diskussionen auf einem anderen Terrain sorgen wird: die Beteiligung von Militärs an Impfstoffvergaben.