In den Fängen der Big Four

Seite 2: PWC-Schweiz: "Steuern sind die größte Bedrohung für das Geschäftswachstum."

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Tatsächlich ist es ein Mangel staatlicher Statistik, dass bisher staatliche und noch weniger private Vermögenswerte nicht - wie in einer Unternehmensbilanz - als Aktiva bilanziert werden. In den 32 Auditpunkten des IPSAS-Standard, für den es ein 870 Seiten dickes Manual gibt, wird deshalb unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Offenlegung von Vermögenswerten, "Assets" genannt, ermöglicht.

Allerdings haben zumindest in Deutschland und Großbritannien mehrere Privatisierungswellen einst vorhandene, beträchtliche Vermögenswerte weitgehend vernichtet. Obwohl die Privatisierung in ganz Europa eine einzige Misserfolgsgeschichte ist, obwohl die PPP (Public Private Partnerships) ausschließlich zu Verlusten der Public-Seite, also des Steuerzahlers, führten, läuft die Troika auch 2013 wieder auf der Suche nach Privatisierungschancen etwa durch Athen und Lissabon.

Stolz berichtet IPSAS-Chairman Bergmann, die Kalifornier hätten durch IPSAS Werte in Höhe von 54 Millionen Franken "entdeckt". Staatliche Bilanzierung als Schatzsuche?

Tatsächlich ist die Schweiz, die mit Kosten von 65 Millionen Franken IPSAS eingeführt hat, einer der wenigen Staaten, die über derart hohen Staatsbesitz verfügen. So gehören dem eidgenössischen Steuerzahler die erfolgreiche Staatsbahn SBB, die nicht minder erfolgreich wirtschaftende Swiss Telecom, die Schweizer Post sowie die mautpflichtigen Tunnel und Straßen, bei denen sich jede investierte Milliarde durch Gebühren amortisiert.

Was aber mit Staaten wie Griechenland oder Portugal, die keine weltweit führenden, extrem wettbewerbsfähigen Staatsunternehmen betreiben, sondern nur staatliche Zuschussbetriebe? Darauf gibt IPSAS keine Antwort.

Aus Unterlagen, die Telepolis vorliegen, geht hervor, dass allein der Kanton Bern 10,7 Millionen Franken für IPSAS nur für den Kanton bezahlt hat. Welche Kosten sind das und an wen gehen sie? Die Schweizer Dependance von PWC wirbt für die Implementierung von IPSAS als Dienstleistung. Wie Telepolis erfuhr, hat PWC Schweiz bereits erhebliche Aufträge mit IPSAS generiert. Dennoch wirbt PWC Schweiz dreist mit folgendem Slogan: "Steuern sind heute die größte Bedrohung für das Geschäftswachstum". Steuern, die zur Finanzierung von IPSAS aber gut genug sind.

Screenshot von der Webseite von PWC Schweiz am 27.05.2013

Welche Compliance, welche Governance könnte das sein, nach der die Big Four einerseits auf Steuerzahlerkosten die Bilanzierung von Staaten und Verwaltungen nach IPSAS anbieten, andererseits Unternehmen zur maximale Steuerbefreiung verhelfen?

Es ist wie bei "Mühle": Egal, wohin man zieht, der Mühleninhaber gewinnt immer. Die EU ist in der Zwickmühle.

Am 14. März 2013 verbreitete der Chairman der PWC Schweiz AG, Markus Neuhaus, in der Neuen Zürcher Zeitung, der traditionellen Hofpostille jeglicher Steuervermeidung, unter dem Titel "Steuerpraxis zwischen Legalität und Moralität" eine bemerkenswerte Rechtsauffassung, die vielleicht nicht die EU-Kommission, aber die nationalen Haushälter interessieren könnte. "Jedes Unternehmen hat eine Pflicht", stellt Neuhaus in ethischer Rigorosität fest, "mit seinen Mitteln so haushälterisch wie möglich umzugehen und Kosten - und dazu gehören die Steuern - im Rahmen des Legalen zu minimieren."

Steuerzahlung also als Verstoß gegen die kaufmännische Sorgfalt? Zumindest in EU-Kommissar Šemeta, der als Finanzminister Litauens selbst in seinem Land IPSAS eingeführt hat, findet diese Auffassung offensichtlich größte Befürwortung. "Im Rahmen des Legalen" - das erklärt, warum die Big Four alle Staaten mit ihren Lobbyorganisationen unter Druck setzen, ausreichende Schlupflöcher gesetzlich zu garantieren.

Selbst die EU-Kommission, die sich mit der Drohung einer Bestrafung durch die Finanzmärkte dazu bewegen ließ, nun vehement die Einführung von IPSAS zu fordern, bemängelte allerdings in den IPSAS-Punkten die fehlende Berücksichtigung der Staatseinnahmen.

Wie IPSAS-Chair Bergmann im Interview gegenüber Telepolis zugab, bilden diese keinen eigenen Punkt. Aus gutem Grund: Wenn die Big Four und ihre Kunden Steuern als zu vermeidende Kosten ansehen, dann sollte diese einzige Quelle der Staatseinnahmen bilanziell nicht so im Vordergrund stehen. Es könnte so nämlich in der Öffentlichkeit der unerwünschte Eindruck entstehen, erhöhte Staatseinnahmen könnten ein Weg sein, die Staatsschulden zu vermindern.