Indianerrebellion in Kolumbien
Indigenas fordern mehr Land und weniger Kettensägenmassaker
Seit dem 12. Oktober, dem Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, gibt es in Kolumbien Indigena-Proteste. Unter anderem blockierten Indianerverbände die transkontinentale Panamericana, die von Alaska bis in den Süden Chiles führt und für den Handel relativ große Bedeutung hat. Dafür stellten sie sich nicht nur selbst auf die Straße, sondern nutzten auch Busse, Bäume, und (was ihr Image als Öko-Heilige in Europa etwas ankratzen dürfte) Barrikaden aus brennenden Autoreifen.
Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei gab es auf beiden Seiten Dutzende Verletze und mehrere tote Indianer. Während Präsident Alvaro Uribe den Einsatz von scharfer Munition bestritt, berichteten Sanitäter CNN von Verwundungen durch Kugeln und Schrapnellgeschosse. Jorge Enrique Cartagena, Landeschef der kolumbianischen Bereitschaftspolizei, vermutete hinter den Todesfällen Schwarze Propaganda der Indianerverbände: zwei Demonstranten wurden seiner Ansicht nach nur deshalb erschossen, um öffentliche Empörung hervorzurufen.
Orlando Paez, ein hoher Polizeibeamter, warf den Verbänden eine Infiltration durch die Farc vor. Allerdings machten sich die Farc-Banden gerade in den geographischen Schwerpunkten der Rebellion durch Vertreibungen und Morde bei den Indigenas unbeliebt. Das Büro des Provinzgouverneurs von Cauca soll den lokalen Indianerverband Cric noch kurz vor Beginn der Proteste gewarnt haben, dass die Teófilo-Forero-Gruppe der Farc plane, das Cric-Führungsmitglied Feliciano Valencia, zu ermorden. Bei einem anderen in Cauca beheimateten Indianerverband, dem Acin, ging ein Schreiben der Farc ein, in dem gedroht wurde, man werde "Regierungskollaborateure" in den Indianergebieten Toribio und Jambalo "auslöschen".
In Kolumbien liegt der Anteil der indianischen Bevölkerung – anders als in Bolivien, Peru, Paraguay oder Ecuador - nur bei 2 bis 4 Prozent. Weil die Indigenas aber vor allem in den wenig erschlossenen und dünn besiedelten Gebieten leben, nimmt ihre Siedlungsfläche einen weitaus größeren Anteil des Landes ein. Die 567 vom Staat anerkannten Indianerterritorien für die – je nach Zählweise – etwa 50 bis über 100 Volksgruppen haben zusammengerechnet eine Fläche von 365.004 Quadratkilometern, was ungefähr der Größe Deutschlands entspricht. Trotzdem steht bei weitem nicht das komplette indianisch besiedelte Land unter Selbstverwaltung, was unter anderem an Landbesitzansprüchen von Großgrundbesitzern, aber auch von Bauern liegt.
Forderungen der Indigenas
Zentrale Forderungen der Indigena-Dachorganisation Onic ("Organización Nacional Indígena de Colombia"), die die Proteste organisiert, ist, dass sich Staatspräsident Uribe zu direkten Gesprächen bereit erklärt. Dann soll über die Erweiterung der Selbstverwaltungsterritorien, einen stärkeren Einfluss auf die Verwertung der dort lagernden Bodenschätze und einen besseren Schutz vor Gewalt und Vertreibung verhandelt werden. Nebenforderungen sind, dass die kolumbianische Regierung die UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker anerkennt und ihren Widerstand gegen eine entsprechende Erklärung der Organisation Amerikanischer Staaten aufgibt. Zudem wird der Uribe-Administration vorgeworfen, Abkommen zu Bildung und Gesundheitsfürsorge zu ignorieren.
Bei einer von den Verbänden besonders herausgestellten Landforderung handelt es sich um das Versprechen eines Vorgängers von Präsident Uribe. Nachdem Hinweise auf eine zwielichtige Rolle von Angehörigen der kolumbianischen Bundespolizei bei einem Massaker an Paez-Indianern aufgetaucht waren, erklärte der damalige Präsident Ernesto Samper 1998, dass der Volksgruppe 15.600 Hektar Land übertragen werden sollten – worauf sie seitdem wartet. Einen Grund dafür sehen die Indianer darin, dass der 2002 ins Amt gekommene Alvador Uribe sich in Cauca und anderswo offen gegen eine Erweiterung der Indianergebiete stellte. Allerdings ist die Selbstverwaltung in den Indianergebieten nicht immer ganz unproblematisch und kann auch mit Individualrechten kollidieren - etwa, was die Bestrafung von Ehebruch betrifft. Zudem gibt es Vorwürfe, dass indianische Funktionäre und Politiker in Korruption und Verbrechen verwickelt sind.
Die zweite Forderung dreht sich vor allem um ein neues Bodenrechtsgesetz, dessen sofortige Aufhebung die Indianer fordern. Es soll der kolumbianischen Regierung die Ausbeutung von Bodenschätzen in den Selbstverwaltungsgebieten erleichtern. Die Problemlage stellt sich dabei nicht grundlegend anders dar, als bei Großprojekten in Europa: Anwohner fürchten, externalisierte Kosten schultern zu müssen, werden aber gar nicht oder nur unangemessen entschädigt. In diesem Zusammenhang steht auch die in den Verlautbarungen der Indianerverbände immer wieder geäußerte Ablehnung von Freihandelsabkommen mit den USA und der Europäischen Union, von denen sie Nachteile bei Verhandlungen mit internationalen Konzernen fürchten.
Die Ressourcenfrage ist auch der Kern des Problems, dass der dritten zentralen Forderung zugrunde liegt, der nach einem besseren Schutz vor Gewalt. Laut Luis Evelio Andrade, dem Onic-Vorsitzenden, wurden in den letzten Jahren 1.247 Indigenas ermordet und über 52.000 vertrieben. Im Hintergrund standen seiner Ansicht nach fast immer wirtschaftliche Interessen.
Vor kurzem entschied der Oberste Gerichtshof Kolumbiens, dass 82 Angehörigen von 2001 in der Provinz Cauca getöteten Indianern eine Entschädigung in Höhe von 3 Millionen Dollar zusteht. In dem Urteil stellte das Gericht fest, dass der Anspruch deshalb entstand, weil die Regierung Andres Pastrana das Eindringen der Calima, einer Untergruppe der Paramilitär-Mafia AUC, trotz Warnungen der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte nicht verhindert habe, weshalb mehr als 40 Indianer getötet wurden – unter anderem mit Kettensägen.