Indien: Wirtschaftswachstum verursacht Wasserkrise

Seite 2: Lösungen gibt es

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Lösungen für Indiens Trinkwasserprobleme liegen seit 20 Jahren in der Schublade. Schon in den Achtzigerjahren "entdeckte" der Umweltjournalist Dr. Anil Agarwal, dass die Landbevölkerung mit Hilfe von Kanälen Regenwasser speichert.

Mitte der Neunziger wurden in vielen Bundestaaten Indiens künstliche Seen und Teiche angelegt, doch es fehlte ein durchdachtes System, das Wasser länger als bis zum nächsten Monsun zu speichern. Vor seinem Tod im Jahr 2002 hinterließ Anil Agarwal nicht nur einen Plan für den Umgang mit den Wasserproblemen, sondern auch das Umwelt-Magazin Down to Earth, in dem zahlreiche Wissenschaftler seit 27 Jahren auf diesbezügliche Lösungen hinweisen. Bis auf ein paar Vorzeigeprojekte wurde davon nichts realisiert.

Odisha - Indiens Fischer bezahlen den Fortschritt und seine Folgen in vielfacher Hinsicht. Foto: Gilbert Kolonko

Im Gegenteil, Indiens Bauern haben das Sammeln von Regenwasser so gut wie eingestellt und pumpen stattdessen das Grundwasser ab. Dass die meisten indischen Bundesstaaten aus wahlpopulistischen Gründen den Strom für die Pumpen subventionieren oder sogar kostenlos zur Verfügung stellen, fördert die Verschwendung. Ebenso der Anbau von Reis in dafür nicht geeigneten Regionen. Auch veraltete und lecke Bewässerungssysteme tragen zur Wasserverschwendung bei.

Die großen Agrarkonzerne

In absehbarer Zukunft werden die großen Agrarkonzerne den indischen Markt übernehmen, denn die heutigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind auf sie zugeschnitten. Nur die "Großen" können sich "digitale Landwirtschaft" leisten.

Welche schwerwiegenden Folgen dies für Indien hat, zeigt die aufwendige Studie Konzernatlas 2017, die in einer Kooperation der Heinrich-Böll- und Rosa-Luxemburg-Stiftung, des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Oxfam Deutschland, Germanwatch und Le Monde diplomatique erarbeitet wurde. Statt nachhaltige, biologische Landwirtschaft aus der und für die Region entstehen Massenarbeitslosigkeit unter Kleinbauern und die massive Konzentration von Landbesitz sowie der Einsatz der Chemiekeule.

In "Down to Earth" publizierte Berechnungen zeigen, dass auch Chennai mit Hilfe von Regenwasser seine Bevölkerung ausreichend mit Wasser versorgen könnte, selbst wenn der Regen nur in einer kurzen Periode im Jahr fällt.

Es liegt nicht am mangelnden Erfindungsreichtum des menschlichen Geistes, dass sich in Chennai in naher Zukunft nichts zum Bessern ändern wird. Ob etwa Entsalzungsanlagen die Lösung seien, ist umstritten. Zwei aus Meerwasser Trinkwasser produzierende Anlagen gibt es schon, zwei weitere sind im Bau.

Kolkata: Der Fortschritt überrollt Indien. Hochstraßen führen dann über den Balkon. Foto: Gilbert Kolonko

Doch der Bau der Anlage Nemmeli 40 Kilometer vor Chennai ist ein Beispiel dafür, wie die Auftraggeber aus der Politik und die privaten Anlagebetreiber es selbst bei nicht von vornherein negativen Projekten schaffen, die Umwelt zu schädigen, Trinkwasserquellen vor Ort zu verschmutzen und die Bevölkerung vor den Kopf zu stoßen.

Warnungen

Feststeht, dass die politisch Verantwortlichen nichts aus den krisenhaften Geschehnissen lernen. Weiteres Wirtschaftswachstum soll es geben durch einen von einer Privatfirma gebauten und geführten weiteren Hafens im Norden von Chennai. Er ist bereits genehmigt. Umweltexperten warnen, das Projekt zerstöre Teile der restlichen Feuchtgebiete, fördere damit die Überschwemmungen in der Regenzeit und könne zudem die Existenz von bis zu 30.000 Fischern vernichten.

Auf den Zug der Hafenkritiker ist auch die Kongress-Partei aufgestiegen, also diejenigen, die Indien auf den heutigen wirtschaftlichen Pfad geführt und bis 2014 gehalten haben.

Das Hohe Haus das Buch des schwer zu ersetzenden Roger Willemsen erklärt indirekt auch die indische Politik, wenn der Autor die SPD porträtiert, wie sie innerhalb eines Jahres sowohl die Oppositions- als auch die Regierungsparteirolle spielt. Eine "soziale, liberale Volkspartei" in Deutschland und eine in Indien, die jeweils trotz erdrückender Indizien, dass es in den ökologischen Untergang führt, weiter auf das "bewährte" Wirtschaftssystem setzen.

Es ist unbestritten, dass das Wirtschaftswachstum in Südostasien Hunderte Millionen Menschen aus großer Armut herausgeholfen hat. "Aber", stellte im letzten Jahr der Menschenrechtsaktivist Hasan Mehedi in Hinblick auf den seit 25 Jahren anhaltenden Wirtschaftsboom in Bangladesch fest, "der Preis für dieses Wachstum ist die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen".

300 Kilometer westlich in Kolkata kommt der bengalische Aktivist und Journalist Sushovan Dhar zu einem ähnlichen Schluss: "Jeden Tag wird in Kolkata ein weiteres Stück der Feuchtgebiete zerstört, aus kommerzieller Gier und für mehr Wirtschaftswachstum. Dabei steht das Ergebnis in Chennai doch vor aller Augen."

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