Inside Steuerfahndung

Interview mit Frank Wehrheim über seine Erfahrungen als Steuerfahnder in Deutschland

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Frank Wehrheim war 28 Jahre lang im Steuerfahndungsdienst der hessischen Landesfinanzverwaltung tätig. Als Sachgebietsleiter war er auch für Beamte zuständig, die 1995 in Frankfurt einen riesigen Steuerhinterziehungsskandal bei der Commerzbank aufgedeckt hatten. Als diese auch gegen die Vorstände zu ermitteln begannen wurden sie von den Vorgesetzten in der Behörde kaltgestellt: Zwölf kritische Beamte versetzte man an andere Dienststellen, vier wurden sogar aufgrund des Gutachtens eines dubiosen Psychiaters für krank erklärt und zwangspensioniert.

Wehrheim selbst quittierte daraufhin seinem Dienst und arbeitet heute als selbständiger Steuerberater und Publizist. Mit seinem Kollegen Rudolf Schmenger bekam er 2009 den Whistleblowerpreis verliehen. Seine bizarren Erlebnisse hat er im Buch Inside Steuerfahndung verarbeitet, das einige bestürzende, aber auch einige amüsante Einblicke in die Arbeit der Behörde gewährt.

Herr Wehrheim, in welchem Ausmaß werden in Deutschland jährlich Steuern hinterzogen? Ist massenhafte Steuerhinterziehung und Steuerbetrug von Wohlhabenden eine deutsche Eigenheit oder existiert dies in einen ähnlichen Umfang auch in anderen Ländern?

Frank Wehrheim: Steuerhinterziehung ist kein auf Deutschland beschränktes Phänomen, es gibt sie in allen Ländern mit mehr oder weniger krimineller Energie, wie auch das Beispiel von Al Capone zeigt, der letztendlich "nur" wegen Steuervergehen in Alcatraz landete. Das wahre Ausmaß ist nur zu schätzen und gibt zu unterschiedlichen Spekulationen Anlass. Valide Zahlen hierzu gibt es kaum. Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft hat schon mal von 30 Milliarden Euro pro Jahr gesprochen, aber wie genau diese Summe ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Wie viel Geld bringt die Steuerfahndung dem Fiskus ein?

Frank Wehrheim: Statistisch wird pro Fahnder jährlich von mehr als 1 Million Euro ausgegangen. Aber auch diese Zahlen sind starken Schwankungen unterzogen. Es gibt gute und bessere Jahre. Wir hatten zum Abschluss unserer Commerzbank-Ermittlungen Ende der 90er Jahre in der Steuerfahndung Frankfurt am Main ein Gesamtergebnis von rund 1,2 Milliarden erarbeitet – so etwas lässt sich jedoch nicht ständig wiederholen.

Die Steuerhinterziehung durch und mit Hilfe von Großbanken war auch der schwerwiegendste Fall von Steuerhinterziehung den ich in meiner Laufbahn erlebt habe. Hier mussten meine Kollegen und ich lernen, wie Banker zu denken und wir bekamen auch an einigen Stellen die Macht dieser Institutionen zu spüren. Ein wirkliches Umdenken in der Bevölkerung hinsichtlich der Seriosität einzelner Kreditinstitute begann erst nach der Bankenkrise. Unser Glaube indes war schon deutlich früher erschüttert.

Sie schreiben, dass nach der Wahl von Roland Koch zum Ministerpräsidenten die hessischen Steuerfahndung massiv behindert wurde. Auf welche Weise? Mit welcher Begründung? Welches Motiv vermuten Sie hinter der Anordnung 2001/18? Wie ist es Mitarbeitern ergangen, die gegen diese Anordnung Bedenken zeigten?

Frank Wehrheim: Nach Ergehen einer – aus meiner Sicht unsinnigen Amtsverfügung – und der Remonstration einzelner Kollegen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Steuerfahndungsstelle. Es wurde scharf geschossen, um es in der Kriegssprache auszudrücken. "Friendly fire" nennt man das dann, oder "Kollateralschäden", wenn kritische Beamte einfach kaltgestellt werden. Das funktioniert mit Weisungen, Umsetzungen und Versetzungen. Insgesamt 15 Personen waren von diesen Maßnahmen betroffen.

Am heftigsten traf es vier Kollegen, die von einem Psychiater für verrückt erklärt und daraufhin aus der Behörde entfernt wurden. Diesen Personen ist auch das Buch gewidmet. Der Arzt wurde inzwischen von einem Berufsgericht bestraft, die Kollegen aber bis heute nicht rehabilitiert. Der ganze Skandal zeigte jedoch auch – ohne dass ich hier konkret Namen nennen möchte – mit welcher Skrupellosigkeit mitunter ein Staat oder ein Land mit seinen Beamten umgeht, wenn sie unangenehme Fragen stellen. In der Bundesrepublik hätte ich solche "Machenschaften" eigentlich nicht vermutet. Dieser Republik beziehungsweise dem Land Hessen hatten wir schließlich unseren Amtseid geschworen.

Nach der Versetzung in die "Servicestelle Recht" haben die betreffenden Beamten versucht, an ihre alten Stellen zurückversetzt zu werden, was mit fintenreichen Methoden abgelehnt wurde. Daraufhin haben Sie sich mit einer Petition an den hessischen Landtag gewendet. Was passierte dann?

Frank Wehrheim: Die Petitionen wurden mit der Mehrheit der Regierungspartei niedergestimmt. Das gleiche passierte mit einem ersten parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Ein zweiter Untersuchungsausschuss soll jetzt die Vorgänge um die Psychiatrisierung meiner Kollegen klären. Die nächsten Termine sind im August und September dieses Jahres. Es bleibt also spannend.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viel Geld die hessische Steuerfahndung vor und nach der Ära Koch in die deutsche Staatskasse bringt?

Frank Wehrheim: Dieser Frage nachzugehen, wäre eine spannende Aufgabe für die Medien ...

Wie viele Steuerfahnder beschäftigen die Bundesländer und wie viele bräuchte es, um die Steuerhinterziehung wirkungsvoll einzuschränken?

Frank Wehrheim: Zur Zeit werden annähernd 3.000 Fahnder in den Bundesländern eingesetzt. Nach meiner Auffassung verhindert der Länderfinanzausgleich jedoch die Motivation, in einzelnen Bundesländern mehr Fahnder einzusetzen. Die so genannten Geberländer haben die Personalkosten für die Fahndung zu tragen und riskieren überdies, dass größere Unternehmen abwandern, weil es ihnen vielleicht zu ungemütlich wird. Die Einnahmen jedoch gehen über den Finanzausgleich an die schwächeren Bundesländer, das heißt ein Land wie Hessen, Bayern, oder Baden-Württemberg sieht von den Mehrsteuern im Grunde gar nichts, hat aber die finanziellen Konsequenzen einer effizienten Steuerfahndung zu tragen. Aus diesem Grund müsste es in Deutschland eigentlich eine Bundessteuerfahndung geben.

Sie sind während Ihrer Tätigkeit sogar einmal einem Unternehmen auf die Spur gekommen, das Materialien zum Bau einer Atombombe nach Pakistan geliefert hat. Wie das?

Frank Wehrheim: In diesem Fall wurden mehrere Millionen an Steuern nachweisbar hinterzogen. Und die Täter erhielten – ähnlich wie bei Al Capone – mehrjährige Haftstrafen. Der Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz war schwer nachzuweisen und die Strafandrohung auch nicht so hoch wie die Strafen bei Steuerhinterziehung. Aber: Diese hochgradig kriminellen Geschäfte haben schließlich auch dazu geführt, dass Pakistan heute im Besitz von Atombomben ist. Im Vergleich dazu verblasst die mit dem Deal einhergehende Steuerhinterziehung. Wir, die wir damals in diesem Fall ermittelt hatten, waren von den gewaltigen Konsequenzen, die diese Hinterziehung letztlich auch für den Weltfrieden hatte und bis heute noch immer hat, zutiefst schockiert!

: Wie kommt man als Fahnder einem Steuerhinterzieher üblicherweise auf die Schliche?

Frank Wehrheim: Nicht selten ist es die Anzeige einer betrogenen Ehefrau, aber auch aufmerksame Zollbeamte haben uns dicke Fälle geliefert.

Was sind die beliebtesten Tricks, um dem Fiskus das reale Einkommen zu verheimlichen?

Frank Wehrheim: Die Grundkonstellation ist in der Regel immer ähnlich: Manipulationen bei Betriebsausgaben, Weglassen von Betriebseinnahmen, Überweisung auf Nichtgeschäftskonten ... Ein Unternehmer hat es mit Scheinprovisionen geschafft, Millionenbeträge am Finanzamt vorbeizuschleusen. Diese fast perfekte Hinterziehung kam nur durch eine Selbstanzeige ans Licht.

Wer war der dümmste Steuerhinterzieher, dem Sie in ihrer Laufbahn begegnet sind?

Frank Wehrheim: Da gab es so einige, aber mein persönlicher Favorit ist der Hinterzieher, der für sich präzise Aufzeichnungen darüber führte, welche Beträge für ihn schwarz vereinnahmt waren, und welche für das Finanzamt. Der Mann hatte einfach nicht - wie übrigens die meisten Steuersünder – mit einer Hausdurchsuchung gerechnet. In diesem Fall mussten wir gar nichts mehr nachrechnen, so präzise und ordentlich war seine doppelte Buchführung. Ein anderer erzählte einer Zufallsbekanntschaft im Zug haargenau, wie er Steuern hinterzieht und gab dem sympathischen Mitreisenden zum Abschied auch noch seine Visitenkarte. Diese landete mit einer ausführlichen Anzeige bei der Steuerfahndung auf dem Tisch.

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