Instinktives Zeitreisen

Phife Dawg, Q-Tip, Ali Shaheed Muhammad. Alle Bilder: mindjazz pictures

Funky Diabetic gegen den Charlie Parker des Hip Hop: Der Bandporträt-Dokumentarfilm “Beats, Rhymes & Life: The Travels of A Tribe Called Quest” erzählt davon, wie eine Hip-Hop-Band plötzlich ihre gemeinsame Muttersprache verliert - und wiederfindet.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Stillmittel ist einfach, effektiv und typisch: Immer wieder hört man einen einzelnen Satz oder eine kurze Phrase, einen kleinen Textausschnitt. Das Bild zeigt dazu manchmal die entsprechende Stelle aus dem Musikvideo (wenn es eines gibt), aus dessen Lied der Satzfetzen stammt. Und dann wird zurückgespult, ein “Rewind”, samt charakteristischem, quietschenden Geräusch einer zu schnell und in die falsche Richtung abgespielten Schallplatte, die mit der Hand am offenen Turntable zurückgezogen wird - losgelassen, und der essentielle Satzfetzen spielt erneut ab.

“Beats, Rhymes & Life: The Travels of A Tribe Called Quest” ist ein Dokumentarfilm über eine Hip-Hop-Band, und als solcher bedient er sich auch einer ganz speziellen Ästhetik, die seinem Subjekt gerecht wird. “When’s the last time you heard a funky diabetic?” aus dem Song “Oh My God” ist einer dieser Sätze, die mit solchen Spielereien markiert dem Film so etwas wie Kapitelüberschriften bilden. Bandmitglied Phife Dawg, geboren als Malik Izaak Taylor, ist dieser funky Diabetiker, dessen Krankheit der Film von Michael Rapaport sowohl als indirekt Schuldige für den Zerfall der Band, als auch für ihre Wiedervereinigung ausmacht. Später im Film wird es zwischen ihm und Mastermind Q-Tip (Rapper Common sagt einmal über ihn: “Man, this dude is the Charlie Parker of Hip Hop!”) zum schweren Bruch kommen - und zur Versöhnung, deren Hintergründe aber in einer erzählerischen Ellipse beinahe verborgen bleiben.

Als Rahmen für die “Travels” wählt Regisseur Michael Rapaport ein Konzert aus dem Jahr 2008: Er zeigt Szenen des Auftritts, bereits seltsam distanziert, auf der Tonspur nur ein Instrumental ohne Rap-Stimmen, lässt stattdessen die einzelnen Bandmitglieder aus dem Off und anonym über einander sprechen, liebevoll und wohlwollend zwar, aber ohne Nähe. Danach dann vereinzelte, unzusammenhängende Aussagen, dass dies wohl das letzte Konzert gewesen sei, Q-Tips resignierendes “I did everything I could do. 20 years man. I’m too old for this shit” steht in hartem Kontrast zum zweifelnden “Everybody said this was the last one” von Band-DJ Ali Shaheed Muhammad. Rapaport lässt unausgesprochen, welche Frage ihn eigentlich beim Dreh seines Films beschäftigt hat: Wie es zum Bruch zwischen Phife Dawg und Q-Tip kommen konnte? Oder ob es für eine Gruppe wie A Tribe Called Quest überhaupt jemals soetwas wie ein definitiv letztes Konzert geben kann?

Nicht Band, sondern Familie

Genau aus dem Wort “Gruppe” nämlich, das erklärt Q-Tip (alias Kamaal Fareed) an anderer Stelle, ist der eigentliche Bandname entstanden: Q-Tip trat als Gast auf dem Album der Jungle Brothers - Schulkameraden von ihm und Phife - auf, und wollte sich in seinem Solopart als Mitglied der noch unveröffentlichten Gruppe “Quest” vorstellen. “I’m Q-Tip and I’m from a group called Quest.” Aus der Gruppe wurde im Rap-Text der “Tribe”, der Stamm, und dieser familiäre Zusammenhalt, den sie schon im Bandnamen beschwören, wird zum Kern der besonderen Rolle, die A Tribe Called Quest für die Musikgeschichte des Hip Hop gespielt hat. “When there’s no love anymore between them, I don’t want to see them on stage”, sagt später einmal - am Rande des vermeintlich allerletzten Konzerts - Posdnous von De La Soul.

Es ist aber genau dieser unbedingte Wille zum Familiären, den Rapaport als so schädlich für das Klima innerhalb der Band versteht. Immer wieder lässt er seine Protagonisten von ihrer Beziehung untereinander erzählen, und immer wieder schleichen sich in all die Sympathiebekundungen kleine Randbemerkungen hinein, dass sie alle - auch der früh ausgestiegene Jarobi White - ihr Bandprojekt auch als moralische Verpflichtung verstehen. Man spreche jetzt nicht mehr nur für sich selbst, sondern für alle, schwört Q-Tip seine Kollegen ein. Und als dann schließlich 2008 - knapp 10 Jahre nach dem letzten Album - Phife um Hilfe bittet, dann sind selbstverständlich alle zur Stelle: “Because he’s my man.” Seine schwere Diabetes-Erkrankung bedeutete für den Rapper immer höhere Behandlungskosten, eine Nierentransplantation stand außerdem ins Haus. Die gemeinsame Tour durch die USA wurde zum Charity-Projekt für den alten Freund, und schien dennoch den Bruch zwischen Q-Tip und ihm beinahe endgültig zu besiegeln.

So fühlte sich der eine, der Kranke, auf der Bühne übergangen und geringgeschätzt. Der andere dagegen, der - das macht Rapaport zwar behutsam aber unmissverständlich klar - einen Tick zu egozentrische Q-Tip, witterte mangelnde Dankbarkeit bei seinem alten Freund. Aus dem “Love Movement” (so der Titel des bislang letzten Albums) wurde eine Bewegung aus Verpflichtung, ein gegenseitiges Helfen nur “for old times’ sake”. Die “Native Tongue”, also die angenommene Muttersprache, der sich A Tribe Called Quest auch mit der Gründung der gleichnamigen Bewegung - gemeinsam mit Bands wie De La Soul, den Beatnuts oder Queen Latifah - verpflichtete, schien nicht mehr zu funktionieren.

Breakbeats auch in Bildern

Auch ästhetisch spiegelt der Film die vielen kleinen Spalten, die sich immer dann im sonst so freundschaftlichen Personengefüge ergeben, wenn die Verbundenheit zur lastvollen Verpflichtung wird. Die typischen Instrumental-Breaks, die sich auch immer wieder in den Songs von A Tribe Called Quest finden - der Beat und die Samples unterbrechen für einen halben Takt, lassen vielleicht die Rap-Stimmen kurz allein, oder irritieren sogar kurz durch komplette Stille -, baut Rapaport in seiner Montage nach. Immer wieder friert er das Bild ein oder zerhackt selbst unspektakuläre Monologe durch Jump-Cuts, die einzelne Aussagenfetzen unterstreichen oder gar verdoppeln.

Phife Dawg

Überhaupt findet Rapaport in der Wiederholung ein machtvolles Stilmittel, indem er manche Bilder und Textzeilen wie einen Sample-Loop mehrfach hintereinanderhängt und damit die einzelnen, erzählerisch bisweilen nur etwas bemüht zusammenhängenden, Kapitel assoziativ verbindet. Historisches - Verweise auf Größen des Genres, die den Tribe schon zu deren Kindheit beeinflusst haben - zeigt er mit Kamerafahrten über dreidimensionale Standbilder in schwarz-weiß: Mit der Bewegung der Kamera ergiebt sich ständig eine neue Perspektive auf die fotografierte Konzert- oder Diskoszene, die unterschiedlichen und voneinander abgehobenen Ebenen des Bildes verschieben sich ineinander und arrangieren sich je nach Blickwinkel neu.

Q-Tip

Dass Rapaport es dermaßen gut gelingt, die Musik von ATCQ in eine konsequente und immer noch dokumentarische Bildsprache zu übersetzen, ist ein großer Erfolg seines Films. Immerhin können auch all die Protagonisten, die zu Wort kommen, nie ganz aus ihrer Haut. Je ernster die Gesprächsthemen werden, je mehr die Sprechenden für ihren Monolog in sich gehen müssen, umso mehr wird an ihnen auch ihre musikalische Sozialisation deutlich. Q-Tip erscheint immer ein wenig analytisch und kalt, genau so wie er auch die Musik begreift, der er sich mit beinahe wissenschaftlicher Hingabe widmet. Phife dagegen ist ganz Emotion, und wenn ihn eben jene packt, dann wiegt er sich im Takt eines unhörbaren Soundtracks hin und her, spricht seine Sätze rhythmisch und pointiert, rappt ohne Reim.

Phife Dawg

Wo Hip Hop aber mit seiner Textfülle manchmal zur Übererklärung neigt, so zieht Rapaport spätestens hier einen Trennstrich: Er verknüpft seine Kapitel eher in seiner Ästhetik als über die Erzählung, und genau das macht es manchmal schwierig, dem Film zu folgen. Denn auch wenn “Beats, Rhymes & Life” weitgehend chronologisch erzählt ist, so sind die zeitlichen Abläufe doch oft unklar.

Als es nach dem vermeintlich letzten Konzert, das strukturell außerdem den ganzen Film zu rahmen scheint, plötzlich doch weitergeht, bleibt lange offen, ob der plötzliche versöhnliche Ton jetzt eine Rückblende vor eben diese Tour aus dem Jahr 2008 darstellt. So bitter und heftig war der letzte Bruch der Bandmitglieder. Zwischen den Jahren, die immer mal wieder in den Fokus rücken, setzt “Beats, Rhymes & Life” erst eine ganze Menge Hintergrundkenntnis voraus, um diese dann Minuten später doch noch nachzureichen. Immerhin, dass Rapaport nicht alle dieser Ellipsen nachträglich füllt, verleiht der manchmal etwas zu romantisierenden Band-Hommage die dringend nötige Distanz.

Questlove (The Roots)

Die bislang letzte Versöhnung im Jahr 2010, so suggeriert der Film, hat nämlich nie explizit stattgefunden. Wir sehen nur eine kleine Szene: Phife Dawg im Wartezimmer des Krankenhauses, vor seiner Nierentransplantation, er hat zuvor beschrieben, wie sehr er sich vor der Operation fürchtet. Er sieht auf sein Handy und hat eine SMS von Q-Tip bekommen, der ihm alles Gute wünscht. Mehr nicht. Es sind diese Momente, in denen die Freundschaft und familiäre Verbundenheit, auf denen das ganze Bandkonzept des “Tribe” aufbaut, ehrlich werden und sich von der rein moralischen Verpflichtung lösen können.

Q-Tip

A Tribe Called Quest war - ist! - eine Band, der man sich nicht mit kalter Analytik nähern kann. Deshalb ist Q-Tip in ihr auch der zwar erfrischende aber auch gefährliche Fremdkörper, als den ihn Rapaport zeichnet. Die Frage, warum es zum Bruch zwischen den Bandmitgliedern kam, ist damit leicht beantwortet. Die Freundschaft und Versöhnung aber, das erzählt Rapaport nur zwischen den Zeilen, basiert nicht auf dem Verstand, sondern auf Instinkt. Oder in den Worten des Titels des ersten Albums von A Tribe Called Quest: “People's Instinctive Travels and the Paths of Rhythm”.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.