Instinktlose Ministerin: Christine Lambrecht in der Tradition von "Rudi bin Baden"
Bisher brauchte es nicht unbedingt PR-Talent und Charisma an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik schritt auch so voran. Aber langsam wird es wohl zu ernst.
Nein, es liegt nicht am Geschlecht: Schon Rudolf Scharping erregte als Verteidigungsminister den Verdacht, er sei als solcher ausgewählt worden, damit Deutschland einen Mitleidsbonus bekommt und nicht zu sehr verwüstet wird, sollte irgendein ausländischer Schurkenstaat die Weltherrschaft anstreben.
2001: "Prinz Valium der SPD" mit Badefotos in der Bunten
Nachdem Scharping wegen seiner behäbigen Sprechweise zunächst als Schlaftablette und "Prinz Valium der SPD" verschrien war, erhielt er nach einer misslungenen PR-Aktion im August 2001 den Spitznamen "Rudi bin Baden". Offenbar, um seinem Langweiler-Image entgegenzuwirken, hatte sich Scharping mit seiner Lebensgefährtin Kristina Gräfin von Pilati im Swimmingpool ablichten lassen. "Total verliebt auf Mallorca" lautete die Überschrift auf dem Cover der Klatschzeitschrift Bunte.
Über die Fotostrecke wurde noch nach den Anschlägen vom 11. September New York weiter gelästert – und Scharpings neuer Spitzname reimte sich bewusst auf den Namen des Hauptverdächtigen Osama bin Laden. Auch "der Eroberer" wurde der Wehrminister augenzwinkernd genannt.
2010: CSU-Mann mit Gattin und Talkmaster auf Truppenbesuch
Etwas geschickter war die Performance von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) – über dessen eitle Selbstinszenierung inklusive Truppenbesuch in Afghanistan mit Gattin und Talkmaster wurde zwar 2010 auch gelästert, aber bei der Fangemeinde dieses Verteidigungsministers kam die Aktion umso besser an, während vor allem politische Konkurrenten und unverbesserliche Antimilitaristen den Kopf schüttelten.
Besonders treue Fans hielten dem Freiherren bis zuletzt die Stange und organisierten sogar noch mit Guttenbergs Vater Solidaritätsaktionen für ihn, als sich herausstellte, dass ihr Idol seine Doktorarbeit nicht selbst geschrieben hatte.
Lambrecht-Sohn im Bundeswehr-Heli, Böllerlärm bei Rede zum Krieg
Eine solche Fangemeinde fehlt der aktuellen Ressortchefin völlig. Rudolf Scharpings Parteifreundin Christine Lambrecht scheint es dennoch darauf anzulegen, nach mehr als 20 Jahren die PR-Einlage des "Rudi bin Baden" noch an Peinlichkeit zu übertreffen. Erst schoss sie im vergangenen Jahr ein Foto ihres Sohnes im Bundeswehr-Helikopter, wollte dies aber monatelang nicht zugeben und verwies auf ihre Privatsphäre, nachdem der Filius damit auf Instagram geprotzt hatte.
Erst nachdem der Tagesspiegel beim Verwaltungsgericht Köln einen Eilantrag auf behördliche Auskünfte gestellt hatte und dieses zugunsten des Mediums entschied, beantwortete die Ministerin Fragen zur Entstehung des privaten Fotos im dienstlichen Flugobjekt.
Die neueste Peinlichkeit ist die Kulisse ihrer Neujahrsansprache zum Ukraine-Krieg – gehalten mit wehendem Haar und krachendem Silvester-Feuerwerk im Hintergrund und veröffentlicht auf ihrem Instragram-Account. "Das Jahr 2022 hat uns vor unglaubliche Herausforderungen gestellt. Mitten in Europa tobt ein Krieg", sagt sie – untermalt von kriegsähnlichem Lärm, der aber offensichtlich von Feiernden verursacht wird.
Zudem dankt Lambrecht vor dieser Kulisse den Soldaten der Bundeswehr und schwärmt von vielen Eindrücken und Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen im Jahr 2022. Teilweise ist sie kaum zu verstehen – es handelt sich wohl tatsächlich um ein privat aufgenommenes Video, wie das Ministerium versichert; also ohne Mitwirkung eines professionellen Mitarbeiterstabs, der die Ministerin vielleicht vor sich selbst geschützt hätte.
Während Lambrecht nun von Oppositionspolitikern sowie in den Medien und im Netz "zerrissen" wird, kam aus den Reihen der Ampel-Koalition eher verhaltene Kritik: Sie finde "das Setting etwas unglücklich", erklärte etwa die FDP-Wehrexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, eine Hardlinerin in Sachen Aufrüstung, die der Verein LobbyControl wegen einer gewissen Distanzlosigkeit zur Rüstungsindustrie kritisiert. Mehr wolle sie dazu nicht sagen, so Strack-Zimmermann.
Die CDU-Wehrpolitikerin Serap Güler legte dagegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eindringlich nahe, Lambrecht zu entlassen: "Die Rede über den Krieg mit Silvesterböllern im Hintergrund setzt ihrer Serie von Peinlichkeiten nur noch die Krone auf", schrieb sie auf Twitter. Deshalb: "Jede weitere Minute, in der der Bundeskanzler an dieser Ministerin noch festhält und damit das Ansehen unseres Landes weiter beschädigt, geht auf sein Konto."
Trotz alledem
Allerdings wird die Performance rund um dieses Amt vielleicht auch überschätzt. Entscheidende Schritte zur Enttabuisierung des Militärischen in Deutschland erfolgten trotz Scharping unter der ersten "rot-grünen" Bundesregierung.
Maßgeblich befeuert wurde diese Entwicklung 1999 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der den ersten Kriegseinsatz deutscher Soldaten nach 1945 nicht Krieg nennen wollte, sondern davon sprach, "eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen", und dem grünen Außenminister Joschka Fischer, der Nato-Bomben auf Belgrad mit den Worten "Nie wieder Auschwitz" rechtfertigte.
Deutsche zogen demnach nur in den Krieg, um kurz bevorstehende, mit dem Holocaust vergleichbare Verbrechen zu verhindern. Diese Begründung wurde später in der WDR-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge" auseinandergenommen, setzte sich aber in vielen Köpfen fest, während der Krieg selbst in Vergessenheit geriet.
Schimpf und Schande über den Wegbereiter
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass nun ausgerechnet Schröder wegen seiner durch Aufsichtsratsposten bei Rosneft geförderten Altersmilde gegenüber Russland und der zeitweise intensiven Männerfreundschaft mit Wladimir Putin auch von den Bellizisten gehasst wird, deren unverzichtbarer Wegbereiter er war.
Ihnen kam nicht einmal der Gedanke, dass Schröders Vermittlungsversuch zu Beginn des Ukraine-Krieges vielleicht mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) abgestimmt gewesen sein könnte, weil es auch in diesem Apparat Leute gibt, die nicht an einer Eskalation zum dritten Weltkrieg interessiert sind. Stattdessen spuckten in Deutschland "die Guten", als die sich Bellizisten auf allen Seiten fühlen, Gift und Galle über den Altkanzler und skandalisierten dessen Moskau-Reise.
Angesichts der aufgeheizten Debatte strich ihm der Haushaltsausschuss des Bundestages Büro und Mitarbeiter.
Während der Kosovo-Krieg weitgehend verdrängt wird und der Ukraine-Krieg im öffentlichen Diskurs als erster Krieg in Europa seit 1945 durchgeht, setzen jene Bellizisten die Entsorgung der deutschen Geschichte fort. Dazu brauchte und braucht es offensichtlich keine charismatische Person mit guten PR-Beratern an der Spitze des Verteidigungsressorts.
Einige sind aber wohl der Meinung, dass es langsam zu ernst wird für Gestalten, denen sowohl das PR-Talent als auch die Leidenschaft für dieses Ressort fehlt.