Internationaler Filz

Die Mitglieder der al-Qaida-Zelle in Spanien und ihre internationalenVerbindungen

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Die Zeiten der alten Stadtguerrilla sind längst vorbei. Der moderne Terrorismus ist ein internationaler Filz aus Personen verschiedener Organisationen, die im Zeitalter der Globalisierung grenzüberschreitend zusammenarbeiten. In der Terrorszene kennt der eine den anderen und ist deshalb vertrauenswürdig. So stößt die Polizei bei ihrer Puzzlearbeit immer wieder auf ein und dieselbe Person in unterschiedlichen Zusammenhängen und versucht in Soziogrammen das Personengeflecht zu entwirren. Die gefährliche Bedeutung, die einzelne Personen spielen, wird dabei manchmal erst zu spät entdeckt. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die spanische Sektion von al-Qaida und deren Auslandsverbindungen, insbesondere nach Deutschland.

Am 11. März verübten Mitglieder der al-Qaida einen verheerenden Terroranschlag auf die Vorortzüge, die von Alcalá de Hernares - vorbei am US-Luftstützpunkt Torrejon - zur spanischen Hauptstadt Madrid fahren. Bisher sind 201 Tote und mehr als 1500 Verletzte zu beklagen. In einem Schreiben an eine arabische Zeitung in London bekannten sich die Abu-Hafs-al-Masri-Brigaden zu dem Anschlag, die sich nach dem früheren Militärchef der al-Qaida, Mohammed "Abu Hafs" Atef, benannt haben. Am gleichen Tag bekannte sich in Dubai eine weitere Gruppe (Los Leones de Al-Mufridoon) zu denselben Anschlägen mit der Begründung, die spanische Regierung würde den "Kreuzzug" von George Bush unterstützen. In einer weiteren Erklärung am folgenden Tag erklärte ein Sprecher von al-Qaida, die Anschläge in Madrid seien eine Vergeltungsaktion für die spanische Beteiligung am Golfkrieg: "Das ist die Antwort auf Eure Zusammenarbeit mit dem Verbrecher Bush und seinen Alliierten. Es ist die Antwort auf die Verbrechen, die ihr in der Welt begangen habt, vor allem im Irak und in Afghanistan, und wenn Gott will, wird es mehr (Anschläge) geben."

Schon zwei Tage nach den Anschlägen konnten Agenten der Comisaría General de Información erste Tatverdächtige festnehmen. Eine der Rucksackbomben war nicht explodiert und der ferngesteuerte Zündmechanismus, ein Handy, soll die Ermittlungsbehörden auf die Spur der Attentäter gebracht haben. Von den fünf Festgenommenen waren zwei als Anhänger von al-Qaida bekannt gewesen: Der Marokkaner Jamal Zougam aus Tanger leitete einen Telefonladen ("Locutorio Nuevo Siglo") in der Straße Tribulete im Stadtteil Lavapiés, zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof Atocha entfernt. Er wurde von zwei Zeugen als einer der Attentäter wiedererkannt. Der Marokkaner Mohamed Chaui aus Tanger war schon im Vorfeld der Anschläge vom 11. September abgehört worden. Bei den anderen Festgenommenen handelt es sich um den Marokkaner Mohamed Bekali Butaliha und die beiden indischen Randfiguren Vinay Kohly und Suresh Kuma. Nach fünf weiteren namentlich nicht genannten Personen wird gefahndet. Nach Angaben der spanischen Tageszeitung El País soll sich unter den Gesuchten der Jordanier Abu Musad Alsakaoui befinden. Agenten des spanischen Auslandsnachrichtendienst Centro Nacional de Inteligencia (CNI) gehen derweil der Frage nach, ob der Zuganschlag von einem früheren Oberst des irakischen Geheimdienstes Jihaz al-Mukhabarat al-Amma gesteuert worden ist.

Obwohl es allgemeine Hinweise auf einen bevorstehenden Terroranschlag kurz vor den Präsidentenwahlen am 14. März gab, konnte die Polizei das Attentat nicht verhindern. Osama bin Laden höchstpersönlich hatte im Oktober 2003 mit Anschlägen gegen Australien, Großbritannien, Italien, Japan, Polen und Spanien gedroht, weil sich diese Länder am Golfkrieg beteiligten. Anscheinend hatten die Sicherheitsorgane schlampig gearbeitet - wie schon vor dem 11. September. So war erst Ende 2003 der Personalbestand der Unidad de Información Exterior, deren Aufgabe die Überwachung der radikalen Islamisten in Spanien ist, auf die Hälfte reduziert worden.

Dabei gilt Spanien seit langem als Brückenkopf für islamische Terroristen, die sich in Europa ausbreiten wollen. Dafür gibt es mehrere Gründe:

1. leben auf der iberischen Halbinsel über eine Million Einwanderer aus islamischen Ländern,
2. die geographische Nähe zu Nordafrika an der "Straße von Gibraltar", die kaum 13 Kilometer breit ist,
3. die kulturelle Prägung Spanien, das jahrhundertelang von Arabern beherrscht war.

Verhaftung des "Deutschlandschefs" der al-Qaida

Bereits am 22. Juni 2001, also noch vor den Attentaten vom 11. September, gelang den spanischen Behörden ein Schlag gegen al-Qaida. Im Badeort Alicante wurde der Algerier Mohamed Bensakhria festgenommen. Dieser fungierte als Chef der so genannten Meliani-Zelle, die bereits im Dezember 2001 in Frankfurt am Main ausgehoben wurde. Die Gruppe hatte einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt im französischen Straßburg und die dortige Synagoge geplant. Sie stand in Verbindung mit der so genannten Varesse-Zelle der algerischen Organisaton Groupe Salafiste pour la Predictation et le Combat (GSPC), die mit dem Netzwerk von Al-Qaida eng verbandelt ist. Von Mailand aus plante die Gruppe damals einen Giftgasangriff auf die US-Botschaft in Rom.

Verwicklung in den 11. September

Schon den Attentätern vom 11. September diente Spanien als Schauplatz: Diese trafen sich vom 9. bis 17. Juli 2001 in der katalanischen Stadt Taragona, um den Termin und letzte Details für die Anschläge auf das Pentagon und das World Trade Center in New York zu besprechen. Mit dabei waren mehrere Mitglieder der Hamburger Zelle, darunter der Kommandoführer Mohamed Atta und Ramzi Binalship, sowie der Algerier Mohamed Belfatmi. Am 5. September 2001 setzte sich der Hamburger Cheflogistiker Ramzi Binalship nach Pakistan ab. Dabei floh er über Spanien. Der in Murcia lebende Algerier Chalid Madani half ihm mit einem gefälschten Paß und sitzt seit Februar 2004 in Untersuchungshaft. Al-Qaida-Mitglied Abu Zubair al-Haili.

Die al-Qaida Zelle an der Abu Baker-Moschee in Madrid

Nach den Anschlägen in den USA starteten die spanischen Sicherheitsbehörden im November 2001 die Operation "Dátil" zur Zerschlagung der al-Qaida-Strukturen in Spanien. Festgenommen wurde u.a. als Chef der Zelle der gebürtige Syrer Imad Eddin Barakat Yarkas, alias "Abu Dahdah". Er hatte enge Kontakte zu Said Bahaji von der Hamburger Zelle und stand darüber hinaus mit dem syrischen Kaufmann Mamoun Darkazanli in Hamburg in Verbindung, der nach wie vor auf "freiem Fuß" lebt.

Zu den weiteren Verhafteten zählten folgende Personen: Ahmed Brahim, Said Chedadi, Osama Darra, Basam Dalati Satut, Luis José Galán González, Jasem Mahboule, Mohamed Seedl Acaid, Mohamed Zaher Asade. Allerdings reichten die Beweise in zahlreichen Fällen nicht aus und so mußten die meisten Beschuldigten schon bald wieder freigelassen werden. Außerdem stellten die spanischen Justizbehörden Ermittlungen gegen weitere Personen an: Anwar Adanan Mohamed Saleh, Abderramán Alarnaot Abujaljer, Sid Ahmed Boudjella, Amer Azizi, Najib Chaib Mohamed, Mourad Kaddar und Mohamed Maher al Halak, der zur irakischen Gruppe Ansar e-Islam gehört. In diesem Zusammenhang wurde erstmals auch gegen die beiden mutmaßlichen Zugattentäter Jamal Zougam und Mohamed Chaui ermittelt.

In einem zweiten Schlag gingen die Polizeibehörden damals gegen die algerische Gruppierung Groupe Salafiste pour la Predictation et le Combat vor. Über ganz Spanien verteilt wurden sechs Personen festgenommen: Mohamed Belaziz, Mohamed Boualem Khnouni, Hocine Khouni, Majid Sahouane, Yasin Seddiki und Hakim Zerzour. In letztem Jahr hat die Gruppe zahlreiche Deutsche in der Sahara als Geiseln genommen.

Vereitelte Anschläge in der Straße von Gibraltar

Auch in Marokko war die Polizei zunächst erfolgreich: Nach den Terroranschlägen auf den US-Zerstörer "Cole" im Jahr 2000 und den französischen Tanker "Limburg" ein Jahr später befürchten die spanischen Sicherheitsbehörden weitere Anschläge auf Schiffe in der Straße von Gibraltar. Denn bereits Anfang Juni 2002 hatten die marokkanischen Sicherheitsdienste drei Mitglieder der al-Qaida festgenommen. Es handelte sich um Zuher Al Tbaiti, Hilal Yaber Alissiri und Abdullah Al Ghamdi. Sie hatten die Örtlichkeiten ausgespäht und waren auf der Suche nach einem geeigneten Schlauchboot, um damit einen weiteren Anschlag zu verüben.

Um dies zu verhindern, starteten die Marinestreitkräfte der NATO am 9. Februar 2003 eine Überwachungsoperation zum Schutz ihrer Kriegsschiffe, die Operation "Strong Escort". An dieser Operation beteiligt sich auch die deutsche Bundesmarine mit drei Schnellbooten und einem Versorgungsschiff.

Der Anschlag von Casablanca

Dem potentiellen Zugattentäter Jamal Zougam können auch Verbindungen zu den Attentätern von Casablanca nachgewiesen werden. Am 16. Mai 2003 hatten dreizehn Selbstmordattentäter gleichzeitig fünf Anschläge in der marokkanischen Stadt Casablanca verübt. Zielobjekte waren u.a. das "Spanische Haus", das belgische Konsulat und der jüdische Friedhof. Dabei kamen 45 Menschen ums Leben, einhundert Personen wurden verletzt. Verantwortlich für den Anschlag war die marokkanische Gruppe Al Oussououd Al Khalidine, die Verbindungen zu al-Qaida unterhält und sich am Bürgerkrieg in Tschetschenien beteiligt. Ihr Kopf ist der verhaftete Franzose Robert Richard Antoine Pierre. Einen Monat später wurde ein weiterer Tatbeteiligter, Abdelaziz Benyaich, in Algeciras festgenommen. Dadurch konnte vermutlich ein geplanter Anschlag auf eine Ölraffinerie in Lyon verhindert werden. Zu der Gruppe gehört auch der Prediger Mohammed Fizazi, der Anfang der neunziger Jahre auch in einer Hamburger Moschee die Gebetsstunden leitete.

Festnahme in Hamburg

Der Anschlag in Madrid kam nicht völlig überraschend. Bereits am 7. November 2003 hatten die deutschen Strafverfolgungsbehörden in Hamburg den Algerier Abderrazak Mahdjoub unter dem Verdacht festgenommen, er habe Attentate an der spanischen Costa del Sol und dem Irak geplant.

Nach dem Zuganschlag mußte Bundesinnenminister Otto Schily eine "neue Sicherheitslage" konstatieren. Al-Qaida war es in Madrid zum ersten Mal seit dem 11. September gelungen, in Europa einen Terroranschlag zu verüben. Alle vorangegangenen Versuche (Großbritannien, Frankreich, Italien etc.) waren gescheitert. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass schon die Anschläge in Istanbul am 20. November 2003 - streng geografisch - ein Angriff auf die "Festung Europa" waren.

Nun geht in den europäischen Hauptstädten und in Washington die Angst um. In ihrem Schreiben kündigten die Terrorpoeten der Abu-Hafs-al-Masri-Brigaden weitere Attentate an:

Wir bringen den Moslems der Welt die gute Nachricht, dass die erwarteten Schläge ŽWinde des schwarzen TodesŽ gegen Amerika in ihrer abschließenden Phase sind (..) zu 90 Prozent fertig sind und, so Gott will, nahe sind.

Am 2. November finden in den USA die nächsten Präsidentenwahlen statt. In der britischen Hauptstadt macht sich bereits Fatalismus breit. Der Chef von Scotland Yard John Stevens erklärte, er halte einen Terroranschlag der al-Qaida für "unvermeidlich".

Gerhard Piper arbeitet am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).