Internationaler Strafgerichtshof: Welche Kriegsverbrechen werden geahndet?

Seite 2: Keine falsche Solidarisierung mit den antiwestlichen Herrschercliquen

Nun kommt also der Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten durch den Internationalen Strafgerichtshof hinzu. Viele Kritiker werden sich bestätigt sehen. Wieder ist es ein Kontrahent des globalen Westens, gegen den die Justiz vorgeht. Doch das sollte nicht zum Reflex der falschen Solidarisierung mit den vermeintlichen Opfern einer einseitigen Justiz führen.

Denn diejenigen, die sich als Kontrahenten gegen den globalen Westen gerieren, sind eben oft tatsächlich autoritäre Diktatoren, die über Leichen gehen. Man muss sich da nur das aktuelle iranische Regime anschauen, das jetzt mit der noch autoritäreren Diktatur in Saudi-Arabien wieder kooperiert. Dabei geht es auch um den Machterhalt.

Für die vielen Gegnerinnen und Gegner des iranischen Islamismus ist das keine gute Nachricht. Sie fordern mit Recht eine internationale Isolierung dieses Regimes. Linke in aller Welt haben also keinen Grund, etwas Positives darin zu sehen, wenn nun mit Saudi-Arabien und dem Iran zwei islamische Diktaturen ihre Streitigkeiten vorerst einstellen.

Was ist dran an den Vorwürfen gegen Putin?

So sollte auch der Haftbefehl gegen Putin keinen Grund bieten, sich mit dem russischen Herrscher zu solidarisieren. Natürlich sollten auch die konkreten Vorwürfe nicht einfach ignoriert werden, die angebliche Verschleppung von ukrainischen Kindern nach Russland.

In einer Sendung des Deutschlandfunks vom 6. Februar 2023 wurden Recherchen verschiedener proukrainischer Nichtregierungsorganisationen erwähnt, die die Verschleppung und Zwangsadoption ukrainischer Kinder belegen sollen. Dort wird allerdings auch darauf verwiesen, dass die Zahlen dieser Kinder sehr unklar sind.

Auffallend ist, dass in dem Beitrag der russischen Regierung vorgeworfen wird, sie würde aus demografischen Gründen diese Zwangsadoptionen vorantreiben. Es wird gar unterstellt, damit könnten dann die Reihen der Kämpfer gegen das ukrainische Militär aufgefüllt werden. Dafür werden allerdings keine Beweise genannt.

Zurückgewiesen wurden die Vorwürfe in einem längeren Beitrag des Journalisten Ulrich Heyden in der Tageszeitung jungen Welt. Heyden gehört zu den wenigen Journalisten, der weiterhin aus Russland für deutschsprachige Medien schreibt. Aber auch verweist auf die unklare Beweislage. Fragen ergeben sich auch, wenn Heyden schreibt:

Die russischen Behörden haben seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 eine beachtliche Arbeit geleistet. 3,5 Millionen Menschen – darunter eine halbe Million Kinder – wurden aus den Konfliktgebieten in der Ukraine nach Russland evakuiert. Diese Zahl nannte der russische »Koordinationsstab für humanitäre Hilfe« Ende August 2022, kurz bevor sich große Teile des Donbass nach Referenden mit Russland vereinigten.

Ulrich Heyden, junge Welt

Heyden zitiert in seinen Artikel auch die Beauftragte für Kinderrechte beim russischen Präsidenten, Maria Lwowa-Belowa, die erklärte, im Gebiet der "militärischen Spezialoperation" seien 2.000 Waisen aus sozialen Einrichtungen evakuiert worden. Bereits 350 Waisen aus dem Donbass seien in Familien aus 16 Regionen in Russland untergebracht worden.

Da stellt sich schon die Frage, ob dabei die Wünsche der Kinder überhaupt angehört werden. Die von Heyden zitierte Kinderrechtsbeauftragte war lange Zeit in Deutschland kaum bekannt. Das hat sich jetzt geändert. Auch gegen sie hat der Internationale Gerichtshof nun einen Haftbefehl ausgestellt.

Die Herausforderung wird darin bestehen, die selektiven Anklagen des Internationalen Gerichtshof zu kritisieren und die Vorwürfe trotzdem genau zu prüfen und nicht reflexhaft zurückzuweisen oder gar die Angeklagten des Gerichtshofs als Kämpfer gegen die westliche Weltordnung zu glorifizieren.

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