Interstellares Artefakt aus ferner Vergangenheit?

Seite 4: Weltraum-Archäologie

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Gehe man von einer künstlich-intelligenten Herkunft 'Oumuamuas aus, sei die Weltraumschrott-Theorie gleichwohl die plausiblere. Schließlich sei es denkbar, dass auch fortgeschrittene Zivilisationen eine Technologie wie Sonnensegler routinemäßig einsetzen. Irgendwann entstünde dann Weltraumabfall, der ins All abdrifte - wie vielleicht im Fall von 'Oumuamua. Dieser Exot könnte somit ein Überrest einer interstellaren Forschungsmission sein, so wie es später einmal den Starshot-Nanochips nach ihrer Mission im Alpha-Centauri-System ergehen wird.

Wie sehr Loeb die aktive Suche nach aktiven Artefakten befürwortet, bringt er in einem Blog-Artikel bei "Scientific American" zum Ausdruck, den er bereits Ende September veröffentlichte und in dem er auch ganz offen und direkt über 'Oumuamua sinnierte. Loeb geht hierin auf die Erfolge der Planetenjäger und die Erkenntnis ein, dass mindestens 25 Prozent aller Sterne bewohnbare Planeten besitzen. Selbst wenn nur ein Bruchteil davon, so folgert er, intelligente Zivilisationen hervorgebracht habe, müsste in unserer Milchstraße eine hohe Anzahl von extraterrestrischem Weltraumschrott herumschwirren.

Die sich hieraus ergebene Chance könnte den Weg zu einer neuen Fachdisziplin ebnen, die sich mit dem Studium und der Suche nach künstlichen Relikten längst vergangener Weltraumkulturen befasst. Anstatt mit Schaufeln in den Boden zu graben, würden die Wissenschaftler dieser neuen Disziplin mit ihren Instrumenten und Teleskopen in die Tiefen des Alls eintauchen, erklärt Loeb.

Da Objekte wie 'Oumuamua jederzeit im Sonnensystem erneut erscheinen oder sich bereits unzählige Abfallprodukte fremder Technologien infolge der Gravitation von Jupiter und unserer Sonne in unser System verirrt haben könnten, plädieren beide Autoren in ihrer Studie nachdrücklich für eine weltweite Intensivierung der Beobachtungskampagnen. Die Entdeckung des bizarren Körpers sollte uns motivieren, nunmehr verstärkt nach interstellarem Weltraumabfall Ausschau zu halten.

Auch wenn 'Oumuamua durchaus ein natürliches Objekt von bisher unbekannter Form und Beschaffenheit sein kann, ist angesichts seiner Anomalien die Wahrscheinlichkeit einer extraterrestrisch-künstlichen Herkunft nicht von der Hand zu weisen. Die Suche lohnt, betonen die beiden Autoren. Wenn das noch in Bau befindliche neue "Large Synoptic Telescope" (LSST) einsatzbereit ist, steht ein sehr leistungsstarkes Instrument zur Verfügung, das weitere "Mitglieder der 'Oumuamua-Population" ausfindig machen kann. "Eine Suchaktion nach Technosignaturen in Gestalt von Lichtseglern hat seine Berechtigung, unabhängig davon, ob 'Oumuamua einer von ihnen ist."

Abraham (Avi) Loeb: Professor of Science at Harvard University. Er publizierte vier Bücher und mehr als 700 Fachbeiträge und deckte darin ein weites Spektrum ab. Er schrieb auch über Schwarze Löcher, die ersten Sterne im Universum und die Zukunft des Selbigen. Bild: Blue Blazer Photos

Abi Loeb und SETI

Um zu verstehen, warum ein arrivierter Astronom eine solch tollkühne These zum Besten gibt, muss man sich Loebs enge Beziehung zu SETI vor Augen halten. Denn seine Vorliebe für solche Themen kommen mit Blick auf sein wissenschaftliches Umfeld und seinem Forschungsschwerpunkt nicht von ungefähr.

Bereits in der Vergangenheit fiel er mehrfach mit verwegenen Mutmaßungen auf. Es waren Hypothesen mit SETI-Bezug, allesamt aber als alternative Suchmethoden jenseits der klassischen SETI-Strategie angedacht. So schlug Loeb vor 12 Jahren beispielsweise vor, nach Fernsehsignalen außerirdischer Herkunft, nach Spuren von TV-Sendungen ferner Kulturen zu suchen. "Durch einen glücklichen Zufall könnten wir genau jene Radiowellen auffangen, die eine Zivilisation ohne Absicht ins All ausgesendet hat."

Anfang 2017 wandte er sich dem mysteriösen Fast-Radio-Burst-Phänomen (FRB) zu. Hierunter verstehen Astronomen schnelle, einmalige sehr kurzperiodische Radioblitze, die mitunter nur wenige Millisekunden lang starke Radiostrahlung emittieren und höchstwahrscheinlich extragalaktischer Herkunft sind. Da über deren genauen Ursprung und Ursache jedoch noch große Unklarheit herrscht, sinnierte Loeb über die Möglichkeit, dass es sich bei den wiederkehrenden FRBs um "künstliche Signale" handeln könne, die von einer Zivilisation gezielt als Botschaft ins All gesendet wurden. Es könnten aber auch auf Lasertechnik beruhende Antriebslichter für interstellare Lichtsegler sein.

Ein FRB in der Vorstellung eines Space-Art-Grafikers. Bild: HARVARD-SMITHSONIAN CENTER FOR ASTROPHYSICS (CFA)

Hinzu kommt, dass der 56-jährige Astronom nicht nur im Berater- und Aufsichtsgremium von Breakthrough Listen sitzt, sondern auch einen vertrauten Umgang mit dem russischen Milliardär Yuri Milner pflegt, der 2015 die Breakthrough-Initiative mit einer 100-Millionen-Dollar-Spende ins Leben rief.

Als Milner und Stephen Hawking in einer vielbeachteten Pressekonferenz 2016 die Starshot-Initiative vorstellten, war Loebs Handschrift unverkennbar. Diese sieht vor, in naher Zukunft eine Flotte von Nanosonden in das erdnächste Sonnensystem Alpha Centauri zu entsenden, die mit Lichtsegeln angetrieben werden. Starkes von der Erde aus abgestrahltes Laserlicht soll die kleinen Starchips auf ein Fünftel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Zwanzig Jahre würde die winzige Roboter-Phalanx unterwegs sein, um nach ihrer Ankunft in dem 4,36 Lichtjahre entfernten System nach Lebensformen zu suchen.

Führender SETI-Astronom mahnt zur Vorsicht

Ob Abraham Loeb und Shmuel Bialy mit ihrem Paper womöglich gezielt für die Breakthrough-Initiative und die StarShot-Mission Werbung gemacht haben, so wie dies "Spektrum der Wissenschaft" andeutet, bleibt ebenso spekulativ wie die steile Alien-Hypothese der beiden Autoren selbst. In einer E-Mail an Telepolis weist Loeb derlei Vermutungen jedoch weit von sich:

Ich habe positive Reaktionen von angesehenen Astronomen erhalten - wie von dem königlichen Astronomen, Lord Martin Rees. Ich bin angetan über die Reaktionen auf das Paper, aber es wurde nicht mit dieser Absicht geschrieben. Wir haben uns strikt an das wissenschaftliche Standard-Prozedere gehalten.

Was die Reaktionen der Presse hingegen angeht, sei er angenehm überrascht, freut sich Loeb. "Wir hatten ja noch nicht einmal eine Pressemeldung veröffentlicht." Die Studie, die zum Teil von der Breakthrough-Preis-Stiftung finanziert wurde, habe in der Rekordzeit von nur wenigen Tagen das eigentlich langwierige Peer-Review-Verfahren durchlaufen.

Seine Hoffnung sei, wie Loeb dem US-Online-Magazin Space.com eröffnet, dass seine Kollegen seine These nicht gleich deshalb verwerfen, nur weil er und sein Kollege ein heikles Thema aufwerfen. "Das wäre ein Vorurteil, dass wir nicht an den Tag legen sollten." Wissenschaft solle stets offen für Neues sein.

Seth Shostak. Er zählt zu den führenden Protagonisten der SETI-Szene. Bild: BDEngler / CC-BY-3.0

Während im Word-Wide-Web 'Oumuamua auf vielen Kanälen derweil zum Kult-Artefakt hochstilisiert und von zahlreichen Alien- und Paläo-SETI- oder Arthur-C.-Clarke-Fans zum außerirdischen Botschafter verklärt wird, mahnt ausgerechnet ein etablierter und langgedienter SETI-Forscher zur Vorsicht. Kein Geringerer als Seth Shostak, der als Chefastronom des kalifornischen SETI-Instituts von Berufs wegen eine Affinität zu den Extraterrestren hat, übt sich in kritischer Distanz.

In einer E-Mail an den Autoren dieser Zeilen erinnert Shostak an die große Aufregung über die Pioneer-Anomalie, für die auch die Alien-Hypothese herhalten musste. Gleichwohl wurde hierfür 2011 ein durchaus banaler physikalisch-technischer Grund gefunden. Für die Anomalien 'Oumuamuas gebe es genug alternative Erklärungen. Shostak stellt eine naheliegende Frage: Warum sollte eine fremde Zivilisation eine Raumsonde absichtlich in unser Sonnensystem entsenden und dabei den Faktor Neugierde vernachlässigen:

Sie sind nicht dicht an die Erde herangeflogen, haben sich nicht allzu lang bei uns aufgehalten. Ich glaube nicht, dass Captain James Cook zu den Fitschi-Inseln und Nachbarinseln gesegelt wäre, um dort nicht anzulegen. Ich bevorzuge eine weniger exotische, aber ein a priori mehr wahrscheinliches Szenarium, dem zufolge es sich bei 'Oumuamua nur um einen einfachen Gesteinsbrocken gehandelt hat, der aus irgendeinem anderen Sonnensystem stammt. Ich denke, dass es genug Raum für andere Erklärungen gibt. Es muss nicht immer gleich die exotischste Variante sein.


Paper: Could Solar Radiation Pressure Explain 'Oumuamua's Peculiar Acceleration? (Shmuel Bialy, Abraham Loeb) [Die Studie ist am 12.11.2018 erschienen in: "The Astrophysical Journal Letters"]

First Interstellar Asteroid Wows Scientists" - NASA-Video

Zwei ESO-Videos zu 'Oumuamua: Video 1 | Video 2

NASA-Kombinations-Foto von 'Oumuamua in Höchstauflösung