Interview mit russischem Linkspolitiker: "Es gibt eine Mehrheit für einen Wandel"
Seite 4: Der ewige Dissident
Boris Kagarlitsky wurde 1958 geboren. Er ist zweifellos der im Westen bekannteste "neue Linke" aus Russland. Kagarlitsky hat dem interessierten westlichen Publikum die Politik in Russland in zahlreichen Interviews und Büchern erklärt. Seine wohl bekanntesten Bücher sind "Empire of the Periphery. Russia and the world system" (2007) und "Back in the USSR" (2009).
Als der Soziologe 2014 die separatistische Bewegung in der Ost-Ukraine unterstützte, weil er in ihr Ansätze für eine antikapitalistische Politik sah, reagierten manch westliche Linke befremdet. Die Schweizer "Wochenzeitung" beschuldigte den Soziologen im November 2017 "Kreml-naher Positionen" und befürwortete die - von einigen Intellektuellen in der Schweiz geforderte - Ausladung von einer Konferenz zur "Russischen Revolution" in Bern. Doch die Ausladung scheiterte. Kagarlitsky nahm an der Konferenz wie geplant teil.
Kagarlitsky leitet seit zehn Jahren das Internetportal Rabkor.ru, dass auch den gleichnamigen YouTube-Kanal betreibt. Unter russischen, gut ausgebildeten Jugendlichen und Intellektuellen mittleren Alters ist der linke Denker angesehen wegen seiner scharfsinnigen Analysen und dem Versuch, links von der KPRF eine eigenständige Politik zu entwickeln.
Dass Kagarlitsky mit dem System paktiert, kann man ihm kaum vorwerfen. 1982 - noch unter Generalsekretär Breschnjew - saß er wegen Mitarbeit in einer linkssozialistischen Studentengruppe ein Jahr im Moskauer Lefortow-Gefängnis. Bei der Präsidentschaftswahl 2000, als Wladimir Putin zum ersten Mal kandidierte, rief er zum Wahlboykott auf.