Irak: Kurden planen Unabhängigkeitsreferendum
Abstimmung soll "innerhalb von Monaten" stattfinden
Massoud Barzani, der Staatspräsident der irakischen Region Kurdistan, hat der BBC offenbart, dass er in seinem Autonomiegebiet ein Unabhängigkeitsreferendum plant, das "innerhalb von Monaten" abgehalten werden soll. Als Anlass dafür nennt er, dass der Irak durch die Eroberungen der salafistischen Terrorgruppe ISIL bereits "effektiv aufgeteilt" sei.
Außerdem, so Barzani, habe sein Volk ein Recht auf eine vollständige Unabhängigkeit, weil es zehn Jahre lang ernsthaft versucht habe, am Aufbau eines neuen Irak mitzuwirken. Nach dem Scheitern dieses Versuchs könne man es nicht zwingen, in der aktuellen "tragischen Situation" zu verharren.
Ein weiterer Grund für die Ankündigung eines Unabhängigkeitsreferendums zum jetzigen Zeitpunkt dürfte sein, dass Barzani nach der unlängst erfolgten Besetzung der Ölregion Kirkuk Ressourcen in der Hand hat, mit denen sich die Ausgaben eines unabhängigen Staates bequem finanzieren lassen. Schätzungen sprechen von bis zu einer Million Barrel, die das neue Land täglich exportieren könnte. Hätte Barzani die vollständige Unabhängigkeit früher angestrengt, hätte er sehr wahrscheinlich auf dieses Gebiet verzichten müssen.
Wie die Türkei, der Iran und die USA auf das Referendum reagieren werden, ist noch offen. Dass die Türkei entgegen des ausdrücklichen Verbots durch Bagdad und Missfallensbekundungen aus Washington über ihr Territorium kurdisches Öl exportiert, deutet jedoch darauf hin, dass Barzani es verstanden haben könnte, dem nördlichen Nachbarn Ängste vor einer Gefährdung seines Staatsgebiets (in dem bis zu 15 Millionen Kurden leben) zu nehmen. Klar für eine kurdische Unabhängigkeit sprach sich bislang lediglich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aus, für den sie die "notwendige Antwort" auf die ISIL-Geländegewinne ist.
Ob Barzanis Plan aufgeht, hängt auch davon ab, ob es dem Parlament in Bagdad doch noch gelingt, eine Einheitsregierung zu bilden. Darüber wird seit gestern verhandelt. Premierminister Nuri al-Maliki, der der stärksten Partei vorsteht, aber keine absolute Mehrheit im Parlament hinter sich hat, macht bislang keine Anstalten, zugunsten solch einer Einheitsregierung seinen Hut zu nehmen. Und die infrage kommenden sunnitischen und kurdischen Koalitionspartner weigern sich weiter, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Christliche Assyrer aus den von ISIL eroberten Gebieten berichten währenddessen, dass ihnen die Salafisten eine Dschizya-Sondersteuer in Höhe von mindestens 250 Euro pro Kopf auferlegten. Für eine fünfköpfige Familie sind das 1.250 Dollar. Diese Kopfpauschale müssen sie zahlen, um ihren Kopf zu behalten. Ausnahmen für Arme gibt es nicht. Christen mit Berufen, die die Salafisten für einträglich halten, müssen jedoch Aufschläge auf die Kopfpauschale entrichten.
Dazu kommen noch die regulären "Steuern" (beziehungsweise Schutzgelder), die auch Sunniten abverlangt werden. Bei einem durchschnittlichen jährlichen Bruttoeinkommen von lediglich 2.640 Dollar bedeutet das für viele christliche Familien effektiv eine Zwangskonversion zum Salafismus, wenn sie keine Märtyrer werden oder das Land verlassen wollen.
Am Sonntag hatte der Salafistenführer Abu Bakr al-Bagdadi ein neues "Kalifat" ausgerufen und verlautbart, dass alle Moslems ihm Gehorsam leisten müssten, weil er ein Nachkomme der Familie Mohammeds sei, was er mit entsprechenden Stammbaumbehauptungen zu belegen versuchte. Den Zahlen der Vereinten Nationen nach kamen alleine im irakischen Teil des Territoriums des selbsternannten Kalifen im Juni mindestens 2.661 Menschen gewaltsam ums Leben, darunter 1,775 Zivilisten. Die tatsächliche Anzahl der Toten könnte allerdings noch weitaus höher liegen, räumt die UN ein.
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