Iran: Atomare Gastarbeiter

Der Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde ist umstritten, aber er macht auf die ausländische Atomhilfe für den Iran aufmerksam

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Am 8. November 2011 legte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien ihren neuesten Bericht zum Stand des iranischen Nuklear(waffen)programms vor. Wesentliche Neuigkeiten enthielt der Bericht nicht. Allerdings betonte die IAEO, dass sich der Iran bei seinem Atomprogramm auch auf ausländische Hilfe stützen kann, so aus der ex-Sowjetunion, Nordkorea und Pakistan.

Der IAEO-Bericht

Am 8. November 2011 sandte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), Yukiya Amano, seinen Bericht "Implementation of the NPT Safeguards Agreement and relevant provisions of the Security Council resolution in the Islamic Republic of Iran" (GOV/2011/65) an die 35 Mitglieder des Gouverneursrates zur Weiterleitung an die Regierungen der IAEO-Mitgliedsstaaten. Der vertrauliche Bericht (insgesamt 25 Seiten) trägt die Vermerke "For official use only” und "Restricted Distribution", gelangte aber dennoch an die Öffentlichkeit.

Der Bericht fasst die aktuellen Erkenntnisse der IAEO zum Stand der Nuklearforschung im Iran zusammen. Dazu konnte die IAEO durch Inspektionen vor Ort eigene Erkenntnisse eruieren. Als UN-Unterorganisation verfügt die IAEO allerdings über keinen eigenen Geheimdienstapparat, vielmehr ist sie auf die Informationen angewiesen, die ihr von ihren Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden. In diesem Fall steuerten die Nachrichtendienste von insgesamt zehn Mitgliedsländern Meldungen bei. Dazu enthält der Bericht ein Kapitel ("Credibility of Information"), in dem diese Informationsproblematik explizit angesprochen wird (Verhandeln mit Iran als Atommacht?).

Die Ausführungen der IAEO zum Stand des iranischen Atomprogramms fußen in 16 Fällen auf Informationen durch zwei oder mehrere seiner Mitgliedsländer und besitzen daher ein erhöhtes Maß an Glaubwürdigkeit. Aber in weiteren 16 Fällen kamen die exklusiven Hinweise nur von einem einzelnen Mitgliedsstaat, und hier besteht die Gefahr einer gezielten Desinformation, die als solche nicht unbedingt erkennbar sein muss. So berichtete Yaakov Katz am 8. November in der "Jerusalem Post":

Israeli intelligence agencies played a role in helping the International Atomic Energy Agency (IAEA) gather information that is expected to be released later this week and will accuse Iran of developing a nuclear weapon, (…)

Israel is expecting the United States to take the lead in pushing the United Nations and other Western countries to impose tougher, new sanctions on Iran following the publication of the incriminating IAEA report.

Auch die US-Geheimdienste leisteten ihren Beitrag, so dass die iranische Regierung der IAEO vorwarf, sie habe sich – wieder einmal – auf manipulierte US-Berichte verlassen.

Gemäß der Perzeption in der Presse liefert der Bericht – entgegen den erzeugten Erwartungen - kaum neue Erkenntnisse, allerdings heißt es, er sei relativ ausführlich ausgefallen. Zum Stand der iranischen Atomrüstung heißt es in dem Bericht:

"43. The information indicates that Iran has carried out the following activities that are relevant to the development of a nuclear explosive device:

- Efforts some successful, to procure nuclear related and dual use equipment and materials by military related individuals and entities (Annex, Sections C.1 and C.2);

- Efforts to develop undeclared pathways for the production of nuclear material (Annex, Section C.3);

- The acquisition of nuclear weapons development information and documentation from a clandestine nuclear supply network (Annex, Section C.4); and

- Work on the development of an indigenous design of a nuclear weapon including the testing of components (Annex, Sections C.5-C-12).

44. While some of the activities identified in the Annex have civilian as well as military applications, others are specific to nuclear weapons.

45. The information indicates that prior to the end of 2003 the above activities took place under a structured programme. There are also indications that some activities relevant to the development of a nuclear device continued after 2003, and that some may still be ongoing.”

So gibt es zwar mehrere Hinweise auf ein militärisches Nuklearprogamm, aber bisher konnte den iranischen Atomexperten nicht nachgewiesen werden, dass sie in nennenswertem Umfang waffenfähiges Nuklearmaterial zum Bau einer Atombombe unterschlagen hätten. Vielmehr konnten die IAEO-Inspekteure bei der Überprüfung der drei Anreicherungsanlagen (Fuel Enrichment Plant (FEP) in Natanz, Pilot Fuel Enrichment Plant (PFEP) in Natanz und Fordow Fuel Enrichment Plant (FFEP) in Fordow) vor Ort keine NPT-Vertragsverstöße feststellen.

Angesichts dieser unterschiedlichen Profunde fiel die Interpretation der IAEO-Erkenntnisse höchst unterschiedlich aus. Die ARD-Tagesschau zeigte sich höchst alarmiert:

Der Iran hat nach Erkenntnissen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zumindest bis zum vergangenen Jahr an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet. (...) Demnach liegt der Behörde in Wien eine Reihe von Hinweisen vor, dass das Land verschiedene Projekte und Experimente zur Entwicklung eines atomaren Sprengkopfes durchführte. (...) Den Erkenntnissen der IAEA zufolge hat der Iran bei seinen Arbeiten an Atomwaffen auch Komponenten getestet. Unter anderem seien Experimente mit starkem Sprengstoff ein wesentliches Indiz für diese Waffenentwicklungen. Es seien auch Vorbereitungen für Atomtests getroffen worden, für die spezielle Zünder unterirdisch ausprobiert wurden. (...) Dem Bericht zufolge könnte ein Teil der Arbeiten andauern. Deshalb sei man "ernsthaft besorgt".

Demgegenüber kam Konstantin Kossatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der russischen Staatsduma, zu einer ganz anderen Einschätzung:

Erstaunlich ist, dass die IAEO ihre Anschuldigungen nicht mit Beweisen belegt. In dem Bericht wird behauptet, dass der Iran vor 2003 an einer Atombombe gearbeitet haben soll, während die Ansprüche an die gegenwärtige Führung in Teheran gestellt werden. Es wäre verfrüht, auf der Basis des Berichts den Schluss zu ziehen, dass der Iran seine Verpflichtungen gegenüber der IAEO verletzt hat und deshalb mit ökonomischen oder gar militärischen Sanktionen belegt werden sollte. (...) Umso gefährlicher sind Erklärungen einiger ranghoher Politiker in den USA, Frankreich, Großbritannien und Israel, wonach eine Militäroperation gegen den Iran möglich ist und sogar immer näher rückt. Derartige Erklärungen machen Verhandlungen auf der Ebene der Sechsergruppe sinnlos.

Immerhin warf der Bericht einen genaueren Blick auf die ausländische Atomhilfe, auf die die iranische Regierung in den letzten Jahren zurückgreifen konnte. Hier stellen sich zwei Fragen: Wie viele ausländische Atomexperten, seien es Nuklearwissenschaftler oder Nukleartechniker, arbeiten im Iran und wo kommen sie her? Und: Wie viele iranische Atomexperten halten sich in Russland, Nordkorea oder Pakistan etc. auf, um dort Erkenntnisse oder Erfahrungen zu sammeln?

Der Zerfall der Sowjetunion und der nukleare Brain Drain

Zu Zeiten des Kalten Krieges verfügte die Sowjetunion als "Supermacht" über eine umfangreiche militärische und zivile Nuklearindustrie. Allein in den so genannten "geheimen Städten" (Arsamas-16, Krasnojarsk-45, Tscheljabinsk-45, Tscheljabinsk-70, etc.) arbeiteten rund 37.000 Wissenschaftler und 103.000 Arbeiter. Etwa 2.000 Mitarbeiter verfügten über intime Kenntnisse über die Konstruktion und Funktionsweise von Kernwaffen, weitere 15.000 Personen hatten zumindest substanzielle Grundkenntnisse.

Zwar wurden diese "Atomschiki" durch die Sicherheitsdienste rigide überwacht, ansonsten genossen sie all die Annehmlichkeiten, die ihnen das Leben in der Sowjetunion bieten konnte. Mit dem politischen und ökonomischen Zerfall der Sowjetunion 1991 änderte sich ihre Lebenssituation schlagartig. Durch das Ende des Kalten Krieges nahm die politische Bedeutung der Nuklearwaffen rapide ab und entsprechende Beschaffungsprogramme wurden z. T. auf Eis gelegt. Gleichzeitig gab es nur in Ansätzen eine Konversion der militärischen Nuklearindustrie auf eine zivile Produktion, da nach dem Super-GAU von Tschernobyl im Jahre 1986 auch die Atomkraftindustrie ihre eigene Krise durchmachte.

Die Folge war, dass 1991/92 bis zu 30 Prozent der Atomwissenschaftler und Ingenieure ihren Arbeitsplatz und damit all ihre Privilegien verloren. Gleichzeitig existierte aber noch kein soziales Netzwerk, das die Arbeitslosen abgesichert hätte, stattdessen wurden die einstigen "Schokoladniki" nun von familiären Existenzängsten geplagt. Im Jahre 1993 verdiente ein Professor für Atomphysik in Russland gerademal halb soviel wie ein Busfahrer.

Einzelne Atomwissenschaftler flüchteten damals in den Selbstmord, wie z. B. Wladimir Netschai, der Direktor von Tscheljabinsk-70. Aber die meisten suchten sich dort eine neue Arbeit, wo ihre Kenntnisse gefragt waren – im Ausland. Dort lockten ein hohes Gehalt mit entsprechenden Privilegien: Das versprochene Jahressalär soll damals zwischen 132.000 US $ (Iran) und über 500.000 US $ (Pakistan) betragen haben. Außerdem konnten die Akademiker so in ihren "Lehrberuf" weiterarbeiten. Ein anonymer Atomphysiker, der auf ein Arbeitsangebot des Irans nicht einging, bekannte 1992 gegenüber dem "Spiegel": "An so einer Bombe zu bauen, würde mich reizen. Ich möchte gern wissen, ob ich schaffen kann, was den Deutschen im Zweiten Weltkrieg nicht gelang."

Außerdem wurde den Atomwissenschaftlern eine Abwanderung nicht erschwert, zumal auch sie ab 1993 von der neuen demokratischen Reisefreiheit in Russland profitieren durften. Dazu erklärte der damalige Generaldirektor des "Forschungs- und Konstruktionsinstitut für Montagetechnologien" (Nikimt) in Moskau Jurij Jurtschenko:

Ich werde meine Mitarbeiter nicht als Geheimnisträger einstufen und damit zwingen zu bleiben. Jetzt hat jeder das Recht, auf das eigene Land zu pfeifen und abzuhauen.

Es war diese Mischung aus "push and pull"-Faktoren, die zu einer regelrechten Auswanderungswelle der Nuklearexperten führte. International wurde dies mit dem Begriff des nuklearen "Brain Drain" tituliert.

Wie viele Atomexperten die ex-Sowjetunion seit Anfang der neunziger Jahre verlassen haben, ist nicht bekannt. Durchaus seriöse Schätzungen sprechen von mehreren tausend Personen. Um die Gefährlichkeit der einzelnen Personen adäquat einschätzen zu können, wäre es unbedingt notwendig, zwischen zivilen Atomwissenschaftlern aus dem Hochschulbereich, zivilen Nuklearingenieuren aus den Atomkraftwerken, Nukleartechnikern aus den militärischen Atomwaffenlabors mit allgemeinen Grundkenntnissen im Bau von Atombomben und militärischen Atomwaffenexperten zu unterscheiden. In der Praxis ist dies allerdings kaum möglich, da Informationen für eine solche Klassifizierung i. d. R. nicht verfügbar sind. Viele ex-sowjetische Atomexperten gingen in die reichen Länder (USA, Deutschland, etc.), aber nicht wenige strandeten auch in Schwellenländern der "Dritten Welt".

Zielland Iran

Schon am 25. Oktober 1991 soll der damalige Vizepräsident des Iran, Seyyed Attoallah Mohadscherani, erklärt haben: "Da Israel weiterhin im Besitz von Kernwaffen ist, müssen wir Muslime ohne Rücksicht auf Versuche der UNO, eine Weitergabe zu verhindern, bei der Produktion der Atombombe kooperieren." Ein importierter Atomwaffenexperte mit kritischen Kenntnissen über den Zündmechanismus und die Anordnung des konventionellen Sprengstoffes in einer Implosionsbombe kann die Funktionstüchtigkeit der geplanten Konstruktion garantieren und einem Schwellenland jahrelange Testserien ersparen.

Für die Rekrutierung der ausländischen Atomexperten war zunächst der Iraner Chambiz zuständig, er wurde ab 1991 durch Dr. Mahdi Chamran, der in Berkeley (USA) studiert hatte, ergänzt bzw. ersetzt. Dabei profitierte der Iran von der geographischen Nähe zu Russland. Über die "grüne Grenze" konnten Schlepperorganisationen die Rekruten relativ leicht ins Land schleusen.

Was die Zahl der rekrutierten Atomexperten anbelangt, nannte der Journalist Brian Freemantle - unter Berufung auf vorsichtige nachrichtendienstliche Schätzungen - für 1992 folgende Zahlen: Algerien (12 Personen), Libyen (4), Irak (50) und Iran (264). Und in einem Bericht des damaligen deutschen Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer vom August 1994 wurden ähnliche Zahlen genannt: Libyen (2 Personen), Irak (50), Iran (264), Indien (4) und Brasilien (60). Im Fall des Irans unterschied Schmidbauer zwischen 14 Nuklearwissenschaftlern, 200 Technikern und 50 Atomexperten. Schmidbauer bezog sich dabei offensichtlich auf die Meldung, dass seit 1991 200 Techniker und 50 Atomwissenschaftler vom kasachischen Atomwaffentestgelände Semipalatinsk-21 in den Iran ausgewandert waren.

Außerdem berichtete der Bundesnachrichtendienst 1994, dass seit 1991 14 sowjetische Atomwaffenspezialisten auf privater Basis im Iran arbeiten würden. Im Jahr 2006 behaupteten die beiden amerikanischen Autoren Alexander V. Nemets und Robert W. Kurtz, dass im Iran 30.000 russische Berater bei der Aufrüstung des Landes helfen würden, dabei wurden allerdings Militär- und Atomexperten in einen Topf geworfen.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Zahl der russischen Experten im Iran in den nächsten Jahren abnehmen wird – im Gegenteil. Nach Fertigstellung des Atomkraftwerkes in Buschehr durch das russische Staatsunternehmen Zarubezhatomenergostroi planen die Regierungen beider Ländern den Bau weiterer Atomkraftwerke mit einem Auftragsvolumen von nicht weniger als 40 Milliarden Dollar.

In mehreren Fällen wurden die Namen der ex-sowjetischen Atom- und Raketenexperten bekannt:

  • Alexander Ahmediadeh: Atomwissenschaftler aus Turkmenistan
  • Banjuk Gennadi Fedorowitsch: Stellvertretender Direktor von OKB Gidropress, arbeitete beim Bau des Atomkraftwerkes vom Typ WWER-1000/446 in Buschehr
  • Wjatscheslaw W. Danilenko: ukrainischer Sprengstoffexperte, soll bei der Entwicklung eines Bomben-Zündsystems geholfen haben - Philip Gurhanian: Atomwissenschaftler vom Kurtschatow-Institut für Atomenergie (KIAE) in Moskau, das für die Konstruktion von Atomkraftwerken zuständig ist und u. a. den Reaktor RBMK-1000 von Tschernobyl entworfen hat
  • Arsen Hamidiadeh: Atomwissenschaftler aus Kasachstan
  • Wladimir Kubow: Atomwissenschaftler vom Kurtschatow-Institut für Atomenergie
  • Valeri Lyagin: Leiter der technologischen Abteilung von AtomEnergoMash
  • Sergei Rizhow: Direktor und Chefdesigner von OKB Gidropress, der in Buschehr arbeitete
  • Nikolai Tronow: Abteilungsleiter und Chefdesigner von OKB Gidropress, der in Buschehr arbeitete
  • Andrei Tropinow: Leiter der technologischen Abteilung bei OKBM Afrikantow, der in in Buschehr arbeitete
  • Wadim Wassiljewitsch Worobej: Professor am Moskauer Staatlichen Luftfahrtinstitut (MAI). Der Raketenexperte arbeitete von 1996 bis 2001 im Iran.
  • Antatoly Zhilinskiy: Teheraner Büro der AKW-Baufirma Zarubezhatomenergostroj.

Atomexperten aus Russland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion arbeiten u. a. in Buschehr, Darkhwin, Gorgan, Isfahan, Karadsch und Kaswin.

Allerdings bietet die Rekrutierung von Atomexperten mit Immigrationshintergrund auch Risiken: Ein ausländischer Nachrichtendienst kann dies als Chance nutzen, um Spione und Saboteure beim Gegner zu platzieren. So hat die US-Regierung über drei Schweizer dem Iran bereits minderwertige Produkte angedreht. Auch der israelische Reeder Sammy Ofer wurde in diesem Zusammenhang genannt. So berichtete der russische Raketenexperte Worobej: "They wanted to receive information from us, but at the same time they were not willing to tell us everything they were doing. That made it difficult to help them."

Auf der anderen Seite werden iranische Atomexperten seit 1992 in Russland ausgebildet, so an der National Research Nuclear University (MEPhI), die 1942 von Igor Wassiljewitsch Kurtschatow, dem Konstrukteur der ersten sowjetischen Atombombe, gegründet wurde.

Und natürlich sind in Russland auch die iranischen Nachrichtendienste aktiv und betreiben militär-technische Spionage. So konnte der russische Inlandsgeheimdienst FSB im Juni 1997 mehrere iranische Agenten festnehmen. Darunter war auch Reza Teymuri, der sich mit einem Mitarbeiter des damaligen Mytishchi Machine Building Plant (MMZ) treffen wollte, um Raketenwerfertechnologie zu ergaunern.

Der Fall Wjatscheslaw W. Danilenko

In Anhang des neuen IAEO-Reports heißt es:

44. The Agency has strong indications that the development by Iran of the high explosives initiation system, and its development of the high speed diagnostic configuration used to monitor related experiments, were assisted by the work of a foreign expert who has not only knowledge in these technologies, but who, a Member State has informed the Agency, worked for much of his career with this technology in the nuclear weapon programme of the country of his origin. (…) The Agency has been able to verify through three separate routes, including the expert himself, that this person was in Iran from about 1996 to about 2002, ostensibly to assist Iran in the development of a facility and techniques for making ultra-dispersed diamonds ("UDDs” or "nanodiamonds”), where he also lectured on explosion physics and its applications.

Die Identität dieses "foreign expert" wurde schon vor einen Tag vor Veröffentlichung des IAEO-Berichtes bekannt: Es handelt sich um den ex-sowjetischen bzw. ukrainischen Sprengstoffexperten Wjatscheslaw W. Danilenko. Die Washington Post berichtete, dass Danilenko eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Zündsystems für eine iranische Atombombe gespielt haben soll. Dabei berief sich die Zeitung auf vertrauliche Informationen von David Albright, der das International Institute for Science and Security in Washington leitet:

According to Albright, one key breakthrough that has not been publicly described was Iran’s success in obtaining design information for a device known as an R265 generator. The device is a hemispherical aluminum shell with an intricate array of high explosives that detonate with split-second precision. These charges compress a small sphere of enriched uranium or plutonium to trigger a nuclear chain reaction. (…)

According to the intelligence provided by the IAEA, key assistance (...) was provided by Vyacheslav Danilenko, a former Soviet nuclear scientists who was contracted in the mid-1990s by Iran´s Physics Research Center, a facility linked to the country´s nuclear program. (…)The scientist acknowledged his role but said he thought his work was limited to assisting civilian engineering projects, the sources said.

Washington Post

Drei Tage später bestritt Danilenko gegenüber der russischen Tageszeitung Kommersant seine Rolle beim iranischen Atomwaffenprojekt mit folgenden Worten: "I am not a nuclear physicist and I am not the founder of Iran's nuclear program."

Tatsächlich ist Danilenko ein Pionier auf dem Gebiet der Erzeugung von winzigen Industriediamanten durch Sprengstoffexplosion und hat darüber 2010 ein Buch ("Explosion: the physics, the science, the technology") veröffentlicht. Scheinbar hat dies mit dem Bau von Atombomben gar nichts zu tun, aber zur Erzeugung von Diamanten braucht man offensichtlich die gleichen ausgeklügelten Sprengkenntnisse, wie zur Herstellung einer kritischen atomaren Masse.

In diesem Zusammenhang ist die Biographie von Wjatscheslaw Danilenko aufschlussreich:

Danilenko, Jahrgang 1934, arbeitete von 1950 bis 1991 beim "Allrussischen Wissenschaftlichen Forschungsinstitut für Technische Physik" (VNIITF) in dem Rüstungszentrum Tscheljabinsk-70 bei Sneschinsk. Zeitweise war er ein Mitarbeiter von Konstantin Krupnikow, der in den vierziger Jahren an der Entwicklung der ersten sowjetischen Atombombe mitgearbeitet hatte. Nachdem die Sowjetunion zusammenbrach, arbeitete Danilenko spätestens von 1991 bis 1996 bei dem ukrainischen Unternehmen "Alit". Von 1996 bis 2002 folgte seine Beratertätigkeit im Iran. Er war durch Dr. Seyed Abbas Shahmoradi vom "Physikalischen Forschungsinstitut" (PHRC) der "Sharif Universität für Technology" in Teheran angeworben worden. Nach seiner Pensionierung lebte Danilenko zumindest zeitweise in Kiew.

Dabei ist der Fall Danilenko keineswegs neu: Schon seit 2008 beschäftigte sich die IAEO damit, ohne dass dessen Identität oder Aktivitäten damals offengelegt worden wären. So zitierte die russische Nachrichtenagentur "Novosti" im Oktober 2009 den früheren UN-Waffeninspekteur David Albright: "There has been Russian help. It is not the government, it is individuals – at least one helping Iran on weaponization activities, and it is worrisome."

Zusätzlich zu den Informationen, die im aktuellen IAEO-Bericht preisgegeben wurden, berichtete das ISIS mittlerweile weitere technische Details zur Apparatur aus zwei Aluminium-Halbkugeln als Zündvorrichtung für einen atomaren Raketengefechtskopf, an der Danilenko im Iran arbeitete:

The IAEA also obtained from member states details of the design, development, and possible testing of what is called in IAEA information the R265 shock generator system, which is around multipoint initiation system that would fit inside the payload chamber of the Shahab 3 missile tri-conic nose cone. This device involves a hemispherical aluminium shall with an inside radius of 265 mm and wall thickness of 10 mm thick. Outer channels are cut into the outer surface of the shell, each channel one by one millimetre, and contain explosive material. Each channel terminates in a cylindrical hole, 5 mm in diameter, that is drilled through the shell and contains an explosive pellet.

The geometrical pattern formed by channels and hole is arranged in quadrants on the outer hemispheric surface which allows a single central point of initiation and the simultaneous detonation of explosives in all the holes on the hemisphere. This in turn allows the simultaneous initiation of all the high explosives under the shell by one exploding bridgewire (EBW). If properly prepared, the R265 constitutes the outer part of an explosively driven implosion system fo a nuclear device. The outer radius of the R265 system is 275 millimeters, or a diameter of 550 millimeters, less than the estimated diameter of about 600 millimeters available inside the payload chamber of a Shahab 3 (or the Sejjil-2 missile). (…)

According to information provided to the IAEA, the testing of the R265 system involved evaluating the uniformity of the time of arrival of the detonation front, which is measured at the inner surface of 50 kilograms of composition B hemispherical explosive charge located inside the aluminium hemisphere.

Sonstige Hilfe

Der IAEO-Bericht vom 8.November 2011 kritisiert auch weitere Hilfsleistungen aus dem Ausland durch ein "clandestine nuclear supply network". So heißt es dort:

5. (…) Iran acknowledged that it had had contacts with intermediaries of a clandestine nuclear supply network in 1987 and the early 1990s, and that, in 1987, it had received a handwritten one page document offering assistance with the development of uranium centrifuge enrichment technology, in which reference was also made to a reconversion unit with casting equipment. (...)

6. The Agency continued to seek clarification of issues with respect to the scope and nature of Iran´s nuclear programme, particularly in light of Iran´s admissions concerning its contacts with the clandestine nuclear supplier network, information provided by participants in that network and information which had been provided to the Agency by a Member State. This last information, collectively referred to as the "alleged studies documentation”, which was mad known to the Agency in 2005, indicated that Iran had been engaged in activities involving studies on a so-called green salt project, high explosives testing and the re-engineering of a missile re-entry vehicle to accommodate a new payload. All of this information, taken together, gave rise to concerns about possible military dimensions to Iran´s nuclear programme.

35. In an interview in 2007 with a member of the clandestine nuclear supply network, the Agency was told that Iran had been provided with nuclear design information. (...)

55. (...) The Agency was also informed by a different Member State that Iran may also have experimented with such components in order to assess their performance in generation neutrons. Such components, if placed in the centre of a nuclear core of an implosion type nuclear device and compressed, could produce a burst of neutrons suitable for initiating a fission chain reaction. (...) The design of the capsule, and the material associated with it, are consistent with the device design information which the clandestine nuclear supply network allegedly provided to Iran.

Damit meint die IAEO die Hilfe durch das so genannte "Khan-Network", das von dem pakistanischen Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan geleitet wird, der von der Presse gerne zum "Vater der pakistanischen Atombombe" hochstilisiert wird. Seine atomare Schwarzmarkttruppe nahm bereits 1984 Kontakte zum iranischen Mullah-Regime auf. Dabei hatte die halbstaatliche Schmuggler-Bande die stilllschweigende Zustimmung des pakistanischen Generalstabschef General Mirza Aslam Beg. So lieferte sie 1986/87 zunächst 500 Zentrifugen vom Typ P-1 zur Urananreicherung für 3 Mio. Dollar. Bei den Verkaufsgesprächen wurde das internationale Khan-Network durch Mohamed Farooq aus Sri Lanka und den deutschen Ingenieur Heinz Mebus aus Erlangen vertreten.

Im Jahr 1996 folgte die Lieferung von Bauplänen für die verbesserten Zentrifugen vom deutschen Typ G-2/P-2. Außerdem schlossen die Regierung in Teheran und Islamabad 1986 ein Kooperationsabkommen zur Ausbildung iranischer Atomexperte beim "A. Q. Khan Research Laboratory" (KRL) in Kahuta und beim "Pakistan Institute of Nuclear Science and Technology" (PINSTECH) in Rawalpindi ab. Da Iran und Pakistan über eine gemeinsame Landgrenze verfügen, kann der Verkehr von Personen und Material unauffällig erfolgen.

In dem schriftlichen IAEO-Bericht wurde eine Atomhilfe durch Nordkorea nicht explizit erwähnt. Allerdings sollen die UN-Experten dem IAEO-Gouverneursrat am 11. November 2011 in einem mündlichen Vortrag über eine solche Kooperation vertraulich berichtet. Daraufhin wurden in der Presse diesbezügliche Spekulationen laut. So berichtete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap, hunderte Atom- und Raketenexperten aus Nordkorea würden an zehn iranischen Rüstungseinrichtungen, darunter Natanz und Ghom, arbeiten. Die Namen beteiligter Atomexperten wurden nicht bekannt. Daraufhin bezeichnete die nordkoreanische Nachrichtenagentur Korean Central News Agency (KCNA) diese Meldung als "Unsinn".

In der Vergangenheit leistete auch die chinesische Regierung dem Iran Nuklearhilfe: Zwar vereinbarten beide Regierungen im Februar 1993 die Lieferung zweier Leichtwasserreaktoren (300-Megawatt) und 1995 den Bau eines Schwerwasser-Forschungsreaktor, aber auf amerikanischen Druck stornierte die chinesische Regierung die Projekte und stellte seit 1998 alle Kooperationen mit dem Iran ein. Zur Zeit sind anscheinend keine chinesischen Atomexperten mehr aktiv im Iran.

Liquidierung von Atomexperten

Während die iranische Regierung durch die Rekrutierung von ausländischen Atomexperten versucht, ihr Nuklearprogramm zu beschleunigen, stehen umgekehrt der israelische Geheimdienst Mossad und die amerikanische CIA im Verdacht, das Nuklearprogramm durch Sabotagemaßnahmen (Stuxnet- und Duqu-Virus) und die Liquidierung von iranischen Atomexperten zu sabotieren.

Bereits mehrere iranische Atomwissenschaftler wurden durch Killerkommandos liquidiert: Dr. Ardeshir Hosseinpour, ein Experte für Elektrodynamik von der Malik Ashtar Universität in Isfahan, starb im Januar 2007 durch eine Gasvergiftung. Physik-Prof. Massud Ali Mohammadi starb im Januar 2010 in Teheran durch eine ferngezündete Bombe. Physik-Prof. Madschid Schariari von der Schahid-Beheschti-Universität in Teheran wurde im November 2010 ebenfalls durch eine Bombe getötet. Außerdem wurde der Elektronikexperte Dariusch Resaei im Juli 2011 in Teheran erschossen.

Fereydoun Abbasi-Davani von der Imam-Hossein-Universität in Teheran, ein Experte für die Isotopentrennung und Lasertechnologie, wurde bei einem Anschlag im November 2010 schwer verletzt. Der Atomwissenschaftler Sharam Amiri verschwand im Juni 2009 während einer Pilgerfahrt nach Mekka, tauchte ein Jahr später in den USA wieder auf und kehrte schließlich in sein Heimatland zurück. Außerdem wurde der iranische Luftfahringenieur Reza Baruni, ein Spezialist für den Bau von Drohnen, im August 2010 durch eine Bombe getötet. Zuletzt kam der iranische Raketenexperte Brigadegeneral Hassan Tehrani Moqadam von der Imam-Hussein-Universität ums Leben, als sich am 12. November 2011 eine Explosion auf dem Militärstützpunkt in Bidganeh ereignete. Ob es sich um einen Sabotagakte oder einen bloßen Transportunfall handelte blieb zunächst unklar (Große Explosion bei Pasdaran-Stützpunkt).

Außerdem kamen fünf russische Atomexperten, die in Buschehr arbeiteten, am 20. Juni 2011 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, als ihre Tu-134 der "RusAir" in Petrozadowsk eine Landung versuchte: Banjuk Gennadi Fedorowitsch, Valeri Lyalin, Sergei Rizhow, Nikolai Trunow und Andrei Tropinow. In der Presse tauchten anschließend Spekulationen über eine Verwicklung des israelischen Geheimdienstes Mossad in den Flugzeugabsturz auf, allerdings gibt es dafür keine Beweise, zumal das Atomkraftwerk in Buschehr ein Leichtwasserreaktor ist, der ausschließlich zivilen Zwecken dient.

Der iranische Vertreter bei der IAEO, Ali Asghar Soltanieh, beschwerte sich über die Veröffentlichung von Detailinformationen über das iranische Atomprogramm durch die IAEO. Dadurch würden die iranischen Atomwissenschaftler zu "targets for physical elimination by Israel and US intelligence services".

Angesicht der israelischen Drohungen gegen einzelne Atomwissenschaftler und das ganze Nuklearprogramm sollte man meinen, dass den ausländischen Atomexperten allmählich der Boden im Iran zu heiß werden würde. Dafür gibt es bisher keine Anzeichen. Sollten allerdings bei einem amerikanisch-israelischen Angriff auf den Iran russische bzw. ex-sowjetische Atomexperten zu Tode kommen, könnte das ernsthafte Folgen haben.

Perspektiven

Nach unterschiedlichen Schätzungen benötigt die iranische Regierung mindestens noch ein oder zwei Jahre, um einen atomaren Prototyp herzustellen, und weitere Jahre, um daraus eine militärisch einsatzfähige Waffe zu entwickeln. Eine atomare Aufrüstung des Irans würde das militärpolitische Gefüge im Nahen Osten erschüttern und wäre eine Bankrotterklärung der internationalen Anti-Proliferationspolitik. Aber durch die gegebenen internationalen Konstellationen und mit dem verfügbaren politischen Instrumentarium ist die "Mullah-Bombe" möglicherweise nicht zu verhindern.

Der IAEO-Gouverneursrat vertagte nach Lektüre des aktuellen Berichtes am 17. November eine Entscheidung erst einmal um weitere sechs Monate und gab der iranischen Regierung bis zum nächsten Ratstreffen im März 2012 - wieder einmal - Zeit, alle offenen Frage zu seinem umstrittenen Atomprogramm durch hinreichende Erklärungen zufriedenstellend zu beantworten. In einer IAEO-Presseerklärung hieß es dazu:

The resolution expresses deep and increasing concern about the unresolved issues regarding the Iranian nuclear program, including those which need to be clarified to exclude the existence of possible military dimensions. It also stresses the need for Iran and the Agency to "intensify their dialogue" aiming at the urgent resolution of all outstanding substantive issues for the purpose of providing clarifications regarding those issues.

The resolution urges Iran once again to comply fully and without delay with its obligations under relevant resolutions of the UN Security Council, and to meet the requirements of the IAEA Board of Governors. Expressing continuing support for a diplomatic solution, the resolution calls on Iran to engage seriously and without preconditions in talks aimed at restoring international confidence in the exclusively peaceful nature of Iran’s nuclear program.

Durch den umstrittenen IAEO-Bericht vom 8. November wurden nicht nur die militärischen Aspekte des iranischen Atomprogramms erneut beleuchtet, sondern insbesondere die internationale Nuklearhilfe angesprochen. Dadurch gerät vor allem die russische Regierung unter internationalen Druck, obwohl sie nur teilweise für die Aktivitäten der ex-sowjetischen Atomexperten im Iran in den letzten zwanzig Jahren verantwortlich zu machen ist.

Die russische Iranpolitik steht vor einem Dilemma: Die Kreml-Regierung ist gegen einen Militärschlag, wofür es gute Gründe gibt. Sie lehnt aber auch eine Konfliktlösung auf friedlichem Wege durch einen Handelsboykott weitgehend ab, da ein Embargo ihren nationalen Wirtschaftsinteressen zuwiderliefe und man in Moskau nicht die amerikanische Destabilisierungspolitik gegenüber Teheran unterstützen will. Aber an eine Konfliktbewältigung durch bloßes Einlenken des Mullah-Regimes in Folge eines wohlwollenden Zuredens als dritte Möglichkeit können nur naive Geister glauben. Andererseits haben russische Politiker wiederholt deutlich gemacht, dass eine atomare Aufrüstung des Irans nicht in ihrem nationalen Sicherheitsinteresse wäre. So stellt sich für den zukünftigen Präsidenten Wladimir Putin die Frage: "Was tun?"

Die israelischen Regierungen haben in den letzten Jahrzehnten bereits zweimal (Suez-Krise 1956/57 und die drohende Eskalation im Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973) eine internationale Nuklearkrise provoziert, das sollten sie nicht beliebig oft wiederholen: Zeitgleich zum jüngsten israelischen Säbelrasseln gegenüber dem Iran und angesichts der Bestandsprobleme der eigenen Streitkräfte warnte der russische Generalstabschef Nikolai Makarow am 18. November 2011 in einer Rede vor der so genannten "Gesellschaftskammer": "

Unter gewissen Umständen schließe ich nicht aus, dass lokale bzw. regionale bewaffnete Konflikte in einen umfassenden Krieg "mutieren", in dessen Verlauf auch Atomwaffen zum Einsatz kommen könnten.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).