Iran: Der Aufstand wird in Verhandlungszimmern fortgesetzt

...Und in den Gefängnissen gerächt. Während die Staatselite versucht, die Krise intern zu lösen, müssen sich die Protestierer auf das Schlimmste gefasst machen. Update

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Eine für heute angekündigte Protestkundgebung wurde verschoben. Gestern fanden sich nur mehr einige hundert Demonstranten in Teheran zur angekündigten Großkundgebung ein. Gegen das massive Großaufgebot an Sicherheitskräften ist kein Kraut mehr gewachsen. Den Demonstranten drohen Prügel und Verhaftungen und ein gnadenloser Staatsanwalt als oberster Leiter der Untersuchungen, der sich in den letzten Jahren einen Namen als besonders unerbittliches und brutales Organ der Exekutive gemacht hat, der "Metzger der Presse" - Saeed Mortazavi. Zugleich verlagert sich die innenpolitische Auseinandersetzung in die Verhandlungszimmer. Die Staatselite sucht die Krise intern zu lösen. Indessen müssen sich Hunderte von festgenommen Oppositionelle vor drastischen Vergeltungsmaßnahmen fürchten, weitere Festnahmen in größerer Zahl drohen; Petitionen versuchen“gegen den Crackdown“ zu mobilisieren, mit der Hoffnung, dass eine Million Unterzeichner die „gewalttätige Niederschlagung“ des Protests verhindern können.

Der Sicherheitsapparat agiert mit zunehmender Schärfe und Tiefenwirkung. An den staatlichen Universitäten stehen in den nächsten drei Tagen die Sommereingangsprüfungen an, weshalb der Teheraner Polizeichef Hossein Sajedi-Nia, laut einem Bericht des iranischen Press-TV, „mehr als 10.000 Sicherheitskräfte“ beordert hat, um für Ruhe und „Sicherheit der Studenten“ zu sorgen.

Laut Angaben von oppositionellen Webseiten, die von der LA-Times zitiert werden, sollen 70 Universitätsprofessoren verhaftet worden sein, nachdem sie sich mit einem Oppositionsführer getroffen haben. Der britische Guardian berichtet, dass es sich um ein Treffen mit Mousavi gehandelt habe:

The professors are believed to be from a group pushing for a more liberal form of government. Their detention would signal that authorities are picking off members of Iran's elite.

Die Iran-Expertin von Amnesty Internation, Ruth Jüttner, zitierte gestern offizielle Angaben, wonach im Zusammenhang mit den Unruhen bislang 21 Menschen getötet und 450 festgenommen wurden. Die tatsächlichen Zahlen dürften ihrer Auffassung nach aber um einiges höher liegen.

Die Festgenommenen dürfen sich auf eine harte Behandlung gefasst machen. Immer wenn im Iran ein verschärftes Vorgehen gegen unliebsame, unbequeme, regierungskritische Stimmen, Zeitungen, Journalisten und Intellektuelle in Gang gesetzt wurde, war Saeed Mortazavi zur Stelle. Laut Human Rights Watch ist Mortazavi auch diesmal für die Leitung der Untersuchungen gegen die Oppostionellen zuständig. Unter den Vorwürfen, die gegenüber Mortazavi in den vergangenen Jahren laut wurden, tauchen immer wieder Folter und erzwungene Geständnisse auf, verschiedentlich soll er persönlich anwesend gewesen sein, wie ihm im Falle der vor drei Jahren in einem iranischen Gefängnis ums Leben gekommenen kanadisch-iranischen Journalistin Kazemi vorgeworfen wurde.

Ayatollah Khamenei

Die großen Schlagzeilen im Augenblick bestimmen jedoch andere Persönlichkeiten. Der oberste geistliche Führer zum Beispiel, Ayatollah Khamenei, der gestern nach Angaben iranischer Nachrichtenquellen erklärte, das er auf „der Anwendung des Gesetzes“ bestehe, dass „ganz sicher weder das System noch das Volk dem Druck zu irgendeinem Preis nachgebe“. Das ist stark gemeint und verrät in weiteren Sätzen doch Unsicherheiten, etwa wenn Khamenei Parlamentsabgeordnete zur „vollen Kooperation mit der amtierenden Regierung“ auffordert und an das ganze Parlament (Majlis) appelliert, „der Regierung bei dieser harten Reise zu helfen und nicht zu hart gegenüber den Beamten zu sein“. Das läßt auf Widersprüche und Risse schließen, wo früher keine zu sehen waren.

Sicher ist, auf die Unterstützung des Parlaments kann der amtierende Präsidenten nicht so zählen, wie er wollte. Größere Schweirigkeiten zeigten sich bereits seiner ersten Amtszeit und auch jetzt zu einem heiklen Zeitpunkt verweigerten ihm mehr als ein Drittel, 105 von 290 (später wurden die Zahlen korrigiert und das Verhältnis umgedreht: „nur 105 erschienen“), ostentativ die Gefolgschaft und blieben der Siegesfeier fern, wie die BBC heute berichtet – unter Berufung auf die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars, deren englischsprachige Webseite allerdings davon bislang nichts berichtet und vor allem Dementis streut: Nein, die Fußballspieler wurde wegen Tragens einer grünen Baderole nicht bestraft; nein, der Kommadeur der Revolutionären Garden ist nicht zurückgetreten; nein, die Zeitungen werden nicht zensiert, was die Berichterstattung über die Proteste angeht und nein, erklärt der Wächerrrat, es habe "zweifelsfrei keine größeren (!) Unregelmäßigkeiten" bei der Wahl gegeben. Die Verlängerung des Überprüfungszeitraumes sei einzig eine vertrauensbildende Maßnahme.

Machtkämpfe und Verhandlungen „in der Familie“

Auf welchen Beinen der Protest der Oppositionsführer, Mousavi und Karrubi, nun steht, wie weit er getragen wird, das wird nach dem Crackdown auf den Straßen und an den Universitäten in Verhandlungen jenseits der Straße geklärt. Zusammen mit dem verbündeten Strippenzieher im Hintergrund, Hodschatoleslam Ali Akbar Haschemi-Rafsandschani, sollen die beiden Reformer in Verhandlungen mit ausgewählten Spitzenparlamentarier über Wege verhandelt haben, den Konflikt um die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad friedlich beizulegen. „Informierte Kreise“ sprechen von einer „Lösung in der Familie“.

Mehdi Karubi

Update: Dass sich der Protest der Reformkandidaten gegen die Regierung, also Ahmadinedschads Machtfilialen, richtet und nicht gegen wesentliche Institutionen der „Familie“, macht auch die jüngste Meldung des iranischen Senders Press-TV deutlich: Ihr zufolge erklärte der Kandidat Karubi heute, dass er seine Klage gegen die mutmaßliche Manipulation der Wahlen weiter auf gesetzlichem Wege verfolgen werde, dass dies aber nicht gegen den Wächterrat gerichtet sei, sondern dass sich seine Einwände gegen das Innenministerium richten, das „für die kürzlichen Spannungen im Land verantwortlich“ sei, während dem Wächerrat kein Fehler angelastet werden könnte. Das Innenministerium steht unter der Kontrolle des Präsidenten Ahmadinedschad.

Dass Mousavi mit Karoubi, Khatami, Rafsandschani und dem berühmten Großayatollah Montaseri sehr viel mehr prominente Männer aus dem Klerus auf seiner Seite hat, verleiht den Oppositionellen im öffentlichen Machtkampf gegen das militante nationalistische Lager Ahmadinedschads sicher ein Gewicht. Ob es politisch ausreichend ist, ist dagegen fraglich. Mousavi beklagt, dass sein Zugang zu anderen völlig abgeschnitten sei. Auf ihn würde "großer Druck" ausgeübt, damit er seine Beschwerde gegen das Wahlergebnis zurückziehe.

Die Macht, die sich hier auf der amtliche Seite zeigt, ist groß. Das zeigte sich auch in der gestrigen Meldung von der Aushebung seines „Hauptquartiers“, indem folgerichtig Spuren gefunden wurden, die die ausländische Unterstützung beweisen.

Dagegen stellt sich heraus, dass die Macht der Kleriker unter Umständen im heutigen Iran gar nicht so groß ist, wie es die Rede vom „Mullah-Regime“ vorausgesetzt hat. Angesichts der mächtigen Unterstützer Ahmadinedschads im konservativen Lager der Basaris, Basidsch und Revolutionären Garden eigentlich nicht mehr die Rede sein. Wirtschaftlich und politisch, vor allem was die Exekutive angeht, spielen allem Anschein nach eher die Beziehungen Ahmadinedschads die wichtigere erste Geige. Update: Der amtierende Präsident soll nach Expertenmeinung wichtige Schaltzentralen in Ministerien, beim Militär und in den Medien mit loylen Anhängern besetzt haben – insgesamt 10.000 Regierungsposten „in der Bürokratie“ sollen im Laufe seiner ersten Amtszeit durch treue Gefolgsleute ersetzt worden sein.

So sieht es knapp zwei Wochen nach Beginn der Straßenproteste gegen willkürliche Machtausübung in Iran erstmal danach aus, als ob die Elite, die sich in mehrere Machtfilialen teilt, die Sache unter sich ausmachen wird. Und sieht ganz so aus, als ob die vielen, die aus Gründen der Gerechtigkeit auf die Straße gingen, den harten Preis für die Machtkämpfe zahlen müssen – mit ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und ihrer Zukunft.