Iran: Nach dem Wahlsieg der Reformer

Seite 3: Perspektiven mit ambivalenter Aussicht

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Insgesamt ist der Ausgang der Wahlen ambivalent zu bewerten: Trotz der beschriebenen Wahlerfolge der Reformer ändert sich an der Machtkonstellation innerhalb des Regimes kaum etwas, solange Khamenei lebt. Das Trio Rafsandschani, Khatami und Rohani wird heftig von Ayatollah Khamenei, ohne dass er öffentlich ohne Namen nennt, attackiert. Die Entourage greift diese aber direkt verbal an.

Über Khatami verhängte die Justiz eine Nachrichtensperre im Februar 2015. Er durfte nicht einmal an der Hochzeitsfeier einer Tochter der unter Arrest stehenden Oppositionsführer Mir-Hussein Mousavi und Zahra Rahnaward teilnehmen. Rafsandschani, der indirekt, aber deutlich Khamenei wegen seiner Unterstützung des iranischen Raketentests kritisiert hatte ("Die Welt der Zukunft ist die des Dialogs, nicht die der Raketen"), wurde ermahnt:

Wer so etwas aus Ignoranz sagt, ist ignorant. Wer das aber wissentlich sagt, ist ein Verräter.

Auch Präsident Rohani, der in seiner Nouruz-Ansprache von "Barjam 2" (Persische Abkürzung für Nukleardeal "Joint Plan of Action") gesprochen hatte, womit er nun nach dem Nuklearabkommen die innenpolitischen und ökonomischen Reformen meinte, bekam sein Fett ab. Khamenei wies "Barjam 2" als Verschwörung des "Doschman" (Feind, USA) zurück.

Die Spannung innerhalb des Regimes nimmt zu. Während Khamenei sich auf ein gigantisches Militär- und Finanzpotential sowie auch seine Befehlsgewalt stützen kann, muss die Gegenseite sehr behutsam und vorsichtig verfahren. Etwa 40 bis 50% der gesamten Wirtschaft in Iran wird durch die Stiftungen, Institutionen und Großunternehmern von Revolutionswächtern kontrolliert, welche keine Steuern an die Regierung abführen.

Auf Rafsandschanis persönlich-politischem Wandel sowie seinem Bündnis mit Khatami und Rohani, so erfreulich und wichtig diese Entwicklungen auch sein mögen, können sich die Iraner nicht ausruhen. Die mächtigsten Kräfte im politischen System Irans bleiben nach wie vor Ayatollah Khamenei und die Revolutionswächter. Zugleich bedeutet das Wahlergebnis allerdings einen deutlichen Gesichtsverlust Khameneis; insofern ist die Botschaft der Wähler dennoch als grandioser Sieg der Reformer zu bewerten.

Der Hass auf zahlreiche korrupte Vetternwirtschaftler und Hintermänner der Unterdrückung, allen voran Khamenei selbst, sowie Rohanis Erfolg in der Außenpolitik haben die Iraner an die Wahlurne gelockt. Sie trotzten den Manipulationen im Vorfeld in Form von Zurückweisung von Kandidaten und haben den Spieß umgedreht.

Die Islamische Republik ist noch lange nicht über den Berg. Die Folgen des Nuklearabkommens und der Aufhebung der offiziellen Sanktionen machen sich noch nicht in der Realität bemerkbar. Irans Wirtschaft hat sich aufgrund des drastisch sinkenden Erdölpreises und einer weiterhin bestehenden grassierenden Korruption keineswegs erholt. Ex-Präsident Ahmadinedschad steht in den Startlöchern für die nächsten Präsidentschaftswahlen in 2017.

Der Populist verspricht den ärmeren Bevölkerungsgruppen mit einem monatlichen Cash-Geld von 250.000 Toman, etwa 30% des Mindesteinkommens eines Arbeiters, bessere Zeiten. Im Jahr 2013 gab der Leiter des Statistischen Centers des Iran Adel Azar an, dass 40 Millionen Iraner unter der Armutsgrenze (30 Mio. unter der relativen und 10 Mio. unter der absoluten) leben.

Mit den Wahlen haben die Iraner ihren Wunsch nach Veränderungen bekräftigt. Darauf aufbauend müssen zivilgesellschaftliche Kräfte Druck auf Rohani ausüben, seine innenpolitischen Versprechungen einzulösen und ihn dazu zwingen, dem Druck des Establishments nicht nachzugeben.

Den Hang dazu hat der 67jährige Präsident. Er ist kein eingefleischter Reformist wie Khatami, sondern eher ein Pragmatiker. Die Menschenrechtslage im Land gehört auch zur Achillesferse des Regimes. Mit Bürger- und Menschenrechten sowie Frauen- und Minderheitenrechten (laut "Global Gender Gap Index 2015" vom Weltwirtschaftsforum nimmt der Iran Platz 141 von 145 Staaten ein) wie auch der Pressefreiheit (laut der Rangliste der Pressefreiheit 2015 von Reporter ohne Grenzen belegt der Iran unter 180 Staaten Platz 173) ist es teilweise schlechter bestellt als zu Zeiten Ahmadinedschads. Rohanis Informationsministerium und das Ministerium für Kultur und religiöse Führung sind stark in die Unterdrückung der Zivilgesellschaft involviert.

Das Spiel auf dem Feld von Wahlen und Gremien ist nicht entscheidend, wenn man die Kräfte, Zünfte und Assoziationen der Zivilgesellschaft als Druckmittel von unten nicht aufbaut und mobilisiert. Die "Grüne Bewegung" von 2009 war auch deshalb gescheitert, weil sie eine Bewegung der Mitte und Intelligenzija war. Bislang ist man Zeuge etlicher friedlicher Proteste gewesen, der potenziell starken Lehrerzunft und der Arbeiterschaft, insbesondere der Minenarbeiter, die ob der sehr schlechten materiellen Lage laut wurden.

Das zivilgesellschaftliche Potenzial ist als effektives Druckmittel durchaus vorhanden. Es bedarf lediglich der Gestaltung, der Organisation und Möglichkeiten zur Vernetzung. Das haben die Reformer (auch aus den Reihen der Zivilgesellschaft) bisher ignoriert. Weder Khatami noch Rafsandschani noch andere prominente, jedoch weniger bekannte Reformer haben bislang solche Proteste unterstützt oder sich für ihre Belange eingesetzt. Diese Strategie muss nun überdacht werden.