"Islamischer Staat" in Syrien durch US-Luftangriffe nicht geschwächt
Der IS konnte seine Kontrolle in Syrien ausbauen, während im Irak der Vormarsch gestoppt wurde
Seit September führen die USA einen Luftkrieg gegen den "Islamischen Staat" in Syrien, seit August bereits im Irak. Während im Irak der Vormarsch des IS mit der Hilfe der schiitischen, vom Iran unterstützten Milizen, der kurdischen Milizen, die Waffen und Ausbildung auch seitens Deutschland erhalten, und der irakischen Streitkräfte gestoppt und mancherorts der IS zurückgedrängt werden konnte, haben die IS-Kämpfer in Syrien hingegen die von ihnen kontrollierten Gebiete trotz der Angriffe aus der Luft durch Kampfflugzeuge und Drohnen vergrößern können. Jetzt kontrolliert der IS mehr als ein Drittel Syriens. Zwar hatten das Weiße Haus und das Pentagon immer erklärt, dass der Krieg sich über Jahre hinziehen könne und dass ohne Bodentruppen der IS nicht ganz zu besiegen sei, trotzdem scheint die Bilanz schlecht auszusehen.
Mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar hat das Pentagon bereits für den Luftkrieg ausgegeben, nach offiziellen Angaben, denen man nicht unbedingt trauen muss, kostet der Kampf täglich 8,2 Millionen US-Dollar (Bilanz nach fünf Monaten Luftkrieg im Irak und in Syrien). Ein Dilemma ist, dass in Syrien nicht nur viele Gruppen um territorialen Einfluss kämpfen, es praktisch keine nichtislamistischen Kämpfer mehr gibt, sondern die US-Regierung mit dem völkerrechtswidrigen Luftkrieg gleichzeitig das Assad-Regime unterstützt, das mindestens ebenso grausam und blutig gegen seine Gegner vorgeht und große Teile des Landes bereits zerstört hat. Die missliche Lage entstand auch deshalb, weil das Weiße Haus erst einmal den Konflikt vernachlässigt und sich auf die antirussische Strategie konzentriert hatte, die sich mit dem Sturz der Regierung in der Ukraine durch die Maidan-Bewegung und die Annexion der Krim noch weiter zugespitzt hatte. Ohne Russland mit seinen Beziehungen zum Iran und Syrien wird es in der Region aber keine Lösung geben, zudem ist seit dem Konflikt mit Russland der UN-Sicherheitsrat blockiert.
Moskau hat zwar zu einer Syrienkonferenz Ende Januar eingeladen, an der Präsident Assad und Oppositionsgruppen teilnehmen sollen. Der russische Außenminister Lawrow hofft, dass Vertreter der Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte teilnehmen werden. Die Nationale Koalition lehnt aber eine Beteiligung von Assad an einem möglichen Friedensprozess ab, zudem hat weder sie selbst noch die Freie Syrische Armee in Syrien großen Einfluss. Auch andere Oppositionsgruppen wollen nicht kommen. Vor allem die Türkei würde gerne zur Sicherung des eigenen Einflusses Flugsicherheitszonen einrichten, findet aber dafür keine Unterstützung. Die Vereinten Nationen versuchen, einen Waffenstillstand für die Stadt Aleppo zu erreichen und dort zugunsten der Menschen den Konflikt einzufrieren. Aber auch dieser Plan kommt nicht voran, obgleich der IS Anfang Januar aus Aleppo vertrieben worden sein soll.
Also wird es weiterhin bei der Strategie bleiben, den Luftkrieg fortzusetzen. Die Frage aber wird sein, ob Syrien mehr ins Zentrum rücken wird, da sich im Gegensatz zum Irak die Situation weiter verschlechtert. Dem Wall Street Journal sagte ein hoher Mitarbeiter des Pentagon, dass der IS sich in Syrien ausbreiten konnte: "Ich würde Syrien keinen sicheren Hafen für IS nennen, aber es ist ein Platz, an dem es für sie einfacher als im Irak ist, sich zu organisieren, zu planen und Unterschlupf zu finden." Ein Pentagon-Mitarbeiter bestätigte The Daily Beast gegenüber: "Ja, sie haben Boden gewonnen. Wir haben aber ihr Momentum gestoppt."
Leutnant Patrick Ryder, ein Sprecher des Centcom, spielt erst einmal die Bedeutung herunter. Die Luftschläge hätten sowieso nicht den Zweck gehabt zu verhindern, dass der IS in Syrien größere Teile einnehmen kann. Man habe zwar verstärkt in Kobane interveniert, ansonsten sei es dem Militär primär gewesen, die Macht des IS im Irak zu schwächen. Das habe man auch erreicht, nachdem sich IS-Kämpfer durch die Luftangriffe in Sindschar nach Syrien zurückgezogen haben, aber dort auch nicht ganz sicher seien. Letztlich wurde nur erreicht, dass Kobane noch nicht vom IS erobert wurde, aber vertrieben wurde er selbst noch nicht, wo die US-Luftwaffe den Kurden an Boden hilft.
Ein anderer Pentagon-Mitarbeiter erklärte, in Syrien stünde im Vordergrund, gemäßigte Kämpfer als Bodentruppen auszubilden. Selbst wenn der IS durch den Luftkrieg sehr geschwächt würde, so wäre ohne Bodentruppen, die Territorien halten und verteidigen können, nichts gewonnen. Schließlich würden dann andere islamistische Gruppen oder syrische Militärs den Raum einnehmen. Schon jetzt wurde das Assad-Regime gestärkt, während sich weitere islamistische Gruppen als Reaktion auf die US-Angriffe dem IS angeschlossen haben. Man könnte sagen, es ist nichts gut in Syrien.
Aus US-Sicht hat der IS, der in Syrien und im Irak agiert, eine ähnliche Situation wie die Taliban in Afghanistan geschaffen, die im Grenzgebiet zu und in Pakistan ein Rückzugsgebiet haben. Hier wurden sie, geduldet von der pakistanischen Regierung, ebenfalls aus der Luft mit Drohnen gejagt und getötet, aber auch die Taliban wurden nicht besiegt, sondern sind in den letzten Jahren wieder stärker geworden. Mouaz Moustafa, der Berater der Koalition für ein demokratisches Syrien, kritisiert die US-Strategie, weil sie, abgesehen von den Kurden in Kobane, nicht mit den gemäßigten Kämpfern wie denen der Freien Syrischen Armee koordiniert sei. Diese könnten aus den Angriffen keinen Gewinn ziehen, weil vornehmlich Ziele im IS-Gebiet bombardiert werden, aber nicht solche an den Frontlinien. Moustafa kritisiert, dass die Angriffe wie die Drohnenangriffe in Pakistan vornehmlich auf die IS-Führung ausgerichtet sei, während die Kämpfer an der Front stärker würden.
Es ist sowieso die Frage, welchen Zweck die US-Kampagne haben soll. Die gemäßigte syrische Opposition ist schwach und in sich zerstritten, das Assad-Regime scheint sich, auch durch die US-Luftangriffe, halten zu können. Selbst wenn wie auch immer "gemäßigte" Kämpfer Territorium in eine oder zwei Jahren einnehmen und halten könnten, ist ungeklärt, wie sie Syrien politisch und in welchem Sinn stabilisieren könnten. Stabil würde Syrien womöglich, wenn das Land aufgeteilt würde. Ähnliches ließe sich für den Irak sagen. Die Anwesenheit des IS führt zu einer gewissen Einheit zwischen Schiiten, Kurden und gemäßigten Sunniten, fällt der Feind weg, brechen vermutlich die alten Separationsbestrebungen wieder auf - und damit auch die Kämpfe um die Ölressourcen.
Immer wieder zirkulieren Gerüchte, dass der IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi gestorben sei. Angeblich sei er bei einem Luftangriff am Donnerstag südöstlich von Mosul verwundet worden. Schon im November wurde gemutmaßt, er sei bei einem Luftangriff getötet oder verletzt worden (IS-Führer soll bei US-Luftangriff getötet worden sein). Andere Gerüchte sagen, er würde leben und sei in ein Krankenhaus in Syrien gebracht worden. Tatsächlich hat sich der "Kalif" rar gemacht und scheint sich in der Öffentlichkeit nach seinem Auftritt in Mosul kaum mehr zu zeigen.