Islamisten-Aufmarsch in Hamburg: Nahostkonflikt als Chance für ein neues Kalifat?
In Hamburg warben Islamisten für ein Kalifat als "Lösung". Ist diese Gefahr real? Das sagt ein führender Anti-IS-Kämpfer in Syrien.
Nach der gewaltsamen Auflösung des Berliner Palästina-Camps durch die Polizei unter Verweis auf Straftaten wie Volksverhetzung war es erstaunlich, was wenige Tage später in Hamburg stattfinden konnte: Eine islamistische Demonstration, auf der offen für die Errichtung eines Kalifats als "Lösung" geworben wurde.
Islamistische Propaganda: Der Traum vom neuen Kalifat
Mehr als 1.000 Personen nahmen am Samstag nach Medienberichten daran teil. Auf zahlreichen Bildern und Videos sind nur Männer zu sehen – auf manchen aber auch ein Frauenblock, einige Teilnehmerinnen bis auf einen Sehschlitz vollverschleiert. Eine solche Geschlechtertrennung hatte es auch auf einer ähnlichen Demonstration im November in Essen gegeben.
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Auch damals stellte sich die Frage, warum der Islamisten-Aufmarsch ungehindert stattfinden konnte, während in andere, von säkularen Gruppen organisierte Versammlungen und Mahnwachen zur Palästina-Thematik verboten waren.
Werbung für das Kalifat in der Opferrolle
In Hamburg hatte die Gruppe "Muslim Interaktiv" zu dem Protest am Samstag aufgerufen. Die Organisatoren gaben als Grund an, Politik und Medien würden sich seit Beginn des jüngsten Israel-Gaza-Krieges verstärkt islamfeindlich äußern und Muslime diffamieren.
Allerdings waren dann mehrere Schilder mit der Parole "Das Kalifat ist die Lösung" auf der Demo zu sehen – einige Teilnehmer trugen auch dunkle Sweatshirts mit dem Schriftzug "Kalifat".
Muslim Interaktiv: Der Verfassungsschutz war im Bilde
Hinzu kamen Fahnen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, der Schahada, in weißen Schriftzeichen auf schwarzem Grund – und immer wieder "Allahu Akbar"-Rufe.
"Muslim Interaktiv" ist beim Hamburger Verfassungsschutz kein unbeschriebenes Blatt – die Gruppe gilt als "gesichert extremistische Bestrebung" und steht nach Einschätzung der Behörde ideologisch der islamistischen Hizb ut-Tahrir ("Partei der Befreiung") nahe, die ein Kalifat auf Basis der Scharia errichten will. Für Hizb ut-Tahrir selbst gilt deshalb in Deutschland seit 2003 ein Betätigungsverbot.
Anders als im Fall des Palästina-Camps im Berliner Regierungsviertel, zu dem auch Menschen mit jüdischen Hintergrund kamen, die die Bombardierung Gazas durch israelisches Militär ablehnen, während einzelnen Camp-Teilnehmern vorgeworfen wird, auf Social-Media-Kanälen islamistischen Terror gegen Jüdinnen und Juden verherrlicht zu haben, war im Fall der Demonstration in Hamburg die gesamte Ausrichtung erkennbar islamistisch.
Die Rückkehr des Kalifats: Eine reale Bedrohung?
Der Traum der Organisatoren von einem Kalifat könnte zumindest in Gebieten, die vor rund zehn Jahren von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) erobert und kontrolliert wurden, wieder realistisch werden. Davor warnt ein hochrangiger Anti-IS-Kämpfer aus Nordostsyrien.
Mazlum Abdi, Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), sagte kürzlich in einem Interview, der Gaza-Krieg stärke den IS und lenke die US-geführte internationale Koalition davon ab, sich auf den Kampf gegen die Terrormiliz zu konzentrieren.
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufleben des IS, das ihn zu seiner früheren Stärke zurückführen würde, seien nach wie vor gegeben, warnte Abdi laut einem Bericht der kurdischen Nachrichtenagentur ANF. Die Gruppierung verfüge weiterhin über ein finanzielles Netzwerk und Unterstützung in der Region.
Anti-IS-Kämpfer kritisiert Mangel an Unterstützung
"Wir sollten viel mehr finanzielle Unterstützung von unseren Verbündeten erhalten", betonte er. "Das Gegenteil ist der Fall. Die Mittel schrumpfen. Die Entschlossenheit der US-geführten Koalition, den IS zu besiegen, ist geschwächt."
Der Generalkommandant der QSD wies auf Defizite in der Zusammenarbeit der an der Koalition beteiligten Regierungen mit der Demokratischen Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyriens (DAANES) hin.
Ein Nato-Staat als Förderer von Islamisten
Der IS profitiere außerdem von den Angriffen des Nato-Staats Türkei auf die Autonomieregion. Türkisches Militär greife immer wieder QSD-Posten an und habe gezielt Kämpferinnen und Kämpfer getötet, die eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den IS gespielt hätten, betonte Abdi.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sowie seine Minister und Militärs berufen sich bei den Attacken im Nachbarland darauf, dass es sich um Schwesterorganisationen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) handle, der sie Terrorismus vorwerfen.
Unterdessen pflegt Erdogan aber regen Kontakt zur palästinensischen Hamas, die er selbst nach deren Massakern vom 7. Oktober im israelischen Grenzgebiet zu Gaza als "Befreiungsorganisation" bezeichnete. Erst vor wenigen Tagen empfing Erdogan den Auslandschef des politischen Büros der Hamas, Ismail Haniyeh, in Istanbul.