Israel vor Bodenoffensive in Gaza: Wie weit reicht Gegenwehr?

Seite 2: Das "richtige" Maß und das Notwendigkeitsprinzip

Beschränkt wird das Selbstverteidigungsrecht zunächst von der militärischen Notwendigkeit von Verteidigungshandlungen. So darf der angegriffene Staat in den Verteidigungsmaßnahmen grundsätzlich "nur so weit gehen, wie das zur Abwehr des Angriffs notwendig ist", erläuterte Matthias Hartwig, Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg dazu.

Wird daher ein Staat bei seiner Selbstverteidigung von Drittstaaten unterstützt, kann das zum Erlöschen des Selbstverteidigungsrechts führen, wenn aufgrund der Unterstützung ein Ende des Angriffs zu erwarten ist.

Die Verteidigungshandlungen müssen außerdem ausschließlich und unabhängig anderer etwaiger Motive auf die Beseitigung eines schweren Schadens für die Bevölkerung des angegriffenen Staates abzielen. Militärische Verteidigungshandlungen müssen zudem das letztmögliche Verteidigungsmittel sein.

Das bedeutet, dass der sich verteidigende Staat sichergehen muss, dass ihm keine oder zumindest keine Erfolg versprechenden alternativen Maßnahmen zur Verteidigung zur Verfügung stehen.

Jedoch kann der angegriffene Staat seine Maßnahmen durchaus so intensiv und nachhaltig auswählen, dass er auch noch für einen "längeren Zeitraum" vom Ausbleiben eines Angriffs der Gegenseite ausgehen kann, so Hartwig.

Dabei dürfen die eingesetzten Verteidigungsmittel keine solche Intensität haben, dass absehbar ist, dass die Folgen ihres Einsatzes letztlich schlimmer sind als ein Nichthandeln des angegriffenen Staates.

Die Abwägung zwischen nachhaltig wirksamen und überschießenden Maßnahmen dürfte in vielen Fällen eine Gratwanderung sein – so auch im Falle der Hamas, die die Angriffe auf Israel mit erschreckender Grausamkeit und Brutalität verübte.

Grenzen durch das humanitäre Völkerrecht und ius in bello

Das humanitäre Völkerrecht stellt für den Fall eines bewaffneten Konflikts für alle Beteiligten gleiche Regeln auf. Sowohl Israel als auch Palästina haben deshalb diese Grundsätze für die Kriegsführung zu befolgen. Ergänzend zu den Menschenrechten gilt das humanitäre Völkerrecht vor allem in Kriegszeiten.

Israel hat seinerseits die Genfer Konventionen von 1949 unterzeichnet, von denen die erste bereits im Jahr 1864 den Grundstein für das heutige humanitäre Völkerrecht legte. Das vierte Genfer Abkommen ist ausschließlich auf den Schutz von Zivilpersonen fokussiert.

Vorrangig statuiert es den Grundsatz, dass die Mittel zur Bekämpfung eines Feindes niemals unbegrenzt sind – und ein Mindestmaß an Menschlichkeit gewahrt werden muss.

Maßnahmen, bei denen die Opferzahl völlig unübersehbar ist und die unterschiedslos Beteiligte und Unbeteiligte treffen (wie etwa Großflächenbombardements) sind verboten. Gleichermaßen verboten sind Angriffe auf jedwede nicht-militärischen Ziele.

Aber auch vorsätzliche Tötungen, Folter und Verschleppung sind klare Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Damit hat sich jedenfalls die terroristische Hamas, etwa durch den Angriff auf das israelische Musikfestival, solcher Verstöße schuldig gemacht.

Angriffe werden immer von dem Zeitpunkt aus bewertet, in denen sie stattfinden. Die Entscheidung des mit einem Angriff konfrontierten Kommandeurs wird also anhand der Informationen beurteilt, die ihm zum Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung standen.

Stellt sich im Nachhinein heraus, dass einem Angriff eine Vielzahl von Zivilisten zum Opfer fiel, muss das für die Schlussfolgerung, dass der Angriff sich noch im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts bewegte, nicht hinderlich sein.

Denn dass bei den Angriffen auf militärische Ziele Zivilisten zu Schaden kommen, ist laut Völkerrecht zulässig – sofern die Zahl der Verletzten hierbei nicht drastisch "außer Verhältnis zu dem erwarteten militärischen Vorteil steht", so Wolff Heintschel von Heinegg, Professor für Öffentliches Recht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Im Vordergrund steht also die Abwägung, ob bei dem Einsatz der gewählten Verteidigungsmaßnahmen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Ein für die Verhältnismäßigkeitsprüfung wichtiges Stichwort ist der Exzess – Verteidigungshandlungen dürfen niemals exzessiv sein.

Anzeichen für einen solchen Exzess sieht aber aktuell möglicherweise der UN-Hochkommissar für Menschenrechte in der Blockade des Gaza-Streifens durch Israel. So ließe sich zumindest seine einleitend zitierte Aussage deuten.

Keine juristische Einigkeit besteht bei bestimmten Einzelfragen des Kriegsrechts. Wird etwa ein Hochhaus attackiert, in dem sich sowohl militärische Einrichtungen als auch Büros international tätiger Journalisten befinden, gehen die Meinungen darüber, ob es sich um ein "legitimes" Angriffsziel handelt, auseinander.

Zum Teil wird die Zulässigkeit eines solchen Angriffs bejaht mit dem Grund, dass es sich ja zumindest auch um militärische Ziele handelte.

Ein Angriff auf ein Hochhaus im Gaza-Streifen im Jahr 2021 wurde mit dieser Argumentation von der israelischen Regierung verteidigt, während er von UN-Generalsekretär António Guterres mit dem Hinweis kritisiert wurde, ein Angriff auf zivile und Medienstrukturen stelle einen Völkerrechtsverstoß dar.

Zulässig hingegen wäre wohl ein Angriff auf ein Waffendepot, sofern damit ein gewichtiger militärischer Vorteil einherginge.

Nach allen Ansichten aber müssen Befehlshaber alles ihnen Mögliche tun, um zivile Opfer zu vermeiden – auch wenn sie zu dem Schluss kommen, es handele sich bei dem beabsichtigten um ein legitimes militärisches Ziel. Dem soll beispielsweise dadurch Genüge getan sein, dass die Bewohner von attackierten Gebäuden vorab gewarnt und aufgefordert werden, die Gebäude zu verlassen.

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