Ist Deutschland im Krieg angekommen?
Terroristen fordern in zwei Videobotschaften nach dem Bundestagsbeschluss über die Entsendung der Tornados den Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan
Von den Entführern der beiden deutschen Geiseln im Irak und ihren medialen Mithelfern bei der Globalen Islamischen Medienfront (GIMF), die besonders rührig auf ihren deutschen Webseiten sind, war vermutlich der Termin der Veröffentlichung der Videos und der darin enthaltenen Drohungen schon lange beschlossen gewesen. Kurz nachdem der Bundestag mehrheitlich, wenn auch mit starker Opposition, für die Entsendung der Tornados nach Afghanistan stimmte, wurde das Video aus dem Irak mit den beiden Deutschen im Internet gepostet und kündigte GIMF eine "Nachricht an die Regierungen von Deutschland und Österreich" an.
Die 61-jährige deutsche Frau, die mit einem irakischen Professor verheiratet ist und schon lange im Irak lebt, ist Anfang Februar mit ihrem 20-jährigen Sohn entführt worden. Das Video präsentierte die deutschen Pässe der beiden und ließ die verzweifelte Frau an Bundeskanzlerin Merkel appellieren: "Wir sind doch auch Deutsche." Die Geiselnehmer würden zuerst ihren Sohn und dann sie umbringen, wenn man ihnen nicht helfe. Einer der vermummten Geiselnehmer, die sich in der üblichen Pose darstellen und einer bislang unbekannten Gruppe mit dem Namen "Brigade der Pfeile der Rechtschaffenheit" angehören, liest anschließend eine Erklärung vor und fordert innerhalb von 10 Tagen den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Sonst werde man die Geiseln töten.
Ob die Entführer einer politisch orientierten Terrorgruppe oder einer kriminellen Organisation angehören, die politische Forderungen nur benutzt, um das Lösegeld in die Höhe zu treiben, ist bislang unbekannt. Die Ende 2005 entführte Susanne Osthoff und die im Frühjahr 2006 entführten Ingenieure Thomas Nitzschke und René Bräunlich hatten wohl Glück und wurden nach – allerdings offiziell nicht bestätigter - Zahlung von hohem Lösegeld wieder freigelassen. Auch politisch motivierte Entführer suchen natürlich nach Geld, um ihre Organisation, weitere Anschläge und Medienaktivitäten zu finanzieren, zudem sind im Irak die vielen bewaffneten Gruppen mit dem organisierten Verbrechen verflochten.
Unabhängig davon, ob es der Gruppe nun um Lösegeld oder um den Abzug der Truppen geht, so ist nun Deutschland mit der Forderung erstmals mitten in dem Krieg gelandet, in den man sich Stück für Stück durch die Entsendung von Truppen nach Afghanistan, die Ausweitung des Einsatzes im Land, die undurchsichtigen Aktionen der KSK und nun schließlich der Aufklärungstornados begeben hat. Die Gegner, also im Land die Taliban, al-Qaida-Kämpfer und mitmischende Warlords, vollziehen die diffizilen Unterscheidungen nicht nach, mit denen die deutsche Regierung die Mitwirkung am Krieg zu kaschieren oder abzumildern suchte. Ihnen dürfte egal sein, ob die deutschen Truppen unter Nato-Kommando oder im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) eingesetzt werden, da es sich aus ihrer Sicht um eine Koalition von Feinden handelt. Mit den Tornados, die mit ihren Aufklärungsmöglichkeiten weniger harmlos sind, als die Regierung zugeben möchte, auch wenn sie nicht direkt in den Kampf eingreifen, verschwimmt der Unterschied wohl sowieso.
Deutschland ist nicht erpressbar, erklärte CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden. Ganz so sicher wird man sich da nicht sein dürfen. Zwar werden sich deutsche Regierungsmitglieder darauf verlassen können, dass die Solidarität mit den Geiseln vermutlich nicht allzuhoch sein wird. Kurnaz, al-Masri und auch Osthoff haben das erleben können. Bei ihnen hieß es, dass sie sich zumindest verdächtig gemacht hatten, als sie nach Pakistan bzw. Mazedonien reisten, Osthoff habe sich selbst in Gefahr begeben. Die jetzt entführte deutsche Frau lebte schon lange im Irak. Schon einen Monat befindet sie sich mit ihrem Sohn in den Händen der Entführer, bislang war die Reaktion in Deutschland gering.
Möglicherweise wollten die Entführer nun einfach noch einmal auf ihre Opfer zur Wertsteigerung aufmerksam machen. Das dürften sie nun geschafft haben, da sie deren Überleben mit dem Rückzug der Truppen aus Afghanistan verbunden haben. Die Terroristen haben in einem Punkt wohl auch Recht. Man kann nicht zusammen und unter dem Titel eines globalen Kriegs gegen den Terror in Afghanistan gegen islamistische Extremisten kämpfen, die neben dem Ziel, wieder die Macht im Land übernehmen zu können, auch einen sunnitischen Gottesstaat anstreben, und gleichzeitig außen vor bleiben wollen. Eingebettet ist der regionale Kampf von einer panislamischen Ideologie, die die Internationalisierung des islamischen Terrorismus gefördert hat und gleichzeitig ermöglicht, den "Befreiungskampf" gegen die nationalen Regierungen und die westlichen Länder zu führen. Daher sind Afghanistan, Irak, Tschetschenien, Kaschmir, Indonesien, Somalia etc. nur Fronten in einem globalen Krieg, der auch Terroranschläge in den westlichen Ländern einschließt. "Wir sind eine Nation", heißt es im Video, "mit einer Religion, unser Blut hat denselben Wert."
Zur Herstellung der Stabilität im Süden und im Osten des Landes muss ISAF - nicht im völkerrechtlichen, aber im militärischen Sinne - Krieg führen. Es geht um asymmetrische Kriegsführung. Dazu werden die Tornados einen erforderlichen Beitrag leisten. Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne die Operationen ISAF und OEF strikt voneinander trennen. Beide Operationen werden immer weiter miteinander verschränkt. Es gelten dieselben Einsatzregeln. Deutschland hat - auch bereits unter Rot-Grün - beide Operationen mandatiert. Die Erfolge von OEF und ISAF sind eng miteinander verknüpft.
Eckart von Klaeden am 9.3. im Bundestag
Auch wenn die GIMF vermutlich nur Huckepack mit den Terroristengruppen fährt und sich als deren Lautsprecher andient, so ist es natürlich wirksamer, wenn nun die Botschaften und Drohungen auch übersetzt auf deutsch und über alle möglichen Kanäle und Formate die deutsche Öffentlichkeit erreichen. Die GIMF hat nach dem Entführervideo ein Video nachgeschoben, das von der "Stimme des Kalifats" stammen soll, aber wohl eine Eigenproduktion ist. Ob die Entführer mit der GIMF in Kontakt stehen oder das Video unabhängig davon entstanden ist und jetzt nur schnell nachgeschoben wurde, um die Medienaufmerksamkeit zu nutzen, ist nicht bekannt. Seit Freitagabend habe man Kenntnis von dem Video gehabt, heißt es aus Österreich.
In dem Video wird versucht, die Interessen von Deutschland und der US-Regierung zu trennen. Was habe, so heißt es, Deutschland – und auch Österreich – davon, mit eigenen Soldaten "die Lügen von Bush und seiner Bande zu verteidigen?" Die deutsche Regierung wird bezichtigt, die Menschen angelogen zu haben, da sie den Truppeneinsatz als Beitrag zum Wiederaufbau bezeichnet. Und schließlich wird gewarnt, dass die Mudschaheddin auch in Deutschland oder Österreich Anschläge verüben könnten, während die deutschen Soldaten nicht deswegen geschützt seien, weil sie bislang nur im Norden operieren. So findet man auf GIMF auch folgende Begründung dafür, warum Anschläge auf Deutsche gerechtfertig seien:
Die Westlichen sind JETZT gegen diesen Krieg, nachdem Sie selbst davon kosten durften.
Ich kann dir tausende Statistiken bringen, die genau das Gegenteil sagten, und das vor dem Krieg gegen Afganistan und Irak.
So ist der Westen: er versteht nur die Sprache der Gewalt.
Außerdem, wenn sie wirklich gegen diese Kreuzzüge sind, warum sorgen sie dann nicht dafür, dass ihre Regierungen ihre Soldaten abziehen???
Ich frage mich auch, wer diese Regierungen gewählt hat? Waren das nicht die Völker?
Diese Regierungen sind nach dem absurden demokratischen System, die Vertrerter des Volkes, das heißt: Sie sprechen für das Volk, und handeln im Namen des Volkes. Und wenn das Volk nicht einverstanden ist, dann ist es in der Lage, diese Regierungen zu stürtzen.
… Warum ziehen die Deutschen ihre Truppen nicht aus Afghanistan ab?
Die Antwort ist: Weil das Volk das nicht will.
Die Ermordung des deutschen Entwicklungshelfers könnte ein Hinweis darauf sein, dass die deutsche Regierung in Zukunft mit mehr Toten rechnen muss. Die Drohung, dass nun auch in Deutschland Anschläge ausgeführt werden könnten, wenn die deutschen Soldaten nicht zurückgeholt werden, ist, wie man so schön sagt, bislang "abstrakt". Sie wird aber sicherlich dazu dienen, die Überwachung weiter zu verschärfen. Aber sie wird die Regierung auch nötigen, sich deutlicher für den Kriegseinsatz auszusprechen und die Verantwortung für die Folgen zu übernehmen, während die Kriegsgegner sich meist wohl bestätigt sehen dürften.