Ist Lars Klingbeil der Totengräber der SPD?

Pressekonferenz von Lars Klingbeil und Saskia Esken (Parteivorsitzende der SPD) mit den Parteichefs Markus Söder (CSU) und Friedrich Merz (CDU) am 8. März 2025.

Pressekonferenz von Lars Klingbeil und Saskia Esken (Parteivorsitzende der SPD) mit den Parteichefs Markus Söder (CSU) und Friedrich Merz (CDU) am 8. März 2025. Bild: Screenshot Youtube

Untergang oder Erneuerung: Die Sozialdemokratie muss sich entscheiden. Über einen historischen Selbstzerstörungskurs, der kaum Beachtung findet.

Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU laufen erstaunlich reibungslos, ja fast harmonisch. Lars Klingbeil, Co-Vorsitzender der SPD, erklärt, dass er sich mit CDU-Chef Friedrich Merz gut verstehe.

Ein Schatten ihrer selbst

Eine Einigung beim Koalitionsvertrag könnte schon nächste Woche erzielt werden, heißt es. Kritik an der erneuten Regierungsbildung mit der Union weist der SPD-Chef zurück: "Wenn die Geschichte anklopft, dann muss man die Tür öffnen." Es gehe darum, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen.

Mit dem geräuschlosen Übergang in die nächste GroKo – es ist ja bereits die vierte Auflage seit dem Ende von Rot-Grün 2005 –, wird jedoch überdeckt, was tatsächlich abläuft. Unfähig, sich zu erneuern, ist die SPD dabei, sich überflüssig zu machen und als relevante politische Kraft zu verschwinden, weil man die Zeichen der Zeit nicht wahrhaben will. Es erinnert ein wenig an das Ende der SED in der DDR, der die Bürgerinnen und Bürger am Ende wegrannten.

Die SPD ist heute ein Schatten ihrer selbst. Das Wahlergebnis von 16,4 Prozent ist eine historische Katastrophe in einer langen Kette von Katastrophen in den letzten Jahrzehnten.

Keine Krisenstimmung

Damit erzielte man das schlechteste Ergebnis seit der Benennung in "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" im Jahr 1890 und wurde von der extremen rechten AfD mit knapp 21 Prozent der Stimmen auf Platz drei geschoben. Nur zwölf Prozent der Arbeiter wählten SPD.

Eine Degradierung. Doch die Parteiführung tut so, als ob nichts gewesen wäre – die veröffentlichte Meinung folgt dem. Von Krisenstimmung ist nichts zu spüren.

Kanzler Olaf Scholz hat sich zwar zurückgezogen, aber sonst wird im Prinzip das gleiche Personal ins Rennen geschickt, welches das Desaster zu verantworten hat, darunter Lars Klingbeil, die zweite Vorsitzende Saskia Esken oder Hubertus Heil und Boris Pistorius.

Wie die SPD refeudalisiert

Sie verhandeln und buhlen nun um neue Posten. Die SPD verkommt zur bloßen Machterhaltungs- und Regierungsbeteiligungsmaschine, ohne Vision, Konzept, Strategie, während die Basis weiter dahinschwindet.

Vor allem fehlt jegliche Einsicht in die Lage. Ohne Analyse und Selbstreflexion, ohne Schlussfolgerungen aus der Misere, wird das weitere Abrutschen aber nicht zu verhindern sein.

So brachte es die SPD fertig, die "Fortschrittskoalition" unter ihrer Führung in die soziale Stagnation zu steuern. Verteilungspolitisch, so der Sozialforscher Christoph Butterwegge, habe sie sogar zu Rückschritten geführt und die "Refeudalisierung der Gesellschaft" forciert.

Es sei tatsächlich eine Rückschrittskoalition gewesen, die Deutschland ungleicher und polarisierter zurücklässt:

Während die Armut allmählich bis zur Mittelschicht vordringt, konzentriert sich der Reichtum in immer weniger Händen.

Die Rückschrittskoalition am Werk

Auf die Explosion von Preisen und Mieten, voranschreitender Rezession und Deindustrialisierung sowie steigenden Arbeitslosenzahlen reagierte die SPD-geführte Ampelregierung mit ungerechten Entlastungspaketen, einem Totalausfall bei der Rentenpolitik, Kaufkraftverlusten beim Mindestlohn, einer Rolle rückwärts beim Bürgergeld inklusive Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln, die noch hinter Hartz IV zurückfallen.

Dazu wurde das Klimaschutzgesetz aufgeweicht, während man das treibhausgasintensive und teure Erdgas zur Energie-Wunderwaffe erklärt.

Das politische Versagen hat System, seit unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder die Sozialdemokraten die neoliberale Politik zu ihrer ureigenen Sache erhoben haben. Nun setzt das Partei-Establishment alles auf eine Reform der Schuldenbremse, als ob damit die gravierenden Probleme in Deutschland gelöst würden, die viele Menschen umtreiben.

Die Sache mit den Schulden

Mehr Schulden führen schließlich nicht zur Lösung des Verteilungsproblems, dem Auseinanderklaffen von Arm und Reich, der extremen Konzentration von Vermögen in der oberen Klasse und dem wachsenden materiellen Frust in mittleren und unteren Schichten, die von Wohlstand und Wachstum abgekoppelt sind. Dafür bräuchte es eine steuerpolitische Kehrtwende.

Zudem wurde vor der Konstituierung des neuen Bundestags in einer Nacht-und-Nebelaktion nur das Militärbudget von der Schuldenbremse ausgenommen, also der in vielerlei Hinsicht problematischste, bereits auf Rekordniveau angelangte Bereich, der zudem wirtschaftlich und sozial wenig bringt (ein großer Teil des letzten Sondervermögens für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro wurde für Waffen aus den USA ausgegeben), ganz zu schweigen von den Klimaschädigungen, die damit verbunden sind.

Investitionen in die Infrastruktur werden dagegen in ein Sondervermögen ausgelagert. Ob die 500 Milliarden Euro in den nächsten zwölf Jahren aber für sinnvolle soziale, ökonomische und gesellschaftliche Herausforderungen ausgegeben werden (die SPD musste von den Grünen z.B. an die Investitionsaufgabe Energiewende erinnert werden, wobei in den Sondierungsergebnissen klimaschädliche Maßnahmen dominieren), ob die Summe überhaupt angesichts der Unterinvestitionen in der Vergangenheit und der rezessiven Tendenzen ausreicht (es sind ja letztlich nur rund 40 Milliarden Euro pro Jahr) und ob die Gelder tatsächlich zusätzliche Investitionen sind oder nur Aufgaben aus dem normalen Bundeshaushalt ersetzen, das wird sich zeigen.

Wer bezahlt?

Die SPD befindet sich nach der Hauruckaktion "Verfassungsänderung" jetzt in der schwächeren Position und Defensive – und muss bei der Ausgestaltung der Investitionen betteln gehen.

In einer Regierung mit dem deutlich stärkeren Gegenüber CDU/CSU unter Führung des Ex-Blackrock-Aufsichtsratschefs in Deutschland, Finanzindustrie-Lobbyisten und Populisten Merz, der nach der AfD schielt, wird sich eine sozialdemokratische Politik aber kaum entfalten können. Vielmehr ist eine konservative Wende zu erwarten.

Die zusätzlichen Schulden bzw. deren Rückzahlung werden natürlich den normalen Haushalt belasten, wenn die Gegenfinanzierung nicht durch zusätzliche Steuereinnahmen bei den Konzernen, großen Vermögen und Erbschaften, Kapitalerträgen, Extremgehältern und Luxusgütern erbracht wird.

Merz: Die Oberen werden geschont

Das wird aber kaum geschehen. Das Merz-Team hat bereits klargestellt, dass man zwar Steuererleichterung für Unternehmen will, aber Steuererhöhungen nicht akzeptiert, die die Oberen treffen.

Zudem nimmt der parteiinterne Druck auf Merz, nach der Lockerung der Schuldenbremse, jetzt hart durchzugreifen, zu, begleitet von einer Talfahrt in Umfragen, bei denen die Unionsparteien nur noch einen Prozentpunkt vor der AfD liegen.

Man will daher härter gegen Bürgergeld-Bezieher und Flüchtlinge vorgehen. Die SPD steht hilflos daneben.

Erneut drohen Einsparungen und Belastungen, die ärmere und mittlere Schichten der Bevölkerung schultern müssen. Den Preis für weitere soziale Stagnation und Regression könnte die SPD bei der nächsten Wahl zahlen.