Ist Oliver Stone eine moderne Leni Riefenstahl?

Seite 2: Verschwörungstheorien gegen die Russen

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Je weniger Vorkenntnisse, desto besser. 2012 war es der deutsche Dokumentarfilmer Hubert Seipel, der für den NDR die Homestory "Ich, Putin" drehte, die auch das russische Staatsfernsehen ausstrahlte. Zufällig standen gerade Präsidentenwahlen an. Man könnte das einen frischen Blick nennen oder Naivität oder absichtliche Irreführung der Zuschauer.

David Steinitz, SZ

Die Kritik an Oliver Stone ist daher maßlos überzogen. Gerade aus Deutschland hört man scharfe Töne: "Ein skurriles Dokument politischer Propaganda" (FAZ), "keine Dokumentation ... , sondern ein Autokraten-Porno" (SZ).

Da machen geschätzte Kollegen selber alles, was sie anderen in anderen Zusammenhängen gern vorhalten: Ihre Texte sind einseitig, wertend, voller Zorn und Eifer und ad hominem geschrieben.

The Putin Interviews. Bild: © 2015 Showtime Networls Inc. All rights reserved / Sky

Und manchmal drängt sich der Verdacht auf, dass ihre Kritik überdies noch von ganz anderen Interessen oder unbewussten Trieben geleitet ist. Nehmen wir den Text von Adam Soboczynski in der "Zeit". Er behauptet, es sei dem Regisseur "geglückt, Putin derart sympathisch, nachdenklich, lustig, süß, charismatisch zu zeigen, dass man ihm selbst einen Angriff auf Polen verzeihen würde".

Nun hat diese Metapher ein doppeltes Geschmäckle, denn tatsächlich war ja der, der zum letzten Mal Polen angegriffen hat, ein deutscher Diktator namens Adolf Hitler und die deutsche Wehrmacht. Später griffen sie dann auch das Land an, in dem Wladimir Putin geboren wurde und aufwuchs, und vielleicht hätten ohne diesen Angriff weder die Sowjetunion noch der Warschauer Pakt so lange existiert, vielleicht wäre ohne die "Operation Barbarossa" auch Putin nie zum russischen Präsidenten gewählt worden - aber all das ist natürlich nicht weniger spekulativ als Soboczynskis Vermutungen über die Verzeihbarkeit eines potentiellen Putin-Angriffs auf Polen.

The Putin Interviews. Bild: © 2015 Showtime Networls Inc. All rights reserved / Sky

Noch mehr Hautgout hat dieser Polenverweis, weil er von einem deutschen Autor geschrieben wurde, und weil dieser deutsche Autor 1975 als Pole geboren wurde - da hätte man sich etwas mehr Wachsamkeit in der Formulierung gewünscht, weiß man doch, dass zur Zeit polnische Politiker viel zu viel Zeit damit verbringen, irgendwelche abstrusen Verschwörungstheorien gegen die Russen zu spinnen, wie zum Beispiel um den Flugzeugabsturz von Smolensk.

Man sollte daher bei mancher Kritik Häme und Abneigung, die Stones "Putin-Interviews" nicht nur von interessierter Seite und besonders in Deutschland jetzt entgegengebracht wird, auch nicht vergessen, dass es Stone immerhin gelingt, in die Höhlen der Löwen überhaupt einzudringen - für uns, sein Publikum.

Das vierteilige Interview, welches Stone bei mehreren Begegnungen mit dem Kreml-Chef zwischen Juli 2015 und Februar 2017 führte, wurde in Deutschland auf Sky gezeigt und ist auf Abruf verfügbar.