Ist Seehofer "eigentlich schon weg"?
Markus Söder könnte am 14. Oktober nicht nur ein gutes, sondern auch ein schlechtes CSU-Wahlergebnis für sich nutzen
Normalerweise ist für einen Politiker ein gutes Wahlergebnis seiner Partei von Vorteil - und ein schlechtes von Nachteil. Schafft er es jedoch, die Schuld für ein schlechtes Ergebnis einem Rivalen in die Schuhe zu schieben und diesen damit auszuschalten, dann befindet er sich in einer Situation, in der er so und so der Gewinner ist. In die könnte sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder manövrieren, wenn es ihm gelingt, seine Partei und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass nicht er, sondern der Parteivorsitzende Horst Seehofer die Verantwortung dafür trägt, wenn die CSU bei der Landtagswahl am 14. Oktober dort landet, wo sie in Umfragen aktuell gemessen wird.
Bei GMS sind das dem Ergebnis der gestern veröffentlichten Sonntagsfrage für SAT.1 nach 36 Prozent, beim für die Augsburger Allgemeine tätigen Civey-Institut sogar nur 35,8. Das wären 11,9 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Landtagswahl 2013 und noch einmal 2,7 Punkte weniger als bei der Bundestagswahl im letzten Jahr.
Mit Elefantengetöse verkaufte Mäuseerfolge
Einen Teil der Schuld daran dürfte tatsächlich Seehofer tragen: Trotz des historisch schlechten Bundestagswahlergebnisses ging er erneut eine Koalition mit der SPD ein, anstatt auf Neuwahlen unter einer anderen CDU-Kanzlerkandidatin als Merkel zu bestehen. Und ein mit ihr öffentlich ausgetragenes Gefecht um eine Rücknahme der mündlichen Anweisung seines Vorgängers Thomas de Maizière, an den Grenzen nicht mehr den Dublin-Vorschriften und dem Artikel 16a des Grundgesetzes gemäß zurückzuweisen, endete mit einem Kompromiss, der praktisch nur für so wenige Personen greift, dass sich viele Wähler gefoppt vorkommen. Der italienische Innenminister Matteo Salvini sprach das gestern offen aus, als er meinte, er werde "ein Abkommen unterzeichnen, das es Italien einerseits erlaube, Deutschland bei Laune zu halten, während man sich andererseits um keinen einzigen zusätzlichen Flüchtling kümmern müsse".
Sehr wahrscheinlich ist aber auch, dass Seehofers mit Elefantengetöse verkaufte Mäuseerfolge keineswegs der einzige Anlass ist, dass ehemalige CSU-Wähler sich abwenden. Söder trauen viele noch weniger über den Weg, weil die von ihm ähnlich elefantenhaft angepriesene bayerische Grenzpolizei ebenso wenig gegen Dublin-Verletzungen ausrichtet wie Seehofers Bundespolizei und weil er 2013 die im Zuge der BayernLB-Pleite in seine Hände gefallenen 32.000 GBW-Wohnungen zu einem durchschnittlichen Kaufpreis in Höhe von 78.125 Euro pro Wohnung an ein vom Augsburger Immobilienunternehmen Patrizia angeführtes Bieterkonsortium verkaufte, obwohl man bereits damals auf dem freien Markt für diese Immobilien wahrscheinlich deutlich mehr Erlös erzielen hätte können (vgl. Söder verspricht staatlichen Wohnungsbau und bayerische Grenzschutzpolizei).
Es kommt aber in der Politik bekanntermaßen nicht darauf an, was der Fall ist, sondern was sich in den Medien und Parteien als solcher verkaufen lässt. Und am Verkauf des Seehofer-ist-allein-schuld-Narrativs arbeitet Söder bereits jetzt. Zu den aktuellen Umfragenwerten meinte er: "Die Dinge, die jetzt im Moment diskutiert werden", hätten "im Grunde genommen mit Bayern nur sehr wenig zu tun".
Auch das Abschneiden der anderen Parteien beeinflusst den CSU-internen Machtkampf
Ob man Söder dieses Narrativ am 14. Oktober abnimmt, hängt auch damit zusammen, wie die anderen Parteien dort abschneiden. Werden die Grünen tatsächlich zweitstärkste Kraft, kann er das gegen Seehofer nutzen. Allerdings sind die Umfragen, die sie aktuell dort sehen, mit Vorsicht zu genießen, weil die Ähnlichkeit ihrer Positionen mit denen, die in den Mainstreammedien als tugendhaft präsentiert werden, für nur schwer erkennbare und herauszufilternde Verfälschungseffekte sorgen könnte: Schon vor der Landtagswahl 2013 wurden sie bei bis zu 15 Prozent gemessen, landeten dann aber nur bei 8,6.
Der gegenteilige Effekt ist bei der AfD denkbar. Hier könnten Wähler, die ihre tatsächliche Präferenz bei Telefonumfragen zur Sicherheit lieber nicht angeben, für ein besseres Ergebnis als die 14 Prozent sorgen, die der Partei aktuell vorhergesagt werden. Tritt das ein, könnten Söder-Kritiker fordern, dass nicht der Ministerpräsident, sondern der Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den Parteivorsitz übernimmt. Dann könnte es auch in Berlin spannend werden, weil der Oberbayer mit dem ostpreußischen Namen einen Sturz Merkels angeblich weniger scheut als seine Parteifreunde Seehofer und Söder dies tun.
Urwahl könnte Überraschung bringen
Noch spannender wird es, wenn das CSU-Ergebnis so schlecht ist, dass die Basis eine Urwahl des neuen Parteivorsitzenden durchsetzt: Die könnte eine ähnliche Überraschung bringen wie die von Labour in England (vgl. Anti-Blair gewinnt Urwahl) oder die Präsidentschaftsvorwahlen in den USA (vgl. Republikanische Präsidentschaftsvorwahlen: Donald Trump führt überraschend die Umfragen an und Der Twitter-Präsident). Voraussetzung dafür ist, dass dabei entsprechende Persönlichkeiten kandidieren.
Eine solche Persönlichkeit wäre Peter Gauweiler, der im Streit um die Euro-Dauerrettung aus der aktiven CSU-Politik ausstieg (vgl. Gauweiler gibt Mandat auf) und eine Anfrage von Telepolis, ob er bereit wäre, bei einer Urwahl zu kandidieren, unbeantwortet ließ. Zwei andere von der Basis gefeierte Außenseiter sind Iris Eberl, die einzige Unionsabgeordnete, die gegen Heiko Maas' NetzDG stimmte, und Wilfried Scharnagl, der für einen Austritt Bayerns aus der Berliner Republik plädiert.
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