Ist der Slogan "Atomkraft? – Nein danke!" jetzt zukunftsfeindlich?

Seite 3: Zum Zusammenhang von ziviler und militärischer Nutzung der Kernkraft

Der Uranabbau, z.B. in Mali, dient sowohl der zivilen als auch der militärischen Nutzung des Urans. Genauso ist die Nuklearbewaffnung Frankreichs, sowie z.B. auch Englands, zwingend mit der zivilen Nutzung der Atomenergie verbunden. Die benutzten Brennstäbe aus den AKWs werden wieder aufbereitet und für die Produktion von Nuklearwaffen verwendet.

So berichtet Jean-Michel Bezat in der Zeitschrift Le Monde über einen Besuch Macrons im Nuklearwerk von Le Creusot und dessen Äußerungen in diesem Zusammenhang20:

Il n’y a ‚pas de sens‘, selon lui, à dissocier cette double dimension: l’industrie de l’atome, qui se remet péniblement d’une décennie horribilis, illustre la cohérence entre autonomie stratégique et indépendance énergétique. ‚Notre avenir énergétique et écologique passe par le nucléaire‘, aussi bien que ‚notre avenir industriel et stratégique (…)‘, tranche M. Macron. ‚Sans nucléaire civil, pas de nucléaire militaire, sans nucléaire militaire, pas de nucléaire civil‘, qu’il s’agisse de la recherche ou de la production. L’usine du Creusot et le Commissariat à l’énergie atomique sont les ‚preuves vivantes‘ de cette complémentarité remontant à 1945.

Macron spricht hier also von der "Kohärenz zwischen strategischer Autonomie und energiepolitischer Unabhängigkeit". Er macht deutlich, dass es "ohne zivile Kernkraft" keine Nuklearwaffen, "ohne militärisch genutzte Kernkraft keine zivile Kernkraft" geben könne, und "zwar sowohl in der Forschung als auch in der Produktion."

Betrachtet man den französischen Vorstoß zur Änderung der EU-Taxonomie vor diesem Hintergrund, so lässt sich hier der Versuch beobachten, über einen Etikettenschwindel aus der zivilen Nutzung von Atomkraft eine ‚grüne‘ Energie zu machen, d.h. Finanzmittel aus privaten und öffentlichen Haushalten, u.a. EU-Subventionen, auch in die militärische Nutzung der Kernkraft fließen zu lassen. Ähnlich sieht dies Ralf Streck (2021), wenn er formuliert21:

Letztlich wird deshalb auch an der Dualität zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie festgehalten, um Milliarden zu verstecken, die letztlich in die Militärprojekte fließen.

Fazit und politische Forderungen Die von interessierten Kreisen angestrebte Renaissance der Atomkraft mit Nachhaltigkeitsargumenten zu belegen, ist absurd. Die in der 2020 verabschiedeten und veröffentlichten EU-Taxonomie festgelegten Kriterien verweisen eindeutig auf die fehlende Nachhaltigkeit der Kernkraft.

Atomkraftwerke sind weder sicher, noch ist die Entsorgungslage geklärt. Auch sind sie nicht CO₂-frei, bieten keine Versorgungssicherheit und sind kostenintensiv. Sie sind ein Beispiel für die Internalisierung von Gewinnen und die Externalisierung von Kosten. Die Finanzierung einer grün gewaschenen Kernkraft würde zudem auch verdeckt zur Finanzierung der militärischen Nutzung der Kernenergie beitragen.

Kernkraft über eine Veränderung der bisherigen EU-Taxonomie als nachhaltig ausweisen zu lassen, ist eine üble Form von Greenwashing und letztendlich der Versuch eines schweren Betrugs an den EU-Bürgern:innen.

Die deutsche Bundesregierung, aber auch andere nationale Regierungen der EU sind aufgefordert, sich im Rat der Europäischen Union dem Ansinnen der EU-Kommission zu verweigern, die Finanzströme in eine Richtung zu lenken, welche zu einer Wiederkehr der eigentlich zumindest in Deutschland gesellschaftlich abgeschriebenen, in keiner Weise nachhaltigen und Milliarden Euro verschlingenden Atomkraft führen könnte.

Auch sollten die Vertreter:innen im EU-Parlament gegen den Zusatz der EU-Kommission zur Nachhaltigkeitstaxonomie stimmen. Letztlich sollten sich die deutsche Regierung sowie andere Regierungen den vor dem Europäischen Gerichtshof klagenden Staaten anschließen, falls Energie aus Atomkraftwerken tatsächlich als grüne Energie ausgewiesen werden würde.

Also es gilt weiterhin, dass "Atomkraft? Nein danke!" auch auf der europäischen Ebene durchzusetzen, um die zukünftige für die Klimaneutralität erforderliche und auf regenerativer Energieerzeugung basierende Energieversorgungsinfrastruktur zu ermöglichen. Gerade für ärmere Regionen im europäischen Kontext, aber auch Globalen Süden mündet das Setzen auf Kernenergie in eine energiepolitische Sackgasse und verhindert eine an nachhaltiger Entwicklung orientierte regenerative Energieproduktion.

Besonders in den Ländern des Globalen Südens ließe sich die benötigte Energie u.a. leicht durch die Sonne mithilfe von Photovoltaik oder durch Windenergie gewinnen lassen. Hier würden sich über die grüne Produktion von Wasserstoff sogar noch ertragreiche Exportmöglichkeiten eröffnen, die zu einem Abbau des globalen Reichtumsgefälles im Sinne von nachhaltiger Entwicklung beitragen könnten.

Die europäischen Finanzströme sind über die Vermeidung von Greenwashing, so wie es die ursprüngliche EU-Taxonomie vorsah, in den Ausbau der regenerativen Energieförderung sowie in die Entwicklung von Speichertechniken und in den Netzausbau zu lenken.

Modernisierte Gaskraftwerke mit geringeren CO₂-Emissionen könnten allerdings noch eine Zeit lang eine wichtige Brückenfunktion während der Durchführung der Energiewende und Dekarbonisierung auf dem Weg zur Klimaneutralität haben, um in dieser Zeit Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Kohlekraftwerke und AKWs sind zügig abzuschalten und rückzubauen bzw. zu entsorgen. Die Anzahl von Gaskraftwerken und das Ausmaß ihrer Strom- und Wärmeerzeugung sind allerdings Schritt für Schritt mit der wachsenden Bedeutung regenerativer Energieproduktion zu reduzieren.

Eine problematische Anerkennung im vorgelegten Erweiterungsentwurf der EU-Kommission, der die Energie aus Gaskraftwerken als grüne Energie ausweist, ist hierzu nicht notwendig. Die Bundesregierung hat daher keinen faulen Kompromiss mit der französischen Regierung nötig und sollte weiterhin zum Nachhaltigkeitsverständnis der Vereinten Nationen stehen.