Ist die Anerkennung des Palästinenserstaats mehr als eine symbolische Geste?
Die Entscheidung mehrerer europäischer Staaten ist ein kraftvoller Schritt. Kommt damit Frieden in greifbare Nähe? Ja und nein. Hier die Gründe dafür.
Während die UN die Verteilung von Hilfsgütern in Rafah im Gazastreifen aussetzt, erklären Norwegen, Irland und Spanien in öffentlichen Statements, dass sie einen Palästinenserstaat anerkennen werden. Der irische Premierminister Simon Harris sagte:
Jeder von uns wird nun die notwendigen nationalen Schritte unternehmen, um dieser Entscheidung Wirkung zu verleihen. … Ich bin zuversichtlich, dass weitere Länder sich uns anschließen und diesen wichtigen Schritt in den kommenden Wochen tun werden.
Was folgt daraus für die Zweistaatenlösung?
Neben Malta und Slowenien, die ebenfalls eine Anerkennung signalisiert haben, könnten auch andere europäischen Staaten nachziehen. So sagte der französische Präsident Emmanuel Macron letzten Monat, dass es für Frankreich kein "Tabu" sei, einen palästinensischen Staat anzuerkennen. Auch der britische Außenminister David Cameron erklärte, dass Großbritannien einen palästinensischen Staat nach einem Waffenstillstand im Krieg zwischen Israel und Hamas offiziell anerkennen könnte.
Aber was folgt daraus? Ist es mehr als eine symbolische Geste?
Dazu muss man wissen, dass die hinter der Anerkennung liegende Zweistaatenlösung schon seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegt, aber in der Umsetzung blockiert wird. Dabei spielen vor allem die USA, aber auch Europa eine wichtige Rolle.
Die arabischen Staaten und die palästinensische Seite haben Israel immer wieder Frieden im Zuge einer Zweistaatenlösung in den völkerrechtlichen Grenzen angeboten, mit einem palästinensischen und israelischen Staat, basierend auf UN Resolution 242, verabschiedet nach dem Sechstagekrieg 1967.
Die Blockade des Palästinenserstaats über Jahrzehnte
Bereits 1976 übergaben arabische Staaten dem UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die diese Einigung enthielt. Seitdem sind immer wieder Resolutionen bei den Vereinten Nationen zur Abstimmung eingebracht worden, um einen Palästinenserstaat möglich zu machen.
Die Lösung wird de facto von allen Staaten der Welt, eingeschlossen der arabischen Staaten, der Arabischen Liga, des Iran, der PLO und letztlich auch der Hamas unterstützt. Die palästinensischen Unterhändler haben in den direkten Verhandlungen mit Israel zudem große Zugeständnisse gemacht in Hinsicht auf die Einverleibung von Teilen der illegal errichteten Siedlungen im Westjordanland in das israelische Staatsgebiet sowie bei der Flüchtlingsfrage – und damit einige ihrer völkerrechtlichen Ansprüche fallen gelassen.
Doch alle diese Angebote wurden von Israel mithilfe der USA abgelehnt. Bei jeder entsprechenden UN-Abstimmung seit den 1970er-Jahren haben sie gegen die Friedenslösung gestimmt. Die Vetomacht USA verhinderte am Ende die Umsetzung. Bei der jüngsten Resolution im UN-Sicherheitsrats am 18. April 2024 stimmten sie als einziges Land erneut dagegen.
Auch bei den direkten Verhandlungen, auf die die USA bei ihren UN-Vetos immer verweisen, haben die "Vermittler" aus Washington Israel vor einem Ende des Expansionskurses im Westjordanland bis heute bewahrt. Angeboten wurden den Palästinensern nämlich höchstens Kantone, zerstückeltes Land, ein nicht lebensfähiger "Pseudo-Staat", ähnlich den Bantustans in Südafrika für die schwarze Bevölkerung.
Fassadenpolitik
Es waren Nichtofferten, mit viel PR als "großzügige Angebote" an die Öffentlichkeit verkauft, die die Gegenseite wegen ihrer "Maximalforderungen" aber verschmäht hätten. Sie waren so "großzügig", dass weder die UN, die EU, die Weltbank, Menschenrechtsorganisationen noch führende Spezialisten für das Westjordanland in ihnen einen funktionstüchtigen Staat erkennen konnten.
Selbst Vertreter der israelischen Verhandlungsseite bezeichneten die Angebote im Nachhinein als inakzeptabel. Währenddessen verschwinden immer mehr wertvolles Land, Wasserreserven und wichtige Gebiete um Ostjerusalem hinter israelischen Separationsanlagen und Mauern.
Nach außen äußerten Israel und die USA zwar, dass man eine Zweistaatenlösung grundsätzlich unterstütze, de facto wurde sie aber in der UN und in Verhandlungen blockiert. Die Netanjahu-Regierung hat im Zuge des Gaza-Kriegs nun auch offiziell erklärt, dass man einen Palästinenserstaat nicht akzeptieren werde.
Viele Staaten Europas sind zwar der Ansicht, dass nur eine Zweistaatenlösung Frieden in Nahost bringen kann. Doch der größte Teil folgte letztlich der Linie Washingtons und Tel Avivs (was insbesondere für Deutschland gilt), während die jeweiligen Regierungen bei UN-Abstimmungen den Kopf einzogen.
Das entscheidende US-Veto
Bis zum heutigen Tag haben lediglich acht EU-Länder einen palästinensischen Staat in der UN-Generalversammlung anerkannt. Es sind Bulgarien, Zypern, die Tschechische Republik, Ungarn, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakei und Schweden. Jetzt kommen für die EU bzw. Europa mindestens drei weitere Staaten hinzu.
Da das US-Veto im UN-Sicherheitsrat und die Verhandlungsblockade von Israel, unterstützt von Washington, weiter besteht und nur über diese Wege die Umsetzung eines Palästinenserstaats möglich ist, wird die derzeitige Anerkennungsoffensive in Europa, so hilfreich sie ist, letztlich zu einem symbolischen Akt bzw. einer moralischen Geste degradiert. Doch gleichzeitig wird Israel und den USA die Botschaft gesendet, dass man nicht mehr bereit ist, stumm an der Seitenlinie zu verharren.
Akiva Eldar, politischer Kolumnist bei der israelischen Zeitung Haaretz, erklärte gegenüber Al Jazeera, die Anerkennung des palästinensischen Staates durch Norwegen, Spanien und Irland wende sich gegen die "Philosophie Netanjahus und der Mehrheit der israelischen Knesset, niemals einem palästinensischen Staat zuzustimmen, schon gar nicht unilateral".
"Erst vor ein paar Monaten hat die Mehrheit der Knesset eine sehr seltsame Resolution gegen jede unilaterale Anerkennung eines palästinensischen Staates verabschiedet", so Eldar.
Biden treu an der Seite Netanjahus
Der langjährige palästinensische Politiker Mustafa Barghouti bezeichnete die Anerkennung des palästinensischen Staates durch Irland, Spanien und Norwegen als einen "mächtigen politischen und symbolisch bedeutsamen Schritt", der die Erreichung von "Freiheit und Gerechtigkeit" für das palästinensische Volk näher bringe.
Es ist ein sehr wichtiger Schritt, um das Recht des palästinensischen Volkes – unseres Volkes – auf Selbstbestimmung zu kennzeichnen.
Bisher steht die Biden-Regierung in den USA jedoch weiter hinter der Netanjahu-Regierung, sendet Waffen an Israel für den Gaza-Krieg und verhindert nicht nur die Umsetzung eines Waffenstillstands, sondern auch die Einrichtung eines Palästinenserstaats. Solange das so ist, kann ein Palästinenserstaat nicht eingerichtet werden.
Doch die Washington-Blockade ist tatsächlich fragiler, als manche denken. Biden könnte aufgrund seiner Israel-Unterstützung der Verlust von wichtigen Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen im November drohen. Auch international verliert der US-Kurs gegenüber Israel immer weiter die Weltöffentlichkeit – was am Ende den Druck auf Washington erhöhen könnte, zumindest Zugeständnisse zu machen.
Neuordnung in Nahost?
In den USA und Europa zeigen uns Umfragen, dass Mehrheiten das Vorgehen Israels in Gaza für nicht gerechtfertigt halten und die Zweistaatenlösung unterstützen, während die Proteste insbesondere an Universitäten zunehmen, einen Waffenstillstand durchzusetzen und die israelische Besatzungspolitik zu beenden.
Dazu kommen Entscheidungen der beiden internationalen Gerichtshöfe in Den Haag. Dabei handelt es sich um den Internationalen Gerichtshof der UN, der Verbrechen von Staaten behandelt und von "plausiblem Völkermord" Israels in Gaza spricht, und den Internationalen Strafgerichtshof, der kriminelles Verhalten von Personen verfolgt und gerade Haftbefehlanträge nicht nur gegen drei Hamas-Vertreter, sondern auch gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den israelischen Verteidigungsminister Joaw Galant gestellt hat.
All das sind Anzeichen für Verschiebungen, vielleicht der Anfang einer Neuordnung des Kräfteverhältnisses in Nahost. Wie auch immer: Es wird in Zukunft schwerer werden für Israel und die USA, die Friedenslösung, die Einrichtung eines palästinensischen neben einem israelischen Staat, wie von der Welt und dem internationalen Recht gefordert, weiter zurückzuweisen bzw. auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.