SWR-Moderatorin Fares, der Antisemitismus-Vorwurf und das Klima der Angst

Berichterstattung von Welt TV, in der das Video mit Fares Helen über Boykott-App gezeigt wird

Berichterstattung von Welt TV, in der das Video mit Fares Helen über Boykott-App gezeigt wird. Bild: Screenshot Welt TV

Warum die Empörung über eine Boykott-App gegen Israel? Meinungsmacher lieben ansonsten Embargos – siehe Irak, Kuba, Russland. Worum es wirklich geht. Eine Einschätzung.

Der SWR teilte am Montagabend mit, dass er die Moderatorin Helen Fares von ihren "Moderationsaufgaben entbunden" habe. Ihr wird von dem Sender vorgeworfen, auf ihren privaten Social-Media-Accounts extreme politische Positionen geäußert zu haben.

Großes Geschütz wird aufgefahren

Die Bildzeitung hatte einen Tag zuvor berichtet, dass Fares auf ihrem Instagram-Account in einem kurzen Video die App "No Thanks" vorgestellt habe beim Supermarkt-Einkauf. Damit können Nutzer überprüfen, inwiefern Unternehmen von Konsumgütern "Israel unterstützen". Die App zeigt im gegebenen Fall an, dass ein Produkt auf einer Boykottliste steht.

Die Bildzeitung titelt "SWR-Moderatorin wirbt für Anti-Israel-App". Andere Medien folgten. Auf Cicero hieß es: "Judenverachtung mit Influencer-Ästhetik". Welt-Online zog nach: "Wie die Influencerin Israelhass aus dem Supermarkt verbreitet".

Es werden dabei Journalisten und Politiker zitiert, die von der "antisemitischen Mitarbeiterin" des SWR sprechen und den Boykott mit "Kauft nicht bei Juden!" aus der Nazi-Zeit gleichstellen.

Kurzer Prozess

Gegenüber der Bildzeitung forderte Volker Beck (Grüne) als Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) vom SWR Aufklärung. Er hätte bereits an SWR-Intendant Kai Gniffke geschrieben. Er sagte: "Mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag halte ich so eine antisemitische Boykotthaltung für nicht vereinbar."

Am nächsten Tag trennte sich der ARD-Anstalt von Fares.

Was steckt hinter der Boykott-Bewegung?

Man kann über den Boykott von israelischen Produkten aus strategischer Perspektive streiten. Es ist im Kern eine Imagekampagne, die die israelische Regierung dazu bringen möchte, den Bestimmungen internationalen Rechts und der internationalen Gemeinschaft zu folgen, die illegale Besatzung von palästinensischen Gebieten und die in diesen Gebieten bestehende Apartheid, wie sie Menschenrechtsorganisationen und UN-Behörden festgestellt wird, zu beenden sowie aktuell den Gaza-Krieg, der vom Internationalen Gerichtshof als Akt "plausiblen Völkermords" deklariert wurde, einzustellen.

Die Boykott-Bewegung schließt dabei an die erfolgreiche Antiapartheid-Kampagne gegen Südafrika an. Einige innerhalb der Bewegung boykottieren Produkte aus Israel, andere konzentrieren sich auf solche, die aus israelischen Siedlungen in den illegal von Israel besetzten Gebieten stammen.

Zu einem Boykott von israelischen Waren aus den besetzten Gebieten rufen auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International schon länger auf.

Im Jahr 2019 bestätigte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dass es für die Verbraucher klar sein muss, welche Produkte aus dem Staat Israel und welche aus Siedlungen in den völkerrechtlich als besetzt definierten Gebieten stammen.

Auch im Europäischen Parlament wird nun über eine Auszeichnung von diesen Produkten (besetzte Gebiete) bzw. ein Importverbot debattiert.

Überall Sanktionen vom Westen – aber keine Empörung

Was immer man von den zivilgesellschaftlichen Boykottversuchen hält, sie sind keineswegs antisemitisch, antiisraelische oder extremistisch, es geht nicht mal um Juden und das Jüdischsein.

Die Boykotte hetzen nicht gegen Juden, diffamieren nicht oder zirkulieren Verschwörungstheorien. Sie rufen nicht dazu auf, jüdische Geschäftsinhaber:innen zu verprügeln, ihr Geschäfte niederzubrennen, Juden zu töten oder den Staat Israel auszulöschen.

Vielmehr geht es dabei um die Politik des Staates Israel gegenüber den Palästinenser und ihren Rechten.

Merkwürdig ist an der Medienempörung über den Social-Media-Post zu der Boykott-App, dass, soweit ich sehen kann, niemand dabei auf den offensichtlichen Widerspruch hinweist – und das gilt nicht nur für den Fares-Fall, sondern insgesamt für die politisch-mediale Aburteilung der israelischen Boykott- und BDS-Bewegung (BDS steht für Boycott, Divestment, Sanctions) als zumindest latent antisemitisch –, dass Sanktionen vom Westen gegen andere Staaten ansonsten von Politik und Medien gutgeheißen, verteidigt oder schlicht hingenommen werden.

Von Empörung ist dann weit und breit nichts zu sehen.