SWR-Moderatorin Fares, der Antisemitismus-Vorwurf und das Klima der Angst
Seite 2: Albright: Wenn der "Preis" es wert ist
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Und das geschieht, selbst wenn sie verheerende Konsequenzen für die Bevölkerungen der sanktionierten Staaten haben bzw. als willkürliches Machtmittel eingesetzt werden, um die Länder auf Linie zu bringen.
Die Irak-Sanktionen, die 1990 gegen das Land von den USA durchgesetzt wurden, um das Regime von Saddam Hussein, das den Befehlen Washingtons nicht mehr folgen wollte, zu bestrafen, sollen bis 2003 nach Schätzungen rund 1,5 Millionen Irakern das Leben gekostet haben, darunter über eine halbe Million Kinder.
Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright sagte später auf eine Frage zu den Sanktionen und den toten Kindern, dass der "Preis" es wert gewesen sei.
Wertlos: Der Wirtschaftskrieg gegen Kuba
Oder nehmen wir Kuba. Die Vereinigten Staaten haben seit Jahrzehnten gegen das Land eine harsche Embargo-Politik verhängt (Unternehmen aus anderen Ländern, die das Embargo umgehen, werden von Washington ebenfalls sanktioniert). Es ist ein unerbittlicher Wirtschaftskrieg, der die kubanische Bevölkerung und Ökonomie des Landes hart trifft.
Die Vereinten Nationen haben den Kuba-Boykott der USA immer wieder in Resolutionen verurteilt und ein Ende der Wirtschaftsblockade gefordert. Die ökonomischen Schäden wurde vom kubanischen Außenminister 2013 vor der UN auf eine Billion Dollar geschätzt.
Wer nimmt davon überhaupt Notiz in der breiteren Öffentlichkeit?
Effekte der Russland-Sanktionen
Oder Russland. Westliche Staaten reagierten auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine mit einer weitreichenden Palette an Sanktionen. Sie führten zu einem sprunghaften Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise weltweit, die vor allem die ärmeren Länder im Globalen Süden hart trafen, während Armut und Hunger sich dort weiter ausbreitete.
Und dann wäre da noch der Iran ...
Man kann über die einzelnen staatlichen Sanktionsregime diskutieren und die Ziele bewerten. Die Kuba- und Irak-Boykotte sind sicherlich in keiner Weise zu rechtfertigen. Die Russland-Sanktionen waren einerseits wenig bis gar nicht effektiv, während sie andererseits viel Schaden und Leid erzeugt haben.
Wenn Sanktionen als Realpolitik goutiert werden
Aber um zum Punkt zurückzukommen: In all diesen Fällen, diesen "realen" staatlichen Wirtschaftsboykotten – mit gravierenden Folgen im Gegensatz zu der zivilen Boykott-Imagekampagne gegen Israel –, haben die Medien keine Empörungswelle gestartet, im Gegenteil.
Sie haben die Embargos vielfach unterstützt und gutgeheißen, auch im Angesicht der oft verheerenden Folgen. Und ihre Meinung haben die Journalist:innen nicht nur privat auf Instagram gepostet, sondern in ihren Medien vor einem großen Publikum regelmäßig und prominent über Jahre kundgetan.
Ist jemand dafür als Hasser von Irakern, Kubanern oder Russen diskreditiert worden? Heißt es dabei, die Sanktionsbefürworter wollen die Staaten vernichten und verfolgen eine rassistische Agenda?
Hat ein Journalist, eine Journalistin jemals für die Unterstützung dieser staatlichen Boykotte seinen/ihren Job verloren, weil er damit eine extreme Position einnehme und nicht unabhängig sei, wie der SWR nun im Fall Fares formuliert?
Die Sache mit dem Antisemitismus
Der SWR weiß natürlich, dass ihre Ex-Moderatorin keine Antisemitin ist, die im Video gar nicht über Juden, sondern Israel gesprochen hat. Der Vorwurf des Antisemitismus taucht in der Kündigungserklärung des SWR gegen Fares auch nicht auf. Aus gutem Grund.
So hat der Sender selbst in einem SWR-Wissen-Beitrag die Messlatte für den Antisemitismus-Vorwurf zu recht hoch angesetzt: Dämonisierung, Verschwörungstheorien, Bewertung alles Jüdischen als negativ, unfaire Spezialbehandlung des jüdischen Staates.
Zugleich warnt der SWR im Erklärstück davor, dass der Antisemitismus-Vorwurf vage ist, nur schlecht nachweisbar sei, woraus folgt, dass er vorsichtig angewendet werden sollte. Zudem sei die Gleichsetzung von Juden mit Israel antisemitisch, wie auch die International Holocaust Remembrance Alliance betont, da dadurch Juden für die Politik Israels, deren Regierung (und ihren Verbrechen) verantwortlich gemacht werden können.
Genau dieser Vorwurf fällt aber auf die zurück, die denjenigen, die die Politik Israels kritisieren (wie Fares), unterstellen, dass sie eigentlich gegen Juden eingestellt seien oder sie sogar hassen.
Deutsches Absurdistan: Helen Fares ist kein Einzelfall
Der Fall der SWR-Journalistin ist dabei kein Einzelfall. Der israelische Journalist Michael Sappir beschreibt im israelischen Magazin +972 in seinem Artikel "The spiraling absurdity of Germany’s pro-Israel fanaticism" ("Die Absurditätsspirale des deutschen Pro-Israel-Fanatismus") ausführlich und detailliert, wie in Deutschland im Zuge des Gaza-Kriegs ein Klima der Angst erzeugt und hart sowie flächendeckend gegen die Meinungsfreiheit in Hinblick auf Israelkritik vorgegangen werde.
Journalisten, Künstler, Wissenschaftler, Staatsbeamte, Fußballprofis verloren wegen ihrer Kritik an Israels Politik in den letzten sechs Monaten ihren Job, Veranstaltungen wurden abgesagt (ein Viertel davon jüdische laut Diaspora Alliance), Demonstrationen wurden verboten oder gewaltsam aufgelöst.
Dabei würden soziale Medien von Pro-Israel-Aktivisten gescannt, um "Belege" für Solidaritätsbekundungen (oft viele Jahre zurückliegend) zu finden und sie dann zu skandalisieren. Gleichzeitig wurden "Antisemitismus-Beauftragte" auf allen Ebenen der Regierung installiert.
Auch Juden und Israelis wurden attackiert, wie die jüdische Publizistin Masha Gessen vom New Yorker. Man unterstellte einigen sogar Antisemitismus wie jüngst dem israelischen Filmemacher und Journalisten Yuval Abraham, der auf der Berlinale als Preisträger Israels Besatzungspolitik kritisierte und einen Waffenstillstand verlangte. Er erhielt danach Todesdrohungen und konnte zwischenzeitlich nicht nach Israel zurückkehren.
Die Angstmaschine
Sappir kommt auf +972 zu dem Schluss:
Solche öffentlichen Anprangerungen sind in Deutschland zur Regel geworden, ebenso wie die Forderungen nach einer verstärkten Zensur und die Androhung der Streichung von Mitteln, die stets folgt. Die Atmosphäre des Generalverdachts hat sich verdichtet und droht, die berühmt-berüchtigte lebendige und internationale Kulturszene des Landes zu ersticken.
Nun haben rund 600 Beamte und Mitarbeiter verschiedener Ministerien und Behörden in Deutschland eine Erklärung verfasst, die an unterschiedliche Stellen der Bundesregierung verschickt wurde. Sie fordern, "Waffenlieferungen an die israelische Regierung mit sofortiger Wirkung einzustellen".
Israel begehe in Gaza "Verbrechen, die in klarem Widerspruch zum Völkerrecht und damit zum Grundgesetz stehen, an das wir als Bundesbeamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes gebunden sind".
Aus Angst vor beruflichen Nachteilen wollen sie anonym bleiben. Ein leitender Angestellter spricht von einem "Klima der Angst" innerhalb der Behörden und Ministerien, wie er es "in 15 Jahren noch nie erlebt" habe.
Das sind besorgniserregende Anzeichen einer sich lähmenden demokratischen Kultur, die von Debatte und auch Streit lebt.
McCarthy lässt grüßen
Die Kampagne gegen die SWR-Moderatorin Helen Fares und ihre "Entbindung" von ihrem Job erteilen allen Zuschauenden zugleich eine Lektion. Journalisten werden sich jetzt vielleicht zweimal überlegen, welchen Post sie schreiben, welche Petition sie unterzeichnen, auf welche Demo sie gehen und worüber sie berichten.
Das ist der eigentliche "Sinn der Veranstaltung": den Angstapparat zu füttern. Aber wie Fares Reaktion und die anderer zeigt, kann es auch in die andere Richtung gehen, Mut und Solidarisierung befördern – vor allem, da die Anschuldigungen immer absurder werden.
Davor haben die Antisemitismus-Wächter bei Bild, Welt, Cicero & Co. Angst.
Und sie haben durchaus Grund dazu. Man schaue sich den Untergang vom einstmals gefürchteten Kommunisten-Jäger Joseph McCarthy in den 1950er-Jahren in den USA an. Am Ende wurde er von seiner eigenen Hexenjagd gestellt und endete in lächerlicher Bedeutungslosigkeit.